Fritz
Köster
Gegen den Platonismus sog. „geistlicher Gemeinschaften“
Vorbemerkung: Der Platonismus geht im Allgemeinen davon aus, dass es
zwei Welten gibt: die des Geistigen/Spirituellen und die des Weltlichen/Materiellen.
Diese beiden Welten sind nicht gleichwertig: das Spirituelle ist wertvoller
und dem Materiellen gegenüber vorzuziehen. So muss das Bemühen vorherrschen,
Räume des Spirituellen zu schaffen, die vom „Weltlichen“ abgesondert
sind. Das Christentum ist seit Jahrhunderten von diesem Denken bestimmt. „Seelsorge“
wird von „Geistlichen“ besorgt; „spirituelle“
und „mystisch“ begabte Menschen werden bevorzugt.
Dabei wird kaum wahrgenommen, dass der Mensch von sich selbst entfremdet wird.
Denn er ist immer zugleich Körper und Geist, Weltbürger und Beseelter.
Von der Kirche von Kindheit an beeinflusst, macht er zwar die Erhöhung
des Spirituellen gegenüber dem Weltlichen mit, indem er sich auf „geistige
Übungen“, auf feierliche Liturgien am Sonntagmorgen, auf den Empfang
der Sakramente… einlässt; aber dieses Sich-Einlassen hat nichts mit
dem Weltlichen zu tun; hat auch keinen besonderen Einfluss auf das Weltliche.
So lebt auch der Christ zwei Leben in zwei Welten: in der Kirche zeitweilig
als Christ; in der Welt alltäglich wie alle anderen: „wie die Heiden,
Zöllner und Sünder“. -
Die Predigt Jesu ist weit entfernt von solchem „Platonismus“.
Jesus richtet das Augenmerk auf alles in der Welt, was krank, schwach und hilfsbedürftig,
oberflächlich und erlösungsbedürftig ist. Sofern sich der Mensch
in der Konkretheit des Lebens darauf einlässt, wächst er im Glauben
und in der Liebe (weniger in einem spirituellen Gewächshaus). Das „Geistige“
wirkt dann wie ein innerer Motor auf das „Weltliche“; es verwandelt
„Weltliches“ im Kleinen wie im Großen. Wie der Geist Gottes
die ganze Schöpfung durchwaltet, so wird beim Menschen das Geistige zu
einer Kraft, die den Alltag bestimmt. Daraus ergibt sich die entscheidende Blickrichtung
jeder Pastoral und religiösen Erziehung: die Menschen auf ihre „weltlichen
Aufgaben“ einzustellen und zu schulen, damit sie auf diese Weise im Geistigen
und Spirituellen erwachsen werden. Hier noch einige Impulse dazu:
- Das Aushängeschild „geistliche Gemeinschaften“ erweckt
den Eindruck einer Mönchsgemeinschaft in der Wüste, deren
Mitglieder alles „Weltliche“ hinter sich gelassen haben bzw. als
„zweitrangig“ ansehen. Sie tragen eine sehr bescheidene Kleidung,
nähren sich von Heuschrecken und wildem Honig und haben Johannes den
Täufer als Vorbild ((Mk 1.6). Eine Gemeinschaft also, die Gott in der
Wüste bzw. Einsamkeit sucht und begegnet.
- Die Gemeinde Jesu Christi dagegen ist gewöhnlich mitten in der
Welt, deren Mitglieder einen Beruf ausüben, die eine Ehe eingehen
und eine Familie gründen, oder in Ausnahmefällen als Unverheiratete
irgendein Aufgabenfeld bearbeiten. Eine Gemeinschaft also, die Gott sucht
und begegnet als Schöpfergott, dem an der gesamten Welt und Menschheit
gelegen ist, der den Menschen Gebote gegeben hat zu ihrem und aller Wohl und
Erlösung, der immer wieder Boten (Propheten) in die Welt gesandt hat
und sendet, damit die Menschheit die Wege Gottes nicht verlässt und so
nicht in die Irre geht.
