Leserforum
„Jesus bleibet meine Freude“
Ein Rückblick auf die Fachtagung „Notwendige
Abschiede – Rettende Neuanfänge. Mein Ich im Strudel von Hoffnung,
Freude, Wut und Mut“ 27.-28.01.2012 in Schmerlenbach
„Jesus bleibet meine Freude.“ Der Titel einer der bekanntesten Kantaten aus dem Werk von Johann Sebastian Bach stand programmatisch über der diesjährigen Tagung der Fachgruppe Theologie im Ruth Cohn Institute for TCI international. Programmatisch, weil es um den eigenen, persönlichen Standort zwischen „notwendigen Abschieden“ und „rettenden Neuanfängen“ in der Diskussion um die Zukunftsfähigkeit der Großkirchen ging. Er „bleibet“ dennoch oder gerade jetzt „meine Freude“, wo der Status der Kirchen als sinnstiftende Institution in der Mehrheitsgesellschaft ins Wanken geraten ist. Oder ist selbst der Kern des eigenen christlichen Glaubens bereits in den Strudel des Verlustes an Kirchlichkeit hinabgezogen?
Die Analysen zur Lage der Kirchen sind bekannt: Der Traditionsabbruch mit der Folge einer schleichenden Erosion der Volkskirche prägt die evangelische Kirche mehr als die katholische. Im Schatten einer „Kirche der Freiheit“ (so ein Slogan der EKD aus dem Jahre 2007) liegt die Möglichkeit, die Bindung zur eigenen, oft als konturlos empfundenen Kirche frei abzuwählen. Auch wenn diese Themen in der katholischen Kirche zunehmend in den Blick kommen, steht dort eher die Auseinandersetzung zwischen kirchlichen Strukturen und Werten mit denen unserer Gesellschaft im Vordergrund: vom antidemokratischen, auf Rom zentrierten Amtsverständnis über den Pflichtzölibat der Kleriker und die weitgehend antiökumenische Interpretation der Sakramente bis hin zu kategorischen Positionierungen in ethischen Grenzfragen.
Ein großer Teil der (ehemaligen) Christen kümmert sich um diese Themen kaum noch, sondern bewegt sich in einer frei vagabundierenden Religiosität, die sich von kirchlichen Dogmen und Traditionen zunehmend abgekoppelt hat, und gewinnt persönliche Überzeugungen im Patchworkverfahren, christliches Gedankengut ausdrücklich eingeschlossen.
Währenddessen stehen die Menschen, die ihrer Kirche (beruflich) verbunden sind, vor der Aufgabe, „notwendige Abschiede und rettende Neuanfänge“ einzufordern und zu gestalten. Niemand von ihnen weiß, ob die erhofften oder eingeleiteten Neuanfänge wirklich „retten“, seien es pointierte Gestaltungen einer „Kirche von unten“ gegen die Macht der katholischen Hierarchie oder seien es die typisch evangelischen Versuche, eine persönliche Vergewisserung im Glauben durch Bildungsprogramme („Glaubenskurse“) zu fördern.
All diese Analysen zur Lage der Kirchen und zur Religiosität der Menschen sind bekannt. Dafür hätte es dieser Fachtagung nicht bedurft. Das wertvolle „Mehr“ war der spezifische Akzent aus der Themenzentrierten Interaktion (TZI), die nach ihrer Begründerin Ruth C. Cohn (1912-2010) die Themen der Zeit mit dem in Verbindung bringt, wie es die Menschen selbst und persönlich betrifft: „Mein Ich im Strudel von Hoffnung, Freude, Wut und Mut.“
Der Untertitel der Tagung eröffnete Raum zum Austausch, also zur Interaktion über das persönliche Involviertsein und die damit verbundenen emotionalen und aktionalen Reaktionen. Mit persönlicher Klärung (im TZI-System zwischen „Ich“ und „Globe“) und Interaktion (das „Wir“ im TZI-System) in der Tagungsgruppe entstand ein Raum, indem die Handlungsmöglichkeiten angesichts der Aufgabe (im TZI-System das „Es“) von bewahrenden oder transformierenden Neuanfängen in der Kirche in den Blick kamen.
Zwischen literarischen Anregungen mit Kurztexten von Heinrich Heine bis Bert Brecht und Erfahrungsweisheiten christlicher Autoren, zwischen kritischen, aber auch freundlichen Gedanken über die Kirche und ihre Gestalt, verstrudelt in persönliche Gefühle von Ohnmacht und Wut, aber auch von Hoffnung und Mut, gestalteten die Teilnehmenden im lebendigen Austausch ihren persönlichen Weg innerhalb des Themas der Tagung.
Angesichts der Größe des Themas und der Macht negativer Bewertungen
der Analyse war es erstaunlich, welches Gewicht die ermutigenden, hoffnungsvollen
Impulse am Ende erlangten: Mag auch die Gestalt der verfassten Kirche sich wandeln,
im Zentrum aller Hoffnung und als Quelle der Gestaltungskraft steht der Glaube
an den befreienden Gott.
Als Fazit zitierte ein Teilnehmer den bekannten Ausspruch von Thomas Morus (1477/78-1535):
„Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der
Flamme." Aus solch fruchtbaren Inseln der Reflexion wie dieser Tagung kann
die Weisheit erwachsen, Asche und Flamme zu unterscheiden, und der Mut zur Weitergabe
der positiven Impulse des Glaubens, aber auch der Gestalt der Kirche.
Zum Vormerken: Die Fachtagung 2013 findet am 25. und 26. Januar im Kloster Volkenroda (Thüringen) im Gästehaus der ökumenischen Jesus-Bruderschaft statt. In Volkenroda steht seit 2002 der Christus-Pavillon von der EXPO 2000.
Rolf Lenhartz, 9.2.2012
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