Wenn der Kindergarten Rauschendorf Schule machen sollte…

Zunächst ist es ein „Fall“, wie er schon öfters vorgekommen ist: Die Kirche kündigt einem oder einer Angestellten einer kirchlichen Einrichtung, weil er oder sie gegen die „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ verstoßen hat. Darin ist festgehalten, dass ein schwerer offenkundiger Verstoß in der persönlichen Lebensführung gegen die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre einen Kündigungsgrund darstellt. Diese arbeitsrechtliche Besonderheit des „Tendenzbetriebs“ Kirche ist höchstrichterlich bestätigt: Das Bundesverfassungsgericht hat 1985 den Kirchen das Recht zugebilligt, im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts Arbeitsverhältnisse nach ihrem Selbstverständnis zu regeln. Dazu zählt in der Praxis insbesondere, dass sich kirchliche Mitarbeiter/innen an die katholische Sexual- und Ehemoral halten, die bekanntlich Ehescheidung und nichteheliches Zusammenleben nicht zulässt.

Die katholische Kirche hatte also das Arbeitsrecht auf ihrer Seite, als sie Frau Bernadette Knecht, der Leiterin des katholischen Kindergartens im Königswinter-Rauschendorf im Erzbistum Köln kündigte, weil sie nach der Trennung von ihrem Mann mit einem neuen Partner zusammenlebt. Aber die Kirche hatte nicht die Elternschaft auf ihrer Seite, im Gegenteil: Die Kündigung war für die aufgebrachten Eltern nicht akzeptabel. Sie wollten die allseits beliebte, erfolgreiche Erzieherin – „Frau Knecht hat den Kindergarten zu dem gemacht, was er heute ist“, erklärte der Elternvertreter - nicht verlieren. Sie liefen gegen die Kündigung bzw. den Versetzungsvorschlag in eine Nachbargemeinde Sturm, sammelten Unterschriften und versuchten, den kirchlichen Träger umzustimmen. Doch es half nichts, die Kirche blieb stur. „Wo katholisch draufsteht, muss auch katholisch drin sein“, schreibt der Kirchengemeindeverband in seiner Stellungnahme. Das Erzbistum Köln „bedauert“ zwar, dass man sich von der wegen ihrer pädagogischen und musischen Arbeit hochgeschätzten Mitarbeiterin trennen müsse, man respektiere die freie Entscheidung von Menschen in oft schwierigen Lebensverhältnissen. Aber die Kirche könne nicht ihre moralischen Werte im Einzelfall aufgeben oder aus missverstandener Nächstenliebe zurücknehmen.

Die Eltern ihrerseits sahen in der Entlassung der Erzieherin eine „absurde Entscheidung, fern der Lebenswirklichkeit“. Sie beließen es aber nicht bei Worten, sondern stellten, parallel zur Klage der 47-jährigen Leiterin gegen ihre Kündigung, einen Bürgerantrag bei der Stadt Königswinter, um die Kindergartenträgerschaft der Kirche zu beenden. In geheimer Abstimmung beschloss der Jugendhilfeausschuss tatsächlich, den Vertrag der Stadt mit der Kirche ordentlich zu kündigen. Dabei ist der private Lebenswandel der Erzieherin, mit dem die Kirche die Kündigung begründet, für die staatliche Seite, wie bei jedem ,normalen‘ Arbeitsverhältnis, nicht von Interesse. Der Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses versichert: „Wir haben den Vertrag nicht wegen der arbeitsrechtlichen Fragen um Frau Knecht gekündigt, sondern weil das Verhältnis zwischen den Eltern und dem Träger komplett zerrüttet ist. Das ist nicht mehr zu reparieren“. So kompromisslos wie die Eltern an der hochgeschätzten Kindergartenleiterin festhielten, so dogmatisch beharrte der Kirchengemeindeverband auf seiner Position: Ihre „hohe Auffassung von der Ehe kann die Kirche keinesfalls einer mehr und mehr liberalen Einstellung in unserer Gesellschaft anpassen… Ist man wirklich bereit, einem ganzen Kindergarten die Erziehung im Sinne der katholischen Wertorientierung auf Dauer wegzunehmen und den nachwachsenden Kindern vorzuenthalten? Ist eine einzige Person diesen hohen Preis wert?“, heißt es in einem in den örtlichen Kirchen ausliegenden Papier.

