Dominik Straub
Prediger in der Wüste der Verderbnis

Analyse zum siebenjährigen Pontifikat Benedikts vor seinem 85. Geburtstag

«Mein Herrgott, lass diesen Kelch an mir vorübergehen - Dir stehen Jüngere und Bessere zur Verfügung!» Dieses Stoßgebet habe er während des Konklaves im April 2005 zum Himmel gesandt, als er das «Fallbeil» auf sich habe zurasen sehen, erzählte Joseph Ratzinger wenige Tage nach seiner Wahl zum Papst bei einer Audienz. Viele hielten dieses Bekenntnis damals für päpstliche Koketterie. Sieben Jahre später bleibt die Feststellung: Die dunklen Vorahnungen des damaligen Kardinals und Glaubenswächters Ratzinger waren berechtigt.

Sein Pontifikat war überschattet von zahlreichen Pannen. Schon im Herbst 2006 kam es mit der «Regensburger Rede» zu einem ersten großen Eklat: Mit einem unglücklichen Zitat brachte der Papst Millionen von Muslimen gegen sich auf; in der arabischen Welt kam es zu Krawallen, bei denen eine Nonne getötet wurde. Später sorgte Benedikt XVI. mit der Aufhebung der Exkommunikation der fundamentalistischen Lefebvre-Bischöfe und des notorischen Holocaust-Leugners Richard Williamson für schwere Verstimmungen mit den Juden und Kopfschütteln auf der ganzen Welt. Auch die Protestanten stieß der Papst vor den Kopf, indem er ihnen im Juli 2007 einmal mehr beschied, sie seien keine «Kirche im eigentlichen Sinn».

Als bisher schwerste Belastungsprobe für Benedikt XVI. sollte sich ein Skandal um pädophile Priester erweisen, der bis heute nicht ausgestanden ist und der vor allem in Europa und in den USA zu Hunderttausenden von Kirchenaustritten führte. Für die moralische Autorität der katholischen Kirche, in deren Wertekanon die Unkeuschheit als Todsünde gilt, stellten die Missbräuche die größtmögliche Katastrophe dar. Zwar hat Ratzinger nie Zweifel daran gelassen, dass er diese Taten für abscheulich hält und dass sie streng bestraft werden müssten. Doch es dauerte viel zu lange, bis sich der Papst zu einer Entschuldigung aufraffte und die Regeln zur Verfolgung der Schuldigen verschärfte.

Nun steht Benedikt XVI. vor einer neuen Herausforderung: Er muss seinen «Laden», die Kurie, wieder in den Griff bekommen. Gezielte Indiskretionen aus dem Umfeld des vatikanischen Staatssekretariats haben auch Außenstehenden vor Augen geführt, dass es im Kirchenstaat gefährlich brodelt. Renommierte Vatikankenner werfen Benedikt XVI. vor, sich zu oft in seiner Privatbibliothek zu verkriechen und Bücher zu schreiben, statt sich um die Führung der Kurie und der ihm anvertrauten Weltkirche mit ihren 1,2 Milliarden Gläubigen zu kümmern. Tatsächlich ist der introvertierte, eher scheue, deutsche Papst in der von Italienern beherrschten Kurie nie richtig heimisch geworden, obwohl er selber seit Jahrzehnten Teil des vatikanischen Apparats ist.

Auch die Welt außerhalb der vatikanischen Mauern ist dem Papst letztlich fremd geblieben. Joseph Ratzinger blickt mit großem Pessimismus auf den Zustand des christlichen Abendlands: An Ostern sprach er vom «Gottesdunkel und Wertedunkel, das die eigentliche Bedrohung unserer Existenz und der Welt überhaupt ist». In den Augen des Papstes haben die Menschen «das Empfinden für die Sünde verloren», und immer wieder geißelte er in seinen Predigten die «törichte Apologie des Schlechten in der heutigen Zeit». Das tief religiöse, leidenschaftliche Streben nach Reinheit, Klarheit, Wahrheit, nach der «Essenz» des Glaubens macht einen Großteil des Charismas und der Anziehungskraft aus, die der gelehrte Oberhirte verströmt. Allein: Das Gefühl, einsam in einer öden Wüste der Verderbnis zu predigen, entlädt sich auch heute noch in autoritären, mitunter fast aggressiven Botschaften an die real existierende postmoderne Welt.

Wie etwa am letzten Gründonnerstag: In seiner Messe hat Benedikt XVI. den Ungehorsam gegenüber Rom in scharfen Worten verurteilt. Er bezog sich dabei auf die österreichische «Pfarrer-Initiative», die im Juni 2011 zu religiösem Ungehorsam aufgerufen und Reformen in der katholischen Kirche gefordert hatte, zum Beispiel die Zulassung von Frauen zum Priesteramt. Der Papst nannte die Initiative den «verzweifelten Drang, etwas zu machen, um die Kirche nach unseren Wünschen und Vorstellungen umzuwandeln». Doch dazu habe bereits Johannes Paul II. in «unwiderruflicher Weise» erklärt, dass die Kirche hierzu «keine Vollmacht vom Herrn erhalten» habe.

Das gilt in den Augen Benedikts auch für die Kommunion für Wiederverheiratete, die Abschaffung des Zölibats, die Aufhebung des Verhütungsverbots, die künstliche Befruchtung, die Anerkennung «affektiver Reife» von Homosexuellen, kurz: für mehr oder weniger alles, was katholische Reformer seit langem von Rom verlangen. Den Forderungen nachzugeben, käme in den Augen des ehemaligen Glaubenshüters einer Verwässerung der reinen Lehre, einer Kapitulation gegenüber dem Zeitgeist gleich.

Aus: Aargauer Zeitung, 13.04.2012


© imprimatur Juli 2012
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