Im April/Mai 2012 wird im Trierer Dom der „Heilige Rock“ ausgestellt,
in Erinnerung an die vor 500 Jahren erste Ausstellung dieser Reliquie, deren
Echtheit immer noch höchst umstritten ist.
Imprimatur druckt in diesem Zusammenhang die überarbeitete und aktualisierte
Fassung eines Artikels, der im Jahre 1996 anlässlich der damaligen Wallfahrt
erschienen ist.
30. Januar 1933: Ankündigung der Heilig-Rock-Wallfahrt und NS-Machtergreifung.
Ob Bischof Bornewasser von Trier an das Diktum seines Vorgängers Felix Korum gedacht hat, dass es stets „Weltereignisse“ gewesen seien, „die zur Ausstellung des heiligen Rockes“ angeregt hätten[2], mag füglich bezweifelt werden, zumal zu dem Zeitpunkt, als der amtierende Bischof am 30. Januar 1933, dem Feste Pauli Bekehrung, im „Kirchlichen Amtsanzeiger“ für die Diözese Trier anordnete und ankündigte, dass für die Zeit vom Sonntag, dem 23. Juli, bis zum Sonntag, dem 3. September, „zur Mehrung der Liebe zu unserm Heiland Jesus Christus, zum Trost aller Gläubigen in notvoller Zeit“ „die Ausstellung des Hl. Rockes unseres Herrn im Heiligen Jahre 1933“ stattfinden sollte[3]. Es ist wohl sicher ein zufälliges Ereignis, dass die Ankündigung der als Trierer Beitrag zum 1900jährigen Tode Christi gedachten Wallfahrt zeitlich damit zusammenfiel, dass der Reichspräsident gerade auch an diesem Tag den Führer der Nationalsozialisten, Adolf Hitler, zum Reichskanzler einer „rechten“ Koalitionsregierung ernannte, in der der ehemalige Zentrumsmann und Katholik Franz von Papen als Vizekanzler fungierte. Ex post betrachtet, wurde so der 30. Januar zum Beginn der im NS-Jargon so formulierten „Machtergreifung“ und „Nationalen Revolution“, durch die bzw. in der in Deutschland innerhalb von nur anderthalb Jahren ein totalitäres System geformt und in Staat und Gesellschaft die Führerdiktatur des Nationalsozialismus begründet wurde. Insofern waren sie das eigentliche „Weltereignis“, das die Welt veränderte, indem nach nur wenigen Jahren Hitler im Namen Deutschlands einen Eroberungs- und politisch und rassisch begründeten Krieg, den 2. Weltkrieg, auslöste und begann.
Erscheinen unter diesem Aspekt die Ankündigung der Wallfahrt und die „NS-Machtergreifung“ in zufälliger zeitlicher Koinzidenz, so lässt sich jedoch aufzeigen, dass die Ereignisketten bzw. –zusammenhänge von Politik und Religion in der ersten Hälfte des Jahres 1933 doch auf eigentümliche Weise miteinander verschränkt und vermittelt erscheinen. Denn die Zeit zwischen dem 30. Januar und dem 23. Juli, dem Beginn der Heilig-Rock-Wallfahrt, in Trier die Zeit der Organisation und Vorbereitung der Wallfahrt, stellte für den deutschen Katholizismus generell eine „Wendezeit“ dar, in der dieser sein Verhältnis zu den Nationalsozialisten und ihrem Führer nicht nur gänzlich umorientierte, sondern sogar am 20. Juli, drei Tage vor der Wallfahrt, „staatsrechtlich“ dadurch regelte, dass Staat und Kirche in Rom ein Konkordat abschlossen.
