Der Kipa-Dienst vom 17. November 2011 berichtet vom Predigtverbot für einen Pastoralassistenten und eine Pastoralassistentin durch Bischof Vitus Huonder. Seit dessen Amtsantritt 2007 sei die Frage der Laienpredigt ein umstrittenes Thema im Bistum. Man kann sich vorstellen, wie eine solche Nachricht die Betroffenen und viele ihrer Berufskollegen/innen treffen und beunruhigen mag.
Der Bischof und seine Parteigänger berufen sich auf weltkirchliche Regelungen. Harmlos sind solche Vorgänge nicht. Sie sind vielmehr symptomatisch für die innerkirchliche Spannung. Was kann man dazu verantwortlich zu sagen versuchen?
Kirche im Umbruch
Die Laienpredigt ist in unseren Ländern z.T. schon seit Jahrzehnten eine bewährte Praxis. Und man stelle sich einmal vor, welche Auswirkungen es für unsere Pfarreien und Seelsorgekreise nicht zuletzt unter dem grassierenden Priestermangel zeitigen mag, wenn plötzlich ein solches Verbot realitätsfern durchgeboxt werden sollte. Man beruft sich auf weltkirchliche Regelungen, als ob es ein Gottesgesetz wäre, wonach nur der Priester oder der Diakon während der Messe predigen dürfe. Das Kirchenrecht gibt dafür keine theologischen Gründe. Es geht wohl um das Profil der Priesterrolle. Geschichtlich gesehen hing es damit zusammen, dass im Mittelalter der Priester in der Öffentlichkeit gesellschaftlich und kirchlich einen entscheidenden Status hatte und der Laie ungebildet war und nachgeordnet gedacht wurde Aus der Zeit heraus verständlich. Es waren historisch gewachsene Umstände, die die kirchlichen Strukturen sich entfalten und wachsen ließen. Aber neue Situationen verlangen nach neuen Wegen. Der Versuch des Predigtverbots ist somit symptomatisch für den Kurs unserer Kirche in Richtung einer aggressiven Restauration und für die Polarisierung zwischen einem eher statischen Kirchenverständnis und einer eher dynamischen Kirchenvision.
Die Ursachen für die Umbrüche in der Kirche mit ihren Abbrüchen und hoffentlich auch Durchbrüchen haben viele gesellschaftliche Ursachen, aber auch innerkirchliche Konflikte mit der eigenen Tradition. Die dynamisierenden Impulse seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) haben den bis dahin sehr statischen Binnenraum der Kirche selber enthärtet und pluralisiert. Die Seelsorgekonzepte haben nicht nur das pfarreiliche Leben, sondern das breite seelsorgliche Handeln der Kirche differenziert. Inzwischen sind auch die seelsorglichen Sozialformen von der Pfarrei zu größeren Seelsorgeeinheiten in Schwingung geraten, auch dies letztlich weniger aus pastoraler Sorge sondern infolge des Pfarrermangels. Am entscheidendsten jedoch für das organisatorische System der Glaubensgemeinschaft Kirche ist der radikale Personal-Wechsel, nämlich das neue pastorale, katechetische und theologische Betriebspersonal. Alles hat sich in der Kirche im Vergleich zur Kirche vor dem Konzils verändert, ohne das Wesentliche zu verlieren, außer das kirchenrechtliche System oder Gewand. Dieses ist in der alten Zeit steckengeblieben. Es ist für das inzwischen Gewachsene zu eng geworden. Das klerikale bzw. patriarchale und zentralistisch übersteuerte System wagt so etwas wie einen Kulturkampf gegen die Moderne im eigenen Haus und storniert die Reformschritte, die pastoral so dringend nötig und theologisch möglich sind. Und in der Logik eines solchen Systems werden nicht zuerst pastoral und kommunikativ kompetente Leute in Linienpositionen wie Bischofsamt berufen, sondern Systemloyale, die ganzen Bistümern den Frieden und die Freude kosten. Und kritische Zeitgenossen hegen den Verdacht, dass manche "aufsteigen", die psychisch über die Adoleszenz nicht hinausgereift sind.
Langer Atem
Die Situation ist nicht zu beschönigen. Jammern und Zynismus heilen auch nicht. Die Kirche ist auch eine zweitausendjährige Interpretationsgemeinschaft der Botschaft Jesu mit einem ungeheuren charismatischen und menschlichen Reichtum. In diesem Sinne sollten wir bei allen Umbrüchen den Durchbruch der Botschaft Jesu im gesellschaftlichen Kontext und im Humus des menschlichen Lebens zu Diensten sein. Es geht somit um einen sinnvollen und guten Traditionalismus, der den ganzen Reichtum der kirchlichen Tradition bis zu ihren biblischen Quellen zurückverfolgt und nicht konservativ im 16. oder 19. Jahrhundert stoppt und mutwillig verharrt. Dann wären wir mit den drängenden Reformanliegen in "bester Gesellschaft". Kirche ist zudem ein weltweites Solidaritätsnetz von vielen Frauen und Männern, das seinesgleichen sucht. Ich würde menschlich und spirituell verdummen, mich aus der Nähe einer solchen Interpretations- und Solidaritätsgemeinschaft herauszunehmen. Katholisch sein kann man nie allein und nie gegen andere.
Angesichts der Widerstandskraft des Systems und der begrenzten eigenen Kräfte ist aber an der Basis und im Verbund der am gemeinsamen Anliegen Interessierten Solidarisierung nötig, ähnlich wie die Pfarrer-Initiative in Österreich. Wo sind bei uns Gruppen und Verbindungen, die die konkreten Reformanliegen, die der Kirche Zukunft eröffnen, gelegen oder ungelegen anmahnen. Auch bei den neuen Kategorien von Seelsorger/innen gibt es eine Anpassungswilligkeit an das System, auch wo es kirchentheologisch und pastoral weiterführende Alternativen zu erwägen gilt. Wie bei allen wichtigen Lebensfragen ist es auch mit unseren Optionen für eine menschenfreundliche und Gott vertrauende Kirche: man bezahlt mit sich selber. Wir selber sind der Weg in die Zukunft unserer Kirchenvisionen. Letztlich geht es um das Menschen- und Gottesbild. Und es warten viele darauf, mitgenommen zu werden. Letztlich geht es bei unseren Kirchensorgen, die soviel Kräfte rauben und Lärm erzeugen, um das Menschenbild und um das Gottesbild. Verraten unsere Kirchenquerelen nicht oft, dass wir Gott viel zu klein denken, als ob die Kirche amtlich Gott und den Menschen ihre Bedingungen diktieren müsste, wie sie zusammen kommen. Man soll um Priester beten. Man soll dorthin gehen, wo noch Messe gelesen wird. Und die Priester sollen von einem Altar zum anderen eilen. Alle sollen sich bewegen, sogar Gott. Nur die Entscheidungsträger der Kirche bewegen sich nicht. So haben viele Probleme in unserer Kirche wenig mit Theologie zu tun, aber viel mit Psychologie. So geht es darum, gemeinsam den langen Atem zu üben mit Ernst, Entschiedenheit und auch Humor. Gehen muss man dabei selber, aber nicht allein. Denn es geht um das persönliche Christsein und um eine richtige Praxis - auch im falschen oder reformbedürftigen System. Für diese glaubwürdige Praxis sind zuerst wir selber verantwortlich.
Leo Karrer (*1937) ist emeritierter Professor für Pastoraltheologie an der Universität Freiburg (Schweiz).
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