Die Glosse

Rauschheim, nachdem ich mir den Borgia-Film angeschaut habe.

Lieber Sepp,

früher hätt ich bei meinem heutigen Problem dem Pater Gescheitle geschrieben, heut schreib ich lieber Dir, obwohl Du kein Theologe bist, sondern ein Gewerkschafter, der wo mit seinen Beinen auf der Erd steht. Der Pater Gescheitle meint halt immer, er müsst die Kirch retten, egal, was ein Bischof oder der Papst verzapfen.

Sepp, ich habe den Borgia-Film gesehen. Ein Blick hinter die Mauern des damaligen Vatikan tut unsereinem nicht gut. Du hältst es nicht für möglich, was für eine Verkommenheit die Vatikaner, ob Kardinal oder Papst, dort praktiziert haben.

Ganz früher hätt mir unser alter Pastor nur sagen gebraucht: „Joseph, waren die heutigen Filmemacher damals dabei? Siehst Du, alles böswillige Phantasie, von Kirchenfeinden erstunkenes und erlogenes Zeug!“, und ich wäre zufrieden gewesen. Jetzt aber hab ich auf der Fernsehseite unserer Zeitung gelesen, dass der Film ein glaubwürdiges Zeitdokument aus der Renaissance wär, wodrin die große Linie stimmen tät. Warum sollt die Zeitung mich hinters Licht führen, inzwischen, nach dem Mixa, traue ich aus Erfahrung meiner Zeitung eher als wie manchem Kirchenvertreter.

Also, mich hats fast umgehauen, wie die Herren Hierarchen im Film die Hölle eingesetzt haben. Ihre Feinde, die ebenfalls Verbrechen auf dem Kerbholz hatten, wurden aus dem Hinterhalt gemeuschelt und mit ihren Todsünden in die Hölle verfrachtet. Für sich selber hielten sie einen Beichtvater bereit, der ihnen den Himmel garantieren sollte, indem dass der sie bei Lebensgefahr sofort von all ihren Todsünden lossprechen musste. Sepp, glaubst Du, dass unser lieber Gott bei einem solchen Spiel mitmacht?

Jetzt kannst Du sagen, das ist alles kalter Kaffee und längst rum. Das weiß ich auch. Aber ich sag Dir ein heutiges Beispiel von einem schleichenden Betrug an uns. Holen wir anstatt der Hölle das Fegfeuer. Kein Wort mehr vom Vollkommenen Ablass, womit man früher alle lieben Verwandten mit einem Ruck aus den Qualen des Fegfeuers herausholen gekonnt hat, und wenn man keinen Ablass für sie gewonnen hat, mussten sie weiter im Feuer schmoren. Mein lieber Opa bekam von mir 1954 fünf Ablässe gewidmet, weil ich gedacht hab, doppelt genäht hält besser. Du weißt nicht sicher, hab ich mir gesagt, ob dem lieben Gott die einzelnen Ablässe fromm genug verrichtet waren, auf dass sie bei ihm die totale Wirkung erreichen täten. Und jetzt, Du hörst kein Wort mehr vom Ablass, keinen Ton mehr vom Fegfeuer. Ich habe den Eindruck, der Pastor selber glaubt nicht mehr ans Fegfeuer. Und mit dem Fegfeuer ist der Vollkommene Ablass auch Humbug. Ich hab den Verdacht, die ganze Glaubenslehre von dem Fegfeuer und der Ablassgewinnerei war Beschiss. Dadran hat sich bei mir die Frage gestellt, warum hat der Benedikt, in Erfurt, wo die Protestanten auf ein kleines Entgegenkommen mit Inbrunst gewartet haben, denen nicht den ökumenischen Knochen mit dem Ablass hingeworfen. Für die Protestanten, denen ihr Luther ja wegen dem Ablasshandel („wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer springt“) bei dem damaligen Papst in Verschiss kam, hätt dieser abgeknabberte Knochen sein Gutes gebracht und als großes Zeichen der Versöhnung gegolten. Sepp, ich befürchte, der Benedikt will gar keine Versöhnung mit den Protestanten.

Sepp, alter Sozi, Du siehst, wie weit es mit mir gekommen ist, dass ich diese kirchlichen Angelegenheiten mit Dir als einem Gewerkschafter und nicht mehr mit dem Pater Gescheitle verhandle.

Bis zum nächsten Stammtisch am Donnerstag

Dein Joseph

P.S.: Also, unser Papst ist im Vergleich mit den Borgias ein Engel. Aber, was mich stört, ist der Protz, mit dem der sich immer noch umgibt. Darin hat sich leider nicht sehr viel geändert seit den Borgias und den Missbrauchsfällen. Aber vielleicht muss man schon froh sein, dass der Vatikan sich keine Verbrechen mehr auf den
Buckel lädt. Wie das mit dem Erzbischof Paul Casimir Marcinkus war, weiß ich nicht mehr richtig. Jedenfalls ist das Kondomverbot in Schwarzafrika wegen seiner Folgen für die unschuldigen Kinder nicht ganz ohne!


© imprimatur Januar 2012
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