Norbert Scholl
Das „Jahr des Glaubens“ – zurück in die alten Bastionen

Papst Benedikt XVI. hat im Motu proprio „Porta fidei“ ein Jahr des Glaubens ausgerufen, beginnend mit dem 11. Oktober 2012, dem Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Kongregation für die Glaubenslehre hat am 6. Januar 2012 dazu eine „Note mit pastoralen Hinweisen“ veröffentlicht (http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20120106_nota-anno-fede_ge.html). Sie enthält „Vorschläge mit Beispielcharakter und dem Ziel, eine bereitwillige Antwort der Kirche auf die Einladung des Heiligen Vaters zu fördern, dieses Jahr wirklich als eine ,Zeit der Gnade’ zu leben.“

Der Beginn dieses Jahres des Glaubens ist auf den 50. Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils gelegt. „Nach den Worten von Papst Johannes XXIII. wollte das Konzil ,die katholische Lehre unverfälscht und vollständig weitergeben, ohne sie abzuschwächen oder zu entstellen’, und sich dafür einsetzen, dass ,diese sichere und unwandelbare Lehre, welcher der Gehorsam des Glaubens gebührt, in einer Weise erforscht und dargelegt werde, die unserer Zeit entspricht’.“ Dass es Johannes XXIII. vor allem um ein aggiornamento, um das Heutigwerden der Kirche, ging, wird nicht erwähnt. Stattdessen wird der Schwerpunkt auf die „Kontinuität zur Tradition“ und auf die „sichere Leitung des Lehramts“ gelegt. Die Frage, inwieweit die Tradition von der Intention der befreienden Botschaft Jesu im Laufe der Zeit abgewichen ist, stellt sich offenbar nicht. Darum wird auch nicht das Lesen der Bibel empfohlen.

Die Note stellt fest, dass „die Kenntnis der Glaubensinhalte wesentlich (ist), um die eigene Zustimmung zu geben … das heißt: um sich dem, was von der Kirche vorlegt wird, mit Verstand und Willen völlig anzuschließen.“ Es wird nicht klar, wer oder was hier mit „Kirche“ gemeint ist – das ganze Volk Gottes, die Bischöfe, der Papst? Bei einem bemerkenswerten Vortrag in der Katholischen Akademie Bayern in München sagte Kardinal Kasper unlängst: Das „Leben der Kirche nach innen wie nach außen (sollte) durch einen kommunikativen Stil der Brüderlichkeit, der Freundschaft und des Vertrauens und durch eine hör- und lernbereite Dialogkultur geprägt sein.“ Die Note und die Lineamenta lassen davon nichts erkennen. Vom sensus fidelium ist nicht die Rede.

In der Note wird auf den „Katechismus der Katholischen Kirche“ als „wertvolles und unentbehrliches Hilfsmittel ... zu einer systematischen Kenntnis der Glaubensgeheimnisse“ verwiesen. Der Katechismus biete „eine bleibende Erinnerung an die vielen Weisen, in denen die Kirche über den Glauben meditiert und Fortschritte in der Lehre hervorgebracht hat, um den Gläubigen in ihrem Glaubensleben Sicherheit zu geben.“ Man höre/lese und staune! Ausgerechnet ein Katechismus, der schon bald nach seinem Erscheinen im Jahr 1993 heftige und weit verbreitete Kritik erfuhr. Theologen und Exegeten konnten überzeugend nachweisen, dass sich dieses Werk nicht auf der Höhe der theologischen Wissenschaft und der modernen historisch-kritischen und auch kanonischen Exegese befindet, dass er in vielen Positionen eine vorkonziliare Theologie, eine nicht argumentierende, sondern dekretierende Ethik und Moral vertritt, dass er eine Exegese zugrunde legt die dem Stand der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts entspricht, und dass er von einer weitgehend unökumenischen Einstellung getragen ist. Nach den Aussagen des Zweiten Vatikanums sind die Ortsbischöfe als Nachfolger der Apostel und die örtlichen Bischofskonferenzen selbst in der Lage, den Glauben authentisch in ihre Region und ihre Zeit zu übersetzen (LG 26). Dazu brauchen sie keinen theologisch und exegetisch längst überholten Katechismus. Christlicher Glaube als bleibende Erinnerung an de befreiende Botschaft Jesu muss im Heute als „gefährliche Erinnerung“ (J.B. Metz) wirksam werden, nicht als bloße Tradition.

Der Glaube soll nach den Vorstellungen der Note „zu einem neuen Maßstab (werden) für das Denken und Tun, der das ganze Leben des Menschen verändert … Das Jahr des Glaubens wird auch eine günstige Gelegenheit sein, das Zeugnis der Liebe zu verstärken.“ Da frage ich mich, ob diese Liebe am Werk ist, wenn um der Aufrechterhaltung eines zeitbedingten kirchlichen Gesetzes, des Zölibats, willen, ganze Pfarreien „vor die Hunde gehen“ müssen (P. Zulehner), wenn Frauen mit exegetisch und theologisch fadenscheinigen Begründungen vom Zugang zu kirchlichen Ämtern ferngehalten werden.

Die Note stellt fest: „Die freudige Wiederentdeckung des Glaubens kann auch dazu beitragen, zwischen den verschiedenen Gruppen, aus denen die große Familie der Kirche besteht, die Einheit und die Gemeinschaft zu festigen.“ Aber ist das wirklich in einem umfassenden Sinne gewollt? Oder sind als die „verschiedenen Gruppen“ nur die „anerkannten“ Gruppierungen gemeint (Opus dei, Engelwerk), nicht aber jene, die „gemieden“ werden sollen wie z. B. die Reformgruppen oder die Befreiungstheologen?

Als gute Möglichkeit, den Glauben zu stärken, werden Pilgerfahrten nach Rom, das nächste Weltjugendtreffen und Symposien vorgeschlagen, die vor allem der „Wiederentdeckung der Lehren des II. Vatikanischen Konzils“ dienen sollen. Gleich anschließend wird dazu aufgerufen, „die Homilien, Katechesen, Ansprachen und anderen Äußerungen des Heiligen Vaters mit noch größerer Bereitschaft aufzunehmen. Die Hirten, die Gottgeweihten und die christgläubigen Laien sind eingeladen, sich in wirklicher und aufrichtiger Treue zur Lehre des Nachfolgers Petri neu zu engagieren.“ Es geht aber nicht um die „Lehre des Nachfolgers Petri“, sondern um die Botschaft Jesu, an dem sich die Lehre seiner Kirche immer neu zu orientieren hat. Es geht auch nicht nur um die Lehre, sondern auch um die Praxis des Glaubens, um das Leben der Gemeinde, die seinen Namen trägt und die ihm ein „heiliges Volk, eine königliche Priesterschaft“ ist (1 Petr 2,9). Die Leiter der Gemeinde dürfen sich nicht wie Herren benehmen, sondern wie „Helfer zur Freude“ (2 Kor 1,24).

Unverständlich ist, warum nicht alle Gläubigen, also auch die so genannten „Laien“, zu einem „Gespräch über den Glauben“ eingeladen werden, wie das – unter anderem Vorzeichen – die Bundeskanzlerin mit ihrem für dieses Jahr geplanten „Dialog über Deutschlands Zukunft“ plant. Die Gläubigen („Laien“) werden als Objekte und nicht als Subjekte, als passive Empfänger oberhirtlicher Belehrungn und nicht als aktive Mitarbeiter im Glauben behandelt. Warum wird das gesamte Volk Gottes nicht in die Überlegungen einbezogen, wie das „Jahr des Glaubens“ am wirksamsten zu gestalten ist? Warum nehmen Papst und Bischöfe nicht zur Kenntnis, dass es inzwischen viele reife und mündige Christen gibt, die in den Fragen der Theologie und der Exegese gut gebildet sind und über ein profundes Glaubenswissen verfügen, das dem der Bischöfe in keiner Weise nachsteht?

Im Jahr des Glaubens sollen, so die Note, „verschiedene ökumenische Initiativen ergriffen werden, um ,für die Wiederherstellung der Einheit aller Christen’ zu beten und zu arbeiten, was einem ,der Hauptanliegen des Heiligen Ökumenischen Zweiten Vatikanischen Konzils’ entspricht.“ Wir beten und arbeiten seit 50 Jahren für die Einheit der Christinnen und Christen und müssen leider immer wieder hören, dass wir nichts überstürzen dürfen. „Die Kirche denkt in Jahrhunderten“ – das mag für Rom gelten, die Menschen hier und heute wollen nicht so lange warten. Und so werden sie nicht nur für die Einheit beten und arbeiten, sondern sie ganz einfach leben – in versöhnter Verschiedenheit. Auch in Deutschland werden die Christinnen und Christen in der Gesellschaft nicht mehr gehört werden, wenn sie nicht mit einer Stimme reden, ganz abgesehen davon, dass uns viel mehr eint als uns trennt.

Kardinal Kasper hat bei seinem Münchener Vortrag und zuvor schon bei seiner Replik auf das Theologenmemorandum von der Dringlichkeit einer intensiven und qualifizierten Erörterung der „Gotteskrise“ gesprochen und ein neues Reden von Gott gefordert. „Wir brauchen eine theozentrische Wende in der Theologie, insbesondere in der Theologie und in der Praxis der Kirche … Wir müssen Ekklesiologie als Theologie betreiben. …Die Botschaft, welche die Kirche zu sagen hat, hat heute nicht etwa ausgedient, sie ist heute aktueller als vielleicht je.“ Ähnliches gilt auch von der Christologie. Ist jenen Gläubigen, die (noch) sonntags am Gottesdienst teilnehmen, noch zuzumuten, die zwar altehrwürdigen, aber heute vielfach unverständlich und sogar missverständlich gewordenen Formeln des Credo sprechen zu lassen: „…Schöpfer des Himmels und der Erde, …vom Himmel herabgestiegen, …empfangen von Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau, …aufgefahren in den Himmel?“ - ohne ihnen eine längere Erklärung über den damaligen Verständnishintergrund zu geben? Müsste die Glaubenkongregation nicht längst daran gegangen sein, die tradierten christlichen Glaubensformeln in eine heute allgemein verständliche Sprachform zu übersetzen? Und wäre das „Jahr des Glaubens“ nicht eine günstige Gelegenheit, das Gespräch mit allen über eine Neuformulierung der alten Glaubenswahrheiten zu suchen und endlich in Angriff zu nehmen? „Das Jahr des Glaubens ,wird eine günstige Gelegenheit sein, um auch die Feier des Glaubens in der Liturgie zu verstärken, besonders in der Eucharistie’In der Eucharistie, Geheimnis des Glaubens und Quelle der Neuevangelisierung, wird der Glaube der Kirche verkündet, gefeiert und gestärkt. Alle Gläubigen sind eingeladen, bewusst, tätig und fruchtbar an der Eucharistie teilzunehmen, um authentische Zeugen des Herrn zu sein.“ Wie kann das geschehen, wenn viele liturgische Formeln und Handlungen für die Mehrzahl der Gläubigen unverständlich und nicht (mehr) nachvollziehbar erscheinen?

Kardinal Kasper thematisierte in seinem Vortrag auch die Frauenfrage: „Dass auch den Frauen ihr Platz zukommen muss, sollte eigentlich selbstverständlich sein, ist aber in der römischen Kurie leider immer noch ein Desiderat.“ Dass in der Note mit keiner Silbe davon die Rede ist, macht die kuriale Uneinsichtigkeit deutlich. Wann kommt endlich ein ernsthaftes Gespräch über die Zulassung von Frauen zum Diakonat und zum priesterlichen Dienst zustande?

Das Reich Gottes ist Inhalt der Botschaft Jesu. Diese Zielrichtung des Evangeliums ist bei der ganzen Rede von einer Neuevangelisierung nicht ein einziges Mal angesprochen worden. Und doch ist die Herrschaft Gottes das zentrale Thema der Botschaft Jesu, das „Reich der Wahrheit und des Lebens, das Reich der Heiligkeit und der Gnade, das Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“, wie es in der Christkönigs-Präfation heißt. Eine Neuevangelisierung muss die Welt von heute in den Blick bekommen, eine Welt der Lüge und des Todes, eine Welt des Unheils und der Selbstsucht, eine Welt des Unrechts, des Hasses und des Krieges. Würden die fast 1,3 Milliarden Christinnen und Christen wirklich nach der befreienden Botschaft Jesu leben, dann sähe die Welt anders aus. „Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern“. Warum ruft der Papst nicht dazu auf, das Reich Gottes, das schon angebrochen ist, in unserem Tun immer mehr zu verwirklichen?

Es besteht leider Anlass zu der Befürchtung, dass vom Jahr des Glaubens nicht eine befreiende Öffnung und eine Fortschreibung der Überlieferung zu erwarten ist, sondern eine theologische Engführung und eine Einschnürung in das Althergebrachte. Alles von Papst und Kurie noch so gut gemeinte Agieren wird ins Leere laufen, wenn nicht ein wirklich grundlegendes “aggiornamento“ des Glaubens in Angriff genommen wird.


© imprimatur Mai 2012
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