Die Glosse

Rauschheim, im April 2012

Lieber Joseph,

Mir gibt der Heilige Rock von Trier für meine kirchliche Praxis Auftrieb, denn der ist ein Proletarierrock und beweist, dass Jesus damals zu unseren Leuten, der arbeitenden Bevölkerung, gehört hat. Beim bloßen Hingucken riechst Du dem Wams fast noch den Schweiß an, den Jesus beim Auf- und Abmarschieren durch die krummbucklige palästinensische Landschaft zur Bergpredigt oder der Seepredigt vergossen hat. Aber die Wallfahrtsleitung macht ja ein Brimborium um den Rock herum, als wie wenn der aus Seide und Gold wär und mit dem normalen Leben von Jesus gar nichts zu tun hätt.

Gleichzeitig hab ich den 85. Geburtstag vom Benedikt am Fernsehen beobachtet und auch einiges darüber in den Zeitungen gelesen. Also um den Papst herum nur Honoratioren, vom Beckenbauer über die Gloria von Thurn und Taxis bis zu unserem christlich lebenden Ministerpräsidenten und einem Trupp von Schuhplattlern. Zu allererst aber machen sich 26 Politiker wichtig, die sich was von einer Kumpanei mit dem Hl. Vater versprechen. Drauf ein Bildwechsel: Der Schirm voller Geistlicher, allesamt in blitzendem Gold und knisterndem Brokat. Mir gings spontan durch den Kopf: Was wär die Reaktion dieser hehren Sippschaft, wenn Jesus mit dem Outfit vom Trierer Rock in dieser Runde auftauchen tät, meinetwegen, um seinem Stellvertreter zu gratulