In der Saarbrücker Zeitung fand sich jüngst ein Paradebeispiel für die unkritische Übernahme eines frommen Erinnerungskults in einem Beitrag von Dr. Albert H. V. Kraus über Kaplan Dasbach. Leider hat der ansonsten geschätzte Autor des Saarbrücker Bergmannskalenders in seiner Lobeshymne in der Heimatbeilage der SZ über Georg Friedrich Dasbach dessen aggressiven Antisemitismus verdrängt und verschwiegen[1].
Mit 14 Jahren kam Georg Friedrich Dasbach in das humanistische Gymnasium in
Brilon im Sauerland, zwei Jahre später an das Gymnasium zu Trier, das spätere
Friedrich-Wilhelm-Gymnasium. Dort legte er im August 1864 das Abitur ab; dann
begann er das Studium der Philosophie und Theologie am Trierer Priesterseminar.
Der begabte und durchaus ehrgeizige Theologiestudent bewarb sich mehrmals für
ein Studium am Collegium Germanicum, dem von Jesuiten betriebenen päpstlichen
Kolleg für Priesterkandidaten aus dem Gebiet des früheren Römischen
Reiches Deutscher Nation und aus Ungarn in Rom. Dass er damit im Oktober 1866
Erfolg hatte, sollte für seine weitere Laufbahn von entscheidender Bedeutung
sein: In Rom hatte Papst Pius IX. gerade mit dem Syllabus errorum den vermeintlichen
Irrlehren der Zeit den Kampf angesagt, und das Collegium Germanicum gab den
Geist dieser Kampfansage in vollem Umfang an seine Zöglinge weiter.
Dass der junge Kaplan in der Trierer Pfarrei St. Gervasius voller Begeisterung über seine römischen Erfahrungen zu denjenigen gehörte, die gegen die ersten Maßnahmen des Kulturkampfs protestierten, kann nicht überraschen. Beim Protest gegen den „Kanzelparagraphen“ (Strafgesetzbuch §130a) vom November 1871, mit dem den Geistlichen politische Agitation untersagt wurde, war Dasbach ebenso dabei wie beim Aufruhr angesichts der Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht und der Ausweisung des Jesuitenordens 1872.
Am 22. Dezember 1873 berichtete der Regierungspräsident von Trier an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz: „… der Kaplan Dasbach, ein ehemaliger Jesuitenzögling, ist der rührigste und gefährlichste Agitator von allen und befindet sich mehrfach in gerichtlicher Untersuchung. Die königliche Regierung wird, sobald genügend Material gegen ihn vorhanden sein wird, die Einleitung des Verfahrens auf Amtsentlassung nach § 24 des Gesetzes vom 12. Mai d. J. gegen ihn beantragen“. Am 5. September 1875 wurde ihm vom Oberpräsidenten in Koblenz die Ausübung geistlicher Amtshandlungen untersagt[2].
Bemerkenswerter ist, dass er bei diesen Protesten seinen Sinn fürs Praktische, seine organisatorische Begabung und seine Fähigkeit zu verständlicher Darstellung zur Geltung bringen konnte[3]. So wurde er zum eigentlichen Organisator des politischen Katholizismus des Trierer Landes und zum wirkungsvollsten Agitator im Wahlkampf zu den Reichstagswahlen vom Januar 1874, die dem Zentrum den großen Durchbruch bescherten.
Die umfangreiche verlegerische Tätigkeit Dasbachs als Alleinbesitzer des Paulinus Unternehmens war aber kein Selbstzweck. Stets ging es um die Mobilisierung der katholischen Wähler für die Zentrumspartei, und auch in dieser Hinsicht war Dasbach erfolgreich. Die Pressevielfalt im Trierer Land, die er trotz aller politischen Widerstände initiierte, ist sein bleibendes Verdienst. Erst nach dem Abklingen des Kulturkampfs zu Beginn der 1880er Jahre trat das Eintreten für die sozialen Belange der Wähler stärker in den Vordergrund.