- Im Sinne der Gemeinde Jesu Christi ist jeder Einzelne gerufen und berufen,
sich am Erlösungswerk Jesu Christi aktiv und schöpferisch zu beteiligen.
Dabei geht es immer um die zu heilende und zu erlösende Welt: heil machen,
was verwundet ist; gesund machen, was krank ist; satt machen, was ausgehungert
ist… Jeder auf seine Weise und in seiner Lebenslage! Deshalb hat jeder
Christ in der Taufe und Firmung den heiligen Geist empfangen. Die Teilhabe
am schöpferischen und in der Welt handelnden Geist Gottes befähigt
den Menschen, auf seine Weise erfinderisch und schöpferisch zu sein,
damit im Kleinen wie im Großen das „Reich Gottes“ seinen
Anfang nehmen kann, bis es in Gott seine Vollendung findet. Das Glaubensbekenntnis
jedes Einzelnen könnte lauten: „Ich, von Gott in die Welt gesetzt,
glaube an mich und meinen Auftrag in der Welt. Ich glaube auch an die mir
von Gott gegebenen Gaben und Fähigkeiten, die ich – bei allen Schwächen
und Gebrechen – dazu erhalten habe, dass ich jeden Tag ein Stück
meines Auftrags erfülle. Jeder Tag ist wichtig, denn es gibt ihn nur
1x im Leben“. –
- Weil es in jedem Lebensalter um Gaben und zu erfüllende Aufgaben geht,
kann die Lebensgeschichte jedes Einzelnen als Glaubensgeschichte
gelebt und verstanden werden, d.h. in der Lebensgeschichte wächst die
Glaubensgeschichte – vom Kinder- zum Erwachsenenglauben. Wie ein Kind
seelisch-geistig nur wachsen kann im Spielen mit anderen und im Erfüllen
der täglichen „Hausaufgaben“, so wird der Erwachsene erwachsen
in der Konfrontation mit dem Leben. Auch im Glauben kann man so erwachsen
werden (weniger im religiösen Gewächshaus). Das „Geistliche“
ist also kein Sonderbereich neben dem „Weltlichen“, sondern
spielt sich im Innersten des „Weltlichen“ ab, ist dessen tiefster
Bodensatz, ist Motor und Schubkraft zu Motivationen, die alles bewegen und
tragfähig gestalten.
- Die Zugehörigkeit zu einer Kirche oder religiösen Gemeinschaft,
Gebet und Meditation, der Empfang der Sakramente… dürfen nicht
aus dem Weltauftrag herausführen, sondern müssen Besinnungszeiten
sein zum wesentlicheren Umgang mit sich selbst, mit den Mitmenschen
und der Welt, die es zu heilen und zu erlösen gilt. „Weltliche“
Aufgaben sind immer auch geistige/geistliche, so wie der Mensch immer zugleich
Körper und Seele, Körper und Geist ist.
- Was die einen und die anderen zum Weltgeschehen beitragen, kann man bildlich
am Bau des Kölner Domes zur Darstellung bringen: Hunderte von
Jahren Bauzeit und Tausende von Arbeitern und Handwerkern! Diese, mit ihren
kleinen Handwerksarbeiten an tausend Stellen beschäftigt, kennen nicht
den gesamten Bauplan der Architekten, nicht das Ende und das Ergebnis der
Bautätigkeit. Dennoch sind jeder Arbeiter und jeder Handgriff unverzichtbar
wichtig. – Ähnlich ist es auch mit dem von Jesus verkündeten
„Reich Gottes“. Wir bauen alle daran. Dessen Ende und Vollendung
kennen wir nicht. Im Glauben und Hoffen auf sein Kommen erfüllen wir
unseren Auftrag, als kleine Lichter der Welt und als eine kleine Portion Sauerteig,
bis alles Licht wird und Sauerteig, der alles durchsäuert.
© imprimatur März 2012
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