„Verlockungen“ und „Wende“
Schon unmittelbar nach der „Machtergreifung“ begannen Hitler und die Nationalsozialisten den Reichstagswahlkampf für den 5. März, in dem der politische Gegner, auch das Zentrum, massiv behindert und sogar vom preußischen Ministerpräsidenten Göring SA-Mitglieder gegen den politischen Gegner als Hilfspolizisten herangezogen wurden. Aber der Reichskanzler Hitler schlug daneben vollends neue, ungehörte Töne in diesem Wahlkampf dadurch an, dass er die „nationale Erneuerung“ auch als „christliche“ beschwor und geradezu einen Feldzug zu starten schien, um katholische Wähler vom Zentrum ab- und in das NS-Lager herüberzuziehen. Die Bischöfe indes blieben weiter bei der vorwiegend religiös motivierten Ablehnungslinie des Jahres 1930, d. h. etwa dem Verbot der Mitgliedschaft in der NSDAP, der Verweigerung von Sakramenten, aber mancherorts wurden diese Anweisungen schon teilweise aufgeweicht und zurückgenommen. Noch während des Wahlkampfes bot der den Kommunisten angehängte Reichstagsbrand die flugs genutzte Möglichkeit, dass die Reichsregierung in einer Notverordnung (28. Februar) die Grundlagen für das Terrorsystem dadurch legte, dass Grund- und Freiheitsrechte eingeschränkt und damit der Rechtsstaat weitgehend auf unbestimmte Zeit außer Kraft gesetzt und politische Gegner, vor allem Kommunisten, aber auch Zentrumsleute, in die Konzentrationslager verbracht wurden. Da jedoch die Märzwahl Hitler keine, der Koalition nur eine knappe Mehrheit brachte und Hitler nun ein sogenanntes „Ermächtigungsgesetz“ anstrebte, das ihm für begrenzte Zeit diktatorische Vollmachten zur Umänderung von Staat und Gesellschaft legal verschaffen sollte, erklärte der Reichskanzler gegenüber dem Zentrum, dass er und seine Regierung in den Konfessionen wichtige „Faktoren“ zur Erhaltung des Volkstums sähen, deren Rechte und Verträge respektieren und sogar den Konfessionen Einfluss in Schule und Erziehung zugestehen wollten.
Nur wenige Tage nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, am 28. März 1933, reagierte der katholische Episkopat, vielleicht in erwarteter Weise, auf das Hitlerangebot, er stellte seine Vorbehalte zurück bzw. relativierte sie dadurch, „dass die allgemeinen Verbote und Warnungen nicht mehr als notwendig betrachtet (zu) werden brauchen“[4], dass Hitler und seine Regierung die von Gott gesetzte Obrigkeit seien. Damit war „das Tor aufgesprengt, durch das auch kirchentreue Zentrums- und BVP-Wähler ins Lager der Nationalsozialisten ziehen konnten“[5]. Auch Maßnahmen gegen katholische Beamte, d. h. Entfernungen aus dem Dienst, Terror und Boykott gegen Juden, Einbringung von Katholiken in Konzentrationslager und schließlich die Zerschlagung der christlichen Gewerkschaftsbewegung hielten die Bischöfe nicht davon ab, die Hitler-Regierung Anfang Juni in einem gemeinsamen Hirtenwort als „Abglanz der göttlichen Herrschaft“ zu bezeichnen und ihr eine „Teilnahme an der ewigen Autorität Gottes“ zuzusprechen[6].
Als schließlich am 5. Juli das Zentrum sich auflöste, konnte das Reichskonkordat zwischen der Hitler-Regierung und dem Vatikan endgültig unter Dach und Fach gebracht werden, auch durch Mithilfe des Trierer Prälaten Kaas, des ehemaligen Zentrumsvorsitzenden, obwohl Hitler darauf bestanden und sich durchgesetzt hatte, das Verbot der politischen Betätigung von Klerikern in das Konkordat aufzunehmen und auch vorhatte, die politischen Aktivitäten der katholischen Verbände überhaupt einzuschränken. Am 20. Juli 1933, drei Tage vor Beginn der Wallfahrt, unterzeichnete Vizekanzler Franz von Papen im Namen des Reiches das Konkordat, und er reiste, für seine Verdienste um das Konkordat noch mit dem päpstlichen Piusorden ausgezeichnet, von Rom nach Trier zur feierlichen Eröffnung der Heilig-Rock-Wallfahrt.