Die Kündigung des Trägervertrags erfolgte zum 1. August 2013, der Vertrag der Erzieherin endet bereits im Juni dieses Jahres. Nun hat der Kirchengemeindeverband - wie der Bonner „General-Anzeiger“ am 18.4. meldete - entschieden, die Trägerschaft bereits zum 1. August dieses Jahres von sich aus vorzeitig aufzugeben. Damit könnte die Kindergartenleiterin, nach einem Monat Pause, ihre Stelle im August wieder antreten. Die Stadt und die Eltern, die wollen, dass ihre Kinder auch weiterhin christlich erzogen werden, sind bereits mit potentiellen neuen Trägern im Gespräch. Sie hoffen auf „einen weltoffenen Verein, der weniger dogmatische Maßstäbe an seine Mitarbeiter anlegt“; christliche Erziehung ginge auch ohne katholische Kirche.

Der ,Fall‘ des Kindergartens Rauschendorf hat überregional für Aufsehen gesorgt und eine grundsätzliche Diskussion in Gang gesetzt. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller sieht laut „Publik-Forum“ darin ein „einmaliges Politikum“: Erstmals nimmt die ,Basis‘, hier die Elternschaft eines katholischen Kindergartens, eine amtskirchliche Entscheidung nicht mehr nur kopfschüttelnd, resigniert hin, sondern leistet über Wochen und Monate hinweg Widerstand, und zwar mit Erfolg (was durch die Besonderheit, dass dieser Kindergarten zu 100 % von der Stadt finanziert wird, begünstigt wurde; bei einer kirchlichen Eigenbeteiligung an der Finanzierung wäre die Kündigung komplizierter geworden). Der Staat, hier in Gestalt der Stadt Königswinter, „schlägt erstmals zurück“, kommentiert Schüller diesen Vorgang.

Dass katholische Eltern sich der kirchlichen Personalpolitik widersetzen, ist kein Einzelfall mehr. Die Eltern der Kölner Katholischen Grundschule Volberger Weg haben soeben die Trennung ihrer Schule von der katholischen Kirche beschlossen – Nordrhein-Westfalen ist das einzige Bundesland, in dem es noch öffentliche Bekenntnisschulen gibt –, nachdem die evangelische Konrektorin, die sich für die Schulleitung beworben hatte, wegen ihrer Konfession abgelehnt worden war. Auch in Bonn ist eine Katholische Grundschule durch eine von den Eltern eingeleitete Abstimmung in eine Christliche Gemeinschaftsschule umgewandelt worden. Eine Kölner Schuldezernentin sieht einen „gewissen Trend“ zu nicht konfessionsgebundenen Schulen – nicht weil die Eltern eine katholische Erziehung ihrer Kinder rundum ablehnen, sondern wegen der „personalrechtlichen Probleme“: Weil die Amtskirche die Konfessionalität ihres Personals, nominell und in der privaten Lebensführung, arbeitsrechtlich rigoros, ohne Rücksicht auf die einzelne Person und deren unter Umständen schwierige Lebenssituation, durchzusetzen versucht, bekommt sie zunehmend politisch Gegenwind, auch von den eigenen Leuten. Wenn das Verhalten der Eltern des Kindergartens Rauschendorf und einiger Grundschulen im Rheinland Schule machen sollte, wird die Kirche ganz konkret und von Fall zu Fall vor die Entscheidung gestellt, „ob sie sich weiter in die plurale Gesellschaft einbringen oder im Sinne des Papstes ,entweltlichen‘ und auf eine katholische Trutzburg zurückziehen will“. So formuliert Eva Baumann-Lerch die grundsätzlichen Implikationen des Streits um den rheinischen Dorfkindergarten.

Er offenbart auch die Doppelmoral der katholischen Kirche: „Natürlich wird niemand von der Kirche erwarten, dass sie ihre Werte aufgibt, die zehn Gebote außer Kraft setzt und die eheliche Treue für überholt erklärt. Darum geht es in diesen Fällen aber gar nicht - auch wenn die Bistümer das gerne so darstellen. Von einer christlichen Gemeinschaft kann vielmehr erwartet werden, dass sie die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen auch ihre Mitarbeiter leben, erkennt und barmherzig mit Menschen umgeht, die an dem immer schwierigeren Ideal einer unauflöslichen Ehe gescheitert sind. Auch Bernadette Knecht, so wird berichtet, habe ihre Ehe nicht leichtfertig aufgegeben, sondern lange Zeit in einer Paartherapie zu retten versucht. – „Auch die Frage, was eine »christliche Lebensführung« ausmacht und ob damit eigentlich nur die Ehe gemeint ist, müsste in katholischen Personalbüros diskutiert werden. Denn wenn jemand seine Kinder schlägt, Untergebene mobbt oder mit benzinfressenden Luxusschlitten beim Ordinariat vorfährt, hat das seltsamerweise noch nie eine Kündigung zur Folge gehabt“ (Baumann-Lerch, Publik-Forum 5.4.2012).


© imprimatur Juli 2012
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