Karl-Heinz Novotny
Gehorsam

Der „Aufruf zum Ungehorsam“ bewegt seit 2011 nicht nur die Pfarrer-Initiative in Österreich und damit die österreichische Kirche, sondern auch über Österreichs Grenzen hinaus. Ich denke an die Reaktion unseres Papstes in seiner Predigt am vergangenen Gründonnerstag in der Chrisam-Messe. Diese Reaktion wirft viele Fragen auf.

Der Aufruf der Pfarrer-Initiative wird in unserer römisch-katholischen Kirche oft mit Ungehorsam abgetan. Aber ist dieser Aufruf nicht doch ein „Aufruf zum Gehorsam“ im echten Sinn wider alle Bequemlichkeit, Liebedienerei, Feigheit, bloße Unterwerfung?

1960 erschien die Festschrift für den damaligen Bischof von Mainz, Albert Stohr, unter dem Titel „Universitas. Dienst an Wahrheit und Leben“, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1960.

Darin hat der damalige Weihbischof von Mainz, Josef Maria Reuß (1906-1985), im Band 1, S. 274-283 einen immer noch und immer wieder aktuellen Artikel geschrieben „Von der Freiheit im kirchlichen Gehorsam“.

Der Aufruf der Pfarrer-Initiative in Österreich findet darin – meiner Meinung nach – seine Berechtigung. Kirchlicher Gehorsam und Freiheit sind nicht nur keine Gegensätze, sondern kirchlicher Gehorsam ist nur in Freiheit möglich.

Und so nenne ich den Aufruf einen „Aufruf zum Gehorsam“.

Aus dem Artikel möchte ich einige Zeilen zitieren für die, die nicht die Möglickeit haben, den gesamten Beitrag von Josef Maria Reuß in der Festschrift zu lesen:

„So muss der kirchliche Gehorsam zwar ein unbedingter Gehorsam sein, aber er darf nicht ohne weiteres ein widerspruchsloser Gehorsam sein“ (S. 280).

„Deshalb muss die kirchliche Autorität nicht nur darauf achten, dass sie nicht im Ungehorsam gegenüber Gott gebietet und so aufhört, Autorität zu sein“ (S. 281).

„…, dass noch längst nicht jede Befolgung von Anweisungen der Vorgesetzten Gehorsam ist. Man soll es – wie wir es auch hier versuchten – in aller Redlichkeit zugeben, dass es auch im kirchlichen Raum ein Folgen aus Bequemlichkeit, Liebedienerei, Feigheit und ähnlichen Motiven gibt. ….
In der Kirche Jesu Christi müssen Offenheit, Wahrhaftigkeit und Liebe wachsen, dass die Untergebenen die Kritik wagen und die Vorgesetzten sie ertragen. Dieses Ertragen könnte auch zu einer erfreulichen Hilfe dazu werden, dass Christen ihre Pflicht zu positiver Kritik erfüllen. Die Schwierigkeit dieser Hinführung ergibt sich auch daraus, dass man zum Gehorsam nur erziehen und nicht dressieren kann. ….

Wer erzieht, ist auch offen für Kritik an seinem erzieherischen Vorgehen. Es kann für den Untergebenen ein Kriterium für die Echtheit seines Gehorsams sein, dass er in seiner personalen Bindung an Gott, in seiner seinsgerechten Selbstbestimmung, den Führenden auch ein Wort aufbauender Kritik sagen kann. Wer nicht die Freiheit zu positiver Kritik gegenüber seinen Vorgesetzten hat, der hat – das muss unmissverständlich klar gesagt werden – auch nicht die zum Gehorsam erforderliche Freiheit.

Es mag sein, dass er aus eigennützigen Gründen ganz brav folgt und so ein bequemer Untergebener ist. Aber daraus wird weder für ihn noch für die anderen Heil. Der heilbringende Gehorsam ist frei, und muffige Unfreiheit darf sich über ihre Unzulänglichkeit für die Arbeit im Reiche Gottes nicht dadurch hinwegzutäuschen suchen, dass sie sich mit dem Namen Gehorsam tarnt.

Die Führenden aber mögen es als ein Kriterium für ihr christliches Führen, das ein Dienen an den Menschen im Gehorsam gegenüber Gott ist, ansehen, ob sie auch auf die Geführten hören und ihre aufbauende Kritik würdigen können.

Wer kein Wort aufbauender Kritik an sich und seinen Maßnahmen verträgt, ist eben doch zu sehr an das eigene Ich versklavt und hat nicht die Freiheit zum dienenden Führen im Gehorsam gegenüber Gott. Sollte er gar versuchen, durch den Einsatz seiner Macht jedes ehrliche Bemühen um aufbauende Kritik zum Erliegen zu bringen, so wäre das ein unchristlicher Versuch, Unfreie zu züchten, die zwar parieren könnten, aber zum Gehorsam unfähig wären (S. 282f).

Einige Auszüge aus dem Artikel von Weihbischof Josef Maria Reuß, gerade heute wieder aktuell. Ich ergänze diese Gedanken zum Gehorsam mit Gedanken zum Gewissen von John Henry Newman (1801-1890):

„Wenn ich genötigt wäre, bei Trinksprüchen nach dem Essen ein Hoch auf die Religion auszubringen (was freilich nicht ganz das Richtige zu sein scheint), dann würde ich trinken: auf den Papst – jedoch zuerst auf das Gewissen – und dann erst auf den Papst“.


© imprimatur Juli 2012
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