„Verwirrungen“, „Illusionen“ und „Brückenbauer“
In der zeitgeschichtlichen Forschung, so Heinz Hürten in seiner monumentalen
Monographie über „Deutsche Katholiken 1918-1945“, ist die Zeit
zwischen der „NS-Machtergreifung“ und dem Abschluss des Konkordats
als Zeit der „Verwirrungen und Illusionen“ apostrophiert und zurecht
charakterisiert worden, da es Hitler und der NS-Bewegung in kürzester Zeit
gelang, durch Angebote, Verlockungen und Anbiederungen einen großen Teil
des deutschen Katholizismus, den Episkopat voran, in die Einstellung und Erwartung
zu drängen, als sei der „NS-Saulus“ in der Regierung gewissermaßen
zum „Paulus“ geworden, und damit die Illusion zu vermitteln und
zu nähren, als könnten Katholiken und Nationalsozialisten an der christlichen
und nationalen Erneuerung Deutschlands auf nationalsozialistischer Grundlage
Schulter an Schulter zusammenarbeiten[7]. Wesentliche Unterstützung und Beihilfe
erhielten diese Teile des Katholizismus durch die sogenannten „Brückenbauer“,
die „Kräfte des katholischen Glaubens“ in das Dritte Reich
führen wollten, indem sie als Verbandsvertreter oder als akademische Lehrer
immer wieder auf den Gemeinsamkeiten zwischen katholischer Glaubenslehre und
dem NS-Programm und der NS-Politik insistierten, diese betonten und profilierten,
so etwa den „Antiliberalismus“, die „Abkehr von der Französischen
Revolution“, den „Antibolschewismus“, „Zucht und Ordnung“,
das „Ständetum“, eine „natürliche Lebensordnung“.
Und gerade dieser angeführte, breite Begriffshorizont der „Brückenbauer“
und deren und des Episkopats Erwartungen, dass NS-Bewegung und Kirche nicht
nur zu einem schmalen rechtlichen Modus vivendi, sondern auch zu einer positiven
künftigen Zusammenarbeit in christlichem Verständnis finden würden,
spiegeln sich in einer Reihe von Dokumenten und Zeugnissen im Zusammenhang mit
der Heilig-Rock-Wallfahrt, deren religiösen Intentionen in diese Richtung
umgebogen oder umorientiert wurden.
Die „zeitgeschichtliche Bedeutung“ der Heilig-Rock-Wallfahrt von 1933
Sicher und zielstrebig steuerte der Trierer Domkapitular Professor Nikolaus Irsch in einem Rückblick mit kirchlicher Druckerlaubnis die „zeitgeschichtliche Bedeutung“ der Heilig-Rock-Wallfahrt an: Sein apologetisches Büchlein, 1934 erschienen, stellte sich die Aufgabe, als „Erinnerungsblatt für die Pilger“ die Wallfahrt von 1933 zu dokumentieren[8]. „Im engeren Rahmen der innerdeutschen Verhältnisse“ gewann die Wallfahrt für ihn „eine Stellung, die von vorneherein nicht geahnt (...) werden konnte“[9]. Denn „während der Vorbereitungen auf die Wallfahrt war das neue nationalsozialistische Deutschland entstanden“. Und Professor Nikolaus Irsch hebt zustimmend hervor, dass „der neue Staat (...) die radikalsten Feinde christlicher Kultur“, damit meinte er die Kommunisten, „durch einen Hieb von ungeheurer Wucht und Zielsicherheit niedergeschlagen“ habe, und er äußert zugleich mit gewisser Befriedigung, dass „nunmehr der Aufbau einer neuen Kultur“ „angekündigt“ sei, „als deren Fundamente das Deutschtum und das Christentum“ zu gelten hätten. Auch das Konkordat wird in diesen neuen Kontext eingegliedert: Es ist für den Trierer Domkapitular „in seinem tiefsten Wesen ein Bekenntnis des neuen Deutschland zum Christentum, andererseits eine Bekundung des Vertrauens der Kirche in die Treue dieses Bekenntnisses“; dies wohl schon Ende 1933 eine verhängnisvolle Illusion, wenn man auf die Praxis des Konkordates im Dritten Reich reflektiert. Und für den Historiographen der Wallfahrt gewinnt diese schließlich einen gänzlich neuen Stellenwert: „Eine mächtige, das Volk bis in sein Tiefstes ergreifende Christushuldigung, von der Kirche veranstaltet, vom Staate anerkannt und gefördert, mußte unter diesen Umständen symbolische Bedeutung gewinnen: sichtbarer Ausdruck für ein neues Zusammenwirken der größten natürlichen“, gemeint ist die NS-Bewegung, und der „größten übernatürlichen Kulturmacht“, der katholischen Kirche.
