Mein Vater, Bergmann, Jahrgang 1910, wurde von seinem Skatkumpel angezeigt,
weil er nach der Niederlage von Stalingrad in die Kartenrunde gesagt hatte:
„Jetzt ist der Krieg endgültig verloren!“. Er wurde verraten,
bekam den Stellungsbefehl für eine Strafkompanie an die Ostfront. Weil
er auf keinen „Feind“ schießen wollte, gab es nur einen Ausweg,
sich freiwillig zu den Sanitätern zu melden, wohl wissend, dass 80 % von
ihnen fielen. Am Ende war er in den polnischen Karpaten eingesetzt.
Auf dem Rückzug vor den Russen, transportierte er mit einem Pferdefuhrwerk
Verwundete von der Front zum Verbandsplatz. Unter Panzerbeschuss geraten, starben
viele der scheinbar Geretteten, ihm selber durchschlug ein Granatsplitter den
linken Beckenknochen. Die Sanitäter hielten seine Verletzung für einen
Bauchschuss und ließen ihn im Gedränge der Flucht bei den Unrettbaren
zurück.
Eine alte polnische Frau bemerkte den um Hilfe Rufenden unter den Toten und Sterbenden. Sie lud ihn auf ihr Ziehwägelchen, nahm den schwerverwundeten deutschen Soldaten mit zu sich nach Hause, peppelte ihn mit Pellkartoffeln und Gemüse aus dem Garten wieder auf. Als Sanitäter konnte er die Wunde selbst versorgen. Im Juli 1945 gelangte er auf Krücken heim.
Ein Skatbruder aus dem eigenen Dorf lieferte ihn an die Geheime Staatspolizei aus. Eine Polin, die unter dem deutschen Militär gelitten hatte, rettete ihm das Leben.
Als ich diese Geschichte beim Klassentreffen zum 70. Geburtstag des Jahrgangs 1935 erzählte, kam eine Klassenkameradin zu mir: „Meinen Vater hat der N. K. angezeigt (es war derselbe Denunziant), aber mein Vater ist gefallen.“
Nach dem Krieg wurde N. K. wegen seiner Funktion in der NSDAP zur Entnazifizierung im Lager Theley inhaftiert. Danach lebte er gleichsam unbescholten bis zu seinem Tod in Thalexweiler.
Mein Vater, von mir gefragt, warum er nichts gegen seinen Verräter unternehme, gab zur Antwort: „Ich treffe damit nicht nur ihn, ich träfe seine Familie, und was kann die Familie dafür, dass ihr Angehöriger ein hinterhältiger Mensch war!“
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