Bislang hat der fromme Erinnerungskult ausschließlich Dasbachs positive Seiten betont. Mit seinem Trierischen Bauernverein und den Darlehenskassen setzte er sich für die Landwirte und Winzer ein. Viele verdankten ihm die Rettung aus der Überschuldungsfalle und den Schutz vor überzogenen Kreditzinsen, was damals „Wucher“ hieß. Verschwiegen wird, dass die reale Erbteilung mit einhergehender nichtexistenzfähiger Landwirtschaft die Hauptschuld an der Misere trug. Kredite wurden auch aufgenommen, um die Geschwister auszubezahlen oder um den ledigen Bauerntöchtern einen Exklusiveintritt in eine Ordensgemeinschaft zu erleichtern.
Im Paulinusblatt konnte man am 28. November 1880 von der „heutigen Herrschaft des Judentums“ lesen, die „als Vampire das Mark und Blut des Volkes aussaugen und als feiste Herrn in der Geldwelt, in der Presse sich groß tun und über Krieg und Frieden verfügen“. Die Judenbekämpfung sei keine Judenhetze, sondern diene zum Schutze der Christen. Um dieser „Ausbeutung“ – ob es sich wirklich um eine solche hielt, sei dahin gestellt – entgegenzuwirken, wurden verschiedene Organisationen gegründet (20.06.1886: Hermeskeiler Spar- und Darlehenskasse; 04.10.1885: Verein gegen den Wucher im Saargebiet; 16.02.1895: Landwirtschaftliche Bank in Trier), die „nicht gegen den Viehhandel als solchen, sondern ,gegen die Handlungsweisen einiger Personen, gleichviel welchen Glaubens und welcher Stellung“ gerichtet waren. Diese Institutionen waren darauf eingerichtet, den Bauern Kredite zu verschaffen, ohne dass Juden daran beteiligt waren. Darlehenskassen mussten aus Existenzgründen ebenfalls Zinsen verlangen. Es zeigte sich aber auch, dass viele kleine Bauern weiter bei Juden Vieh kauften bzw. verkauften oder Geld aufnahmen, weil diese ihnen noch dann Kredit gewährten, wenn die Banken wegen fehlender Sicherheiten schon lange kein Geld mehr zur Verfügung stellten.
Viele Juden waren in diesem Zusammenhang wesentlich sozialer eingestellt als die nichtjüdischen Bankleute. Der große Helfer des Trierer Landvolkes, der Nichtkatholiken, Gottlose, Sozialdemokraten und Juden erbittert bekämpfte, gab 1887 sein antisemitisches Pamphlet „Der Wucher im trierischen Lande” heraus, eine üble, Klima vergiftende Hetzschrift. Im Trierischen Bauernverein war Juden die Mitgliedschaft verboten.
Dasbachs Paulinusblatt führte seit 1879 eine eigene Rubrik: „Das Wucherunkraut“, wo jahrelang vornehmlich der „Judenwucher“ angeprangert wurde. Das St. Paulinusblatt veröffentlichte bereits 1883/84 eine dreiteilige Artikelreihe zum Thema „Der Geschäftsverkehr zwischen Juden und Christen“. Ausgehend von den scheinbar gegen Christen gerichteten Aussagen des „Schulchan Aruch“ behauptete Dasbachs Blatt, es sei Juden erlaubt, Christen zu betrügen[4].
Dasbachs Einfluss auf die antijüdische Stimmung in den örtlichen Trierer Bauernvereinen ist nicht von der Hand zu weisen. Von Seiten des Trierischen Bauernvereins, Ortsverein Lebach gab es Bestrebungen, die jüdischen Händler vom Markt auszuschließen. In Lebach kam es im November 1885 zum Marktboykott jüdischer Viehhändler. Erschrocken über die wirtschaftlichen Folgen wies der Bauernverein auf §2 und §3 seiner Satzung hin, in der es heißt: „...irgendeine Religionsgemeinschaft aus dem Handel verdrängen zu wollen, liegt dem Vereine fern, und es steht jedem Mitglied des Vereins frei, zu kaufen und zu verkaufen von wem und an wen es will“. Kleinlaut gab man zu „die Eingangs gemeldeten Gerüchte entstammen also offenbar gewissen, dem Vereine nicht günstigen Anschauungen; ob letztere auf Irrthum oder Chikane beruhen, lassen wir dahingestellt[5]“.
Der Bauernverein gewährte seinen Mitgliedern Rechtshilfe bei Viehhandelsprozessen, die bei jüdischer Prozessbeteiligung von dem Verein ins „rechte“ Licht gerückt wurden. Dasbachs Spektrum antisemitischer Stereotype war jedoch viel breiter. Es reichte von traditionellen religiösen Vorurteilen bis hin zur Überzeichnung der Juden als Fremde. Einen Rassenantisemiten kann man den Kaplan jedoch nicht nennen. Gleichwohl war die Kampagne schonungslos.
Welchen Schaden richtete Dasbachs Gesinnungsdruck auf katholische Wähler, die Diffamierung von Abweichlern als Ungläubigen und der notorische Judenhass unter Katholiken im Saar-Moselraum an? Manche Dasbachfreunde behaupten ja bis heute, er habe bloß die Verhältnisse des „Wuchers” beschrieben, ohne sich der darin ausgedrückten Vorurteilstradition bewusst zu sein. Welchen nachhaltigen Schaden erlitten die Juden durch die antisemitischen Mentalitätsmuster? Eindringlich warnte der als „Helfer” des Landvolks verharmloste Dasbach vor dem Umgang mit Juden. Knapp 30 Jahre nach seiner Beerdigung beschnitten die Nürnberger Gesetzte den Kontakt mit Juden, später brannten ihre Synagogen, auch die Synagoge in Trier[6].
Welche Spuren hinterließ die Propaganda Dasbachs, seiner Presse und
des Paulinusverlages, um das Wahrnehmen, Wegschauen und Schweigen vieler Katholiken
bis hin zur Mittäterschaft vorzuprägen? Gibt es eine stringente Linie
vom Antisemitismus Dasbachs über den von Bischöfen in der NS-Zeit
bis zu dem der Pius-Brüder?
Eine erbetene Intervention gegen den geplanten Boykott jüdischer Geschäfte
1933 befürwortete etwa der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, der
Breslauer Kardinal Bertram, nicht. In einem Rundbrief an die Erzbischöfe
von Köln, München, Freiburg, Paderborn und Bamberg vom 31. März
1933 führte er dafür folgende Gründe auf: „Meine Bedenken
beziehen sich 1. darauf, dass es sich um einen wirtschaftlichen Kampf in einem
uns in kirchlicher Hinsicht nicht nahestehenden Interessentenkreis handelt;
2. dass der Schritt als Einmischung in eine Angelegenheit erscheint, die das
Aufgabengebiet des Episkopats weniger berührt, der Episkopat aber triftigen
Grund hat, sich auf sein eigenes Arbeitsgebiet zu beschränken[17].“
Dr. Olaf Blaschke von der Universität Trier weist nach, dass Dasbach sich selber auch als Antisemit verstand und gewissermaßen stolz auf diese Geisteshaltung war[8]. Offenbar hat das sein Kollege, der Historiker Prof. Dr. Wilfried Loth von der Universität Duisburg-Essen wohl nicht bemerkt. Dasbachs dunkle Seite mit ihren gefährlichen Antisemitismus war ja eigentlich schon bei seinem 90. Todestag bekannt und wurde unlängst in Martin Perschs und Bernhard Schneiders Band V „Geschichte des Bistums Trier“, also drei Jahre vor der Gedenkveranstaltung in objektiver Weise ausgeleuchtet[9]. Umso merkwürdiger klingt es, wenn der „Paulinus“ sich zum 100. Todestag dem Erbe Dasbachs verpflichtet fühlte.
Er habe das kirchliche und politische Leben an Mosel und Saar in der Zeit des deutschen Kaiserreiches in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts „geprägt wie kein zweiter“. Das hat der Historiker Prof. Dr. Wilfried Loth von der Universität Duisburg-Essen am 12. Oktober 2007 bei einer Gedenkveranstaltung des „Paulinus“ und der Pfarrei Liebfrauen in Trier anlässlich des 100. Todestags von Dasbach hervorgehoben. Auswirkungen haben die Erkenntnisse Blaschkes auch im erwähnten Artikel der SZ wohl nicht, denn, wie er selbst schreibt, werden diese dunklen Seiten von Dasbachs Arbeit einfach nicht zur Kenntnis genommen und verschwiegen. Nötig wäre aber eine Aufarbeitung von Dasbachs Wirken, die zu einem ausgewogeneren Urteil beitragen und über einen katholischen Antisemitismus aufklären würde.
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