Dass „Verwirrungen und Illusionen“ indes den Trierer Domkapitular zu eklatanten „Irrungen“ und „Verirrungen“ verleiteten und verführten, dokumentiert und belegt eine Stelle seiner panegyrischen Schrift, in der er das Berühren des Heiligen Rockes ansprach und begründete:[10] Da das „wirkliche Berühren“ für die große Menge der Pilger nicht gestattet werden könne, würden Andachtsgegenstände, gewissermaßen als „Ersatz“, an die Reliquie angerührt. Und er vergleicht dies, heute grotesk anmutend, mit einer „Sitte, die im Leben der Vorzeit zahlreiche Anklänge hat und in ganz neuzeitlicher Symbolik auf anderen Gebieten wieder auflebt.“ „Den Fahnen der SS- und SA-Formationen wird die Weihe dadurch gegeben, dass sie an andere Banner angerührt werden, welche letztere wieder die Blutfahne vom 9. November 1923 berührt haben. Der Opfermut des Fahnenträgers, der damals in München die Fahne mit seinem Blute tränkte und über ihr tot aufgefunden wurde, soll durch die Fahnenberührung sinnbildlich allen späteren Fahnenführern vergegenwärtigt werden“.
Heilig-Rock-Wallfahrt – „Probe auf das Reichskonkordat“?
Noch ausgeprägter und weit markanter findet sich die „Brückenbauer“-Funktion bei Dr. Matthias Laros, Pfarrer von Geichlingen, nach dem Kriege in Koblenz. Ihm räumte der „Trierische Volksfreund“ zwei ganze Textseiten, ergänzt durch zwei Bildseiten ein, um einen „Rückblick auf die große Wallfahrt“ zu tun, um „in der stillen Rückschau“, wie er einleitend betonte, die „Größe des Erlebnisses“, „die Bedeutung einzelner Momente“ und das „Charakteristische dieser Ausstellung“ „hervorzuheben und festzuhalten“[11].
In einem ersten größeren Abschnitt seines Textes über „die geistige Lage der Zeit“ führte er die „Verhältnisse“ an, die ungünstig für die Wallfahrt gewesen seien, vor allem die Armut wohl infolge der Arbeitslosigkeit, dann, wie er pointiert formulierte, die „Tatarennachrichten“ über „das neue Regiment in Deutschland“, die vermutlich vor allem Ausländer von einer Wallfahrt abgehalten hätten. Dagegen aber schätzte er die „geistige Zeitlage“ als „günstig“ ein, denn, so in einem pathetischen Ton, das „heutige Geschlecht“, die „europäische Menschheit“, habe einen „Umbruch“ erlebt, womit er auf die Machtergreifung der NS-Bewegung abzielte. „Die Ideen von 1789“, die Ideen der Aufklärung, der Französischen Revolution und des Liberalismus, „haben ihre Herrschaft über die Geister verloren“. An Stelle des überwundenen Liberalismus, so schien der Autor zu frohlocken, sei eine neue Religiosität getreten: „Die Religion hat die Geister neu erfasst“. „Sinn für das Heroische, das sich im Christentum entfaltet, ist neu und kraftvoll entstanden“. „Ordnung und Disziplin im Geistigen“ erhielten einen neuen Wertzuwachs, der ehemals „extreme Individualismus“ müsse den „Erfordernissen der Gemeinschaft“ weichen, so lauteten seine Folgerungen.
Das „zweite charakteristische Merkmal“ bildete für den „Brückenbauer“ Dr. Laros die politische Situation im engeren Sinne, deren Beschreibung und Deutung er mit der Frage einleitete, was geschehen wäre, wenn sich der Kommunismus in Deutschland „ungehindert austoben könnte“. Dabei äußerte er sogar die Befürchtung und die Angst, dass die Kommunisten wie in Spanien, „auch in Trier allen Ernstes geplant“ hätten, „unsere Hauptkirchen in Brand zu stecken“. „Die erste Ankündigung der Wallfahrt“ sei zudem noch zu einem Zeitpunkt erfolgt, „als mit dem wirksamen Schutz einer starken Polizeimacht und der nationalsozialistischen Formationen nicht zu rechnen war“. Aber, so die gesperrt gedruckte Hervorhebung: „Der radikalen Niederwerfung des Kommunismus durch die heutige Regierung ist es in erster Linie zu danken, dass die Wallfahrt so ungestört und harmonisch verlief. Die strenge Ordnung und Disziplin der SA- und SS-Männer hat auch an den kritischen Tagen (...) eine mustergültige Ordnung gehalten, die privaten Ordnern in dieser Weise nicht so leicht möglich gewesen wäre“. Die „nationalsozialistischen Formationen, die in einer anderen politischen Situation“, dabei dachte er sicherlich an einschlägige kirchliche Verbote zwischen 1930 und 1933, „noch keinen Platz in der Kirche hatten“, wandelten sich für ihn zur „Schutzgarde vor dem Hl. Rock“ und hätten „den ungestörten Verlauf der Heiligtumsfahrt“ gesichert. Vormalige „Spannungen und Missverständnisse“ seien nun beseitigt und ausgeräumt. „Den sachlichen Weitblick“ des Trierer Bischofs und „die unbeirrte Durchhaltung und Dokumentierung der positiv-christlichen Grundtendenz der nationalsozialistischen Bewegung durch den Führer“ strich Dr. Laros in diesem Zusammenhang ausdrücklich hervor: „Aber auch das wollen wir nicht übersehen, dass die treue Mitarbeit der Nationalsozialisten mit der Wallfahrtsleitung der neuen Bewegung sowohl vor der katholischen Bürgerschaft als besonders vor dem Auslande in moralischer Hinsicht ganz enorm genützt hat. Keine Parteiagitation in Wort und Schrift konnte einen so starken, günstigen Eindruck in der Öffentlichkeit erwecken, wie der stille, strenge Ordnungsdienst der Uniformierten und die harmonische Zusammenarbeit mit der Kirche.“ Schließlich wurde auch das kürzlich abgeschlossene Konkordat von Dr. Laros nicht vergessen, sondern abschließend in sein Gesamturteil einbezogen: „Diese Probe auf das Reichskonkordat ist so glänzend gelungen, dass Ausländer, besonders aus Frankreich, ihre laute Bewunderung zollten und mit ihrem Lob eine leise Wehmut durchklingen ließen, dass sie sich eine solche Zusammenarbeit von Kirche und Staat im eigenen Lande nur wünschen möchten. Man braucht die momentane Wirkung dieses Eindrucks nicht zu überschätzen; aber es ist keine Frage, dass diese unmittelbare Anschauung der Wirklichkeit dem deutschen Namen und der nationalsozialistischen Bewegung im Auslande auf die Dauer nur nützen kann“.
Infiziert von NS-Vorstellungen?
Dass die ausgeprägte „Brückenbauer“-Mentalität dieses Erinnerungsartikels sogar ansatzweise in Pastoraltexten aufzufinden ist, belegen im Ansatz die „Skizzen zu Predigten für die Verbreitung der Wallfahrt“, die, von der Wallfahrtsleitung ausgeliefert, dem Diözesanklerus an die Hand gegeben wurden, um die Gläubigen als Pilger auf die Heilig-Rock-Wallfahrt vorzubereiten und einzustimmen[12]: So ist die zweite Predigt dem „Hl. Kleid“ als dem „Symbol der christlichen Einheit“ gewidmet und offenbart eine wohl von zeitgenössischen Vorstellungen infizierte, merkwürdig anmutende „Blut“-Mystik: Unter dem Rubrum: „Wir gehören ganz eng zusammen“ wird pointiert, dass „wir“ „blutsverwandt“ „ein neues Volk“ geworden seien, „ein neuer Blutstamm Gottes“, und diese „Blutsgemeinschaft“ zu leugnen sei eine große Sünde. Die katholische Kirche wird als „Völkerfamilie“ begriffen, die über alle Grenzen „weltweit“, „katholisch“ sei. Aber dieser übernationale Aspekt wird zugleich dadurch eingeschränkt und dem „neuen“ Nationalen damit Reverenz erwiesen, dass die Gläubigen zur „übernational und doch national denkenden (...) Familie“ gehörten. Zugleich werden in diesem Predigtentwurf der „Egoismus“ und die „Selbst- und Ichsucht“ „der letzten Jahrhunderte“ gegeißelt, die die jetzigen Generationen „noch vergiftet“ und „zerrissen“ hätten, und deshalb ein „Gemeinschaftsbewußtsein“, eine neue „Volks-Standesarbeit“ verlange, die, ähnlich der NS-Idee von der „Volksgemeinschaft“, die „Standes- und Klassengrenzen“ überwinden und, wie es im Predigtvorschlag hieß, „alle Verschläge und Mauern“ beseitigen sollte, „weil wir eben alle eng zusammengehören“.
„Feier der Enthüllung“ – Bekenntnis zur „unverbrüchlichen Mitarbeit am Neubau des Deutschen Reiches“
„Illusionen“ widerspiegelte auch am Tage der „Feier der Enthüllung“ die Begrüßung der staatlichen Vertreter durch den Trierer Bischof Bornewasser, an deren Spitze der Vizekanzler Franz von Papen, danach der Oberpräsident der Rheinprovinz von Lünink und der Regierungspräsident Dr. Saassen. Der Staatssekretär im preußischen Innenministerium, Grauert, der etwas später eintraf, war in SS-Uniform erschienen. Der zum Staatsrat ernannte Gauleiter Simon trat in der Uniform der PO (=Politischen Organisationen) der NSDAP auf. Für Nikolaus Irsch zählte er als „Vertreter der staatsformenden Grundgesinnung“[13]. Der Trierer Oberbürgermeister, zu dieser Zeit schon von den Nationalsozialisten beurlaubt und später aus dem Amt entfernt, fühlte sich durch die hofierten Parteivertreter, die zudem der Kirche fern stünden, zurückgesetzt und protestierte schriftlich[14]. Wie das offizielle „Wallfahrtsblatt“ indes ausführte, begrüßte Bischof Bornewasser „die Vertreter der staatlichen Obrigkeit herzlich mit dem Hinweis auf die Bereitwilligkeit der Kirche, der gottgesetzten Obrigkeit Gehorsam und Ehrerbietung zu erweisen“, also in Formulierungen, wie sie ähnlich das Hirtenwort vom 28. März gebraucht hatte[15]. „Das Zusammenwirken von Kirche und Staat sei Voraussetzung für die Wohlfahrt unsers Volkes und Vaterlandes“, habe der Bischof ausdrücklich hervorgehoben, während sich Vizekanzler von Papen mit der Bemerkung bedankt habe, dass „die Reichsregierung der Kirche alles Notwendige geben wolle“. Und noch am gleichen Tag „versicherten“ der Bischof und der Vizekanzler „dem Führer“, der sich zu diesem Zeitpunkt in Bayreuth wohl zu den Wagnerfestspielen aufhielt, „ihrer unverbrüchlichen Mitarbeit am Neubau des Deutschen Reiches“, dem Führer, der „bemüht“ sei, „die christliche, nationale und soziale Grundlage des neuen Staates wiederherzustellen“. Daneben übermittelte Bischof Bornewasser dem preußischen Ministerpräsidenten Göring telegraphisch die Hoffnung, dass die „Feier zum Segen für Staat und Kirche“ werde[16].
Vizekanzler von Papen gab anlässlich seines Besuches in Trier der „Trierischen Landeszeitung“ ein Interview, in dem er seinerseits herausstellte, dass die Eröffnungsfeier „die Grundlagen der Einheit“ bezeuge, die „im christlichen Glauben verkörpert“ seien[17]. Die Regierung Hitler sei bestrebt, „diese einheitliche Grundlage zu erhalten und auszubauen“. Der Wille der Regierung gehe darauf, den „allgemeinen Weltfrieden“ zu fördern und die „Ausstellung des Hl. Rockes in Trier sei ein ausgezeichnetes Mittel“ dazu. Gegenüber der Korrespondentin der katholischen englischen Zeitung „The Univers“ bezeichnete Franz von Papen, so zitiert es das „Wallfahrtsblatt“[18], das neue Deutschland als „Bollwerk gegen die Einflüsse des Bolschewismus und gegen die antikatholischen Ideen“, und der Vizekanzler habe sogar wörtlich dazugefügt: „Der Hl. Vater habe ihm gesagt, dass er großes Vertrauen in die künftige Entwicklung Deutschlands setze“.
Auch der Regierungspräsident Dr. Saassen ging auf ähnliche Aspekte ein, als er Vertreter der Pax-Romana-Bewegung in Trier begrüßte, sie aufforderte, „sich ein richtiges Bild von diesem Deutschland“ zu machen, ihnen dankte, dass sie trotz der „falsche(n) Schreckensnachrichten über Deutschland“ nach Trier gekommen seien, und auch er verwies darauf, wie ernst es der Regierung unter Hitler sei, „das neue Reich auf den Grundsätzen der christlichen Weltanschauung zu begründen“, so wie Hitler dies vor dem deutschen Reichstag ausgeführt habe[19]. In diesem Beitrag klang ein Thema an, das schon mehrmals angesprochen worden war, und insbesondere die Reaktionen im Ausland auf den Ausbau des diktatorischen Terrorsystems in Deutschland betraf: „Schreckensnachrichten aus Deutschland“, die auch die Wallfahrt beeinträchtigen konnten. Um diese Bedenken zu zerstreuen oder abzuschwächen, zitierte das Wallfahrtsblatt einen ungenannten Lothringer aus Kleinrosseln an der Saargebietsgrenze, der vor „angeblichen Greueltaten“ in Deutschland gewarnt worden sei. Aber sein „Besuch in Trier, die Behandlung bei den Behörden (...) und bei den Bürgern, aber auch das Verhalten der Polizei und der aus SA bestehenden Hilfspolizeibeamten haben ihn davon überzeugt, dass die ganzen Schilderungen im Ausland über die Greueltaten aus der Luft gegriffen worden seien“[20].
NS-Formationen – „Schutzgarde vor dem Hl. Rock“
Bis heute ist die Funktion der SA und SS, aber auch der Politischen Organisation (= PO) der NSDAP im Zusammenhang mit der Heilig-Rock-Wallfahrt, vor allem aber das Ausmaß der Einsätze und die Einbindung in die Gesamtorganisation noch nicht eingehend untersucht. Viele Fotos, darunter solche von Uniformierten mit dem Hitlergruß, aber auch Texthinweise bezeugen zwar diesen Einsatz von SA, SS, HJ und auch der PO, unklar aber bleibt, ob sie von Anfang an „fest von der Wallfahrtsleitung eingeplant gewesen seien“[21], oder ob sie sich aufgedrängt und die übrigen als Ordnungsdienst vorgesehenen Organisationen herausgedrängt hätten. Indes sprach der Trierische Volksfreund in seiner Ausgabe vom 10. August davon, dass „200 SA-Männer (...) von morgens sechs bis nachts um zwei ihre stille Pflicht“ verrichtet hätten[22]. Das „Wallfahrtsblatt“ bringt ein Gruppenfoto mit über 60 Personen in Uniform, dazu die Bildunterschrift[23]: „Eine Gruppen-Aufnahme der P.O., die in vorbildlicher Weise während der sieben Wochen der Ausstellung des Hl. Rockes den Ordnungsdienst auf dem Domfreihof und im Dom versah“. Damit stimmt die Formulierung von Matthias Laros in seiner Erinnerungsschrift überein, dass die „nationalsozialistischen Formationen“ die „Schutzgarde vor dem Hl. Rock“ darstellten, denn den meisten Pilgern und auch der Öffentlichkeit wurde augenfällig verdeutlicht und bewusst, dass die Nationalsozialisten gerade im und um den Dom und damit in unmittelbarer Nähe der Heilig-Rock-Reliquie den Ordnungsdienst gewissermaßen sehr publikumswirksam versahen. Auch die HJ kam daneben zum Einsatz, wie das „Wallfahrtsblatt“ in einem Foto dokumentiert, dass nämlich „Hitler-Jugend (...) Pilger zu ihren Quartieren führte“[24].
Symptomatisch und bezeichnend wird in diesem Zusammenhang eine Episode, die das Wallfahrtsblatt nicht ohne gewissen Stolz wiedergibt[25]: Der ehemalige spanische König, Alfons XIII., der mit „großem Interesse (...) die Organisation der Prozession auf dem Domfreihof“ verfolgt habe, habe gegenüber der Presse wörtlich erklärt: „‚Wenn man sich dieses Bild betrachtet und berücksichtigt, daß während sieben Wochen mehr als 2 Millionen frommer Pilger am Hl. Rock vorbeigezogen sind, dann sieht man, wie wenig der Kommunismus im Deutschen Volke Platz gegriffen hat und daß das Deutsche Volk noch Religion hat.‘ Einem SA-Manne, der im Dom den Ordnungsdienst versah, drückte der König die Hand und sprach seine Freude darüber aus, daß die Männer in Braunhemden sich für den Platzdienst in so selbstloser Weise zur Verfügung stellten.“
An die Schlussprozession, an der alle Helfer und der gesamte Ordnungsdienst einschließlich der NS-Organisationen teilnahmen, richtete Bischof Bornewasser persönlich das Wort, dies auch im Sinne eines Resümees der gesamten Wallfahrt[26]: Er sprach besonders „die hohe Bedeutung“ an, die die Wallfahrt „für das ganze katholische Deutschland“ gewonnen habe, aber hob auch die „Bedeutung“ „für das weite Ausland“ hervor, stellte sie in den politischen Zusammenhang, indem er fragte und die Antwort selbst gab: „Ist nicht alles das, was die vielen Tausend Pilger aus fremden Landen hier schauten und erlebten, zum wahren Wohle unseres Vaterlandes gewesen? Es hat zum Weltfrieden und zum Verstehen unseres neuen Deutschlands viel mehr beigetragen, als wir heute ermessen können“. Schließlich dankte er auch dem Ordnungsdienst, „daß die Heilige Zeit in einer wahrhaft mustergültigen Ordnung sich vollzogen hat“. Sogar der päpstliche Nuntius habe ihm versichert, „so etwas ist in anderen Ländern nicht denkbar. Hier ist ein Volk, in dem Zucht und Ordnung ist!“
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