Maximilian Paulin
Ein Konzil, das Zukunft hat
Die Theologische Fakultät lud Weihbischof DDr. Helmut Krätzl zur Thomas-Akademie. Krätzl: „Gott bewahre uns vor einem Dritten Vatikanum“

Der hl. Thomas von Aquin hat im 13. Jahrhundert mit der Rezeption der aristotelischen Philosophie die Weltwirklichkeit als Basis der Theologie ernstgenommen und so seine berühmte „Summe der Theologie“ geschaffen. Ihm zu Ehren lädt die Theologische Fakultät jedes Jahr zu einem öffentlichen Festvortrag. Mit diesem Festakt bringt die Theologische Fakultät zum Ausdruck, dass sie sich bleibend auf das doppelte Fundament von Glaube und Vernunft verpflichtet weiß.

Das Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft – und, eng damit verbunden, zwischen der Kirche und der „übrigen“ Welt – war auch das große Thema des Zweiten Vatikanischen Konzils. Nach einer Phase der Abschottung im Streit um den sogenannten „Modernismus“ ist der Kirche damals wieder eine grundlegend positive „Öffnung zur Welt“ gelungen. Heuer jährt sich die Eröffnung dieses Konzils zum 50. Mal.

DDr. Helmut Krätzl, der em. Weihbischof von Wien, ist noch ein unmittelbarer Zeitzeuge des Konzils. Als junger Theologe hat er vor 50 Jahren Franz Kardinal König als Stenograph in die Konzilsaula im Petersdom begleitet und den leidenschaftlichen Disput im Ringen um ein „aggiornamento“ der Kirche hautnah mitverfolgt. Dieses Ereignis wurde für ihn lebensprägend. Davon erzählte er nun am Abend dieses 1. März im vollbesetzten Hörsaal 10 der Universität Luzern. Mit am Podium waren die Professoren Dr. W. Müller und Dr. E. Arens, Begrüßung und Einführung hielt Dekanin Prof. Dr. M. Jakobs.

Was würde Krätzl seinen Großneffen und -nichten über das Konzil erzählen? Sie hätten noch nie danach gefragt, räumte der Weihbischof ein; die heutigen Jugendlichen ständen aber in einer sehr freien Beziehung zur Kirche und hätten damit von der Öffnung des Konzils mehr aufgenommen, als ihnen bewusst ist und als sie allenfalls in den Pfarreien erleben.

Ist das Konzil also in Vergessenheit geraten? Nein, es ist – selbst für seine „Gegner“ – im besten Sinne selbstverständlich geworden; denn die Theologie vor dem Konzil sei eine ganz andere gewesen. Dass wir heute wieder explizit über das Konzil debattieren, hätten wir, so meinte Krätzl mit dem Wiener Theologen Jan-Heiner Tück, gewissermaßen den Piusbrüdern zu verdanken.

Eine immer neue Herausforderung bleibt aber die Art und Weise, wie man das Konzil liest. Insbesondere manche Vatikanische Theologen würden hier seit einigen Jahren einseitig eine „Hermeneutik der Kontinuität“ bevorzugen, also es so darstellen, als habe das Konzil nicht viel Neues gebracht. Ein solcher Eindruck konnte nach Krätzl aber allenfalls entstehen, weil das große Potential des Konzils in der Glaubenspraxis eben noch lange nicht ausgeschöpft sei.
Am Konzil selbst habe sich gezeigt, welcher Umgangston und welche Streitkultur in der Kirche möglich sind. Bischöfe haben sich dort mit ehemals zensurierten Theologen getroffen und von ihnen gelernt. Die Bischöfe hätten ihre jungen Theologen mit nach Rom genommen. Zwischen ihnen habe ein amicales Verhältnis geherrscht, gerade auch zwischen Kardinal Frings und dem jungen Joseph Ratzinger. Man war auf dem besten Weg, ein wahrhaft wechselseitiges Lehr- und Wächteramt zwischen Bischöfen und Theologen zu praktizieren. Dies ist für Krätzl das Geheimnis des (auch theologischen) Erkenntnisfortschritts und würde die Fruchtbarkeit der akademischen, aber auch bischöflichen Theologie sehr erhöhen.

In der heutigen verfahrenen Situation müssten sich die Bischöfe, so Krätzl, deutlich stärker bewusst werden, dass sie als Mitglieder des Bischofskollegiums eine Verantwortung auch für die Weltkirche haben. Sie müssten mit ihren Theologen weiterdenken und ihre Einsichten dann in Rom auch mit Mut zur Sprache bringen. So, wie es übrigens auch zu Beginn des Konzils nur dem entschiedenen Eintreten der Kardinäle Frings und Liénart gegenüber der Kurie zu verdanken war, dass dort überhaupt eine echte Auseinandersetzung über die anstehenden Fragen zustande kam. Heute könnten die Bischöfe z. B. die von Rom einberufenen Bischofssynoden dafür nutzen. Dafür brauche es kein drittes Vatikanisches Konzil.

Wohl aber brauche es Vertrauen. Aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen sei die positiv-wertschätzende Einstellung der Kirche zur „Welt“ in bedauerlichem Maße gesunken; zugleich habe die Kirche durch enge und von den Gläubigen zum großen Teil nicht rezipierte Entscheidungen in der Sexualmoral sowie durch gezielt gegen die Lokalkirche gerichtete Bischofseinsetzungen und schließlich durch den Missbrauchsskandal unter den Gläubigen einen großen Vertrauensverlust erlitten. Ein dadurch drohendes „horizontales Schisma“ innerhalb der Kirche sowie der sich abzeichnende Weltverlust der Kirche könnten aber durch geduldigen, mutigen und offenen Dialog verhindert werden. So könne Vertrauen wieder wachsen, der Geist des Konzils wieder aufleben und sein Potenzial voll zur Geltung kommen.

Beim anschließenden Apéro gab es Gelegenheit, diese Anstöße im informellen Rahmen weiter zu diskutieren und mit Weihbischof Krätzl persönlich ins Gespräch zu kommen.


© imprimatur Juli 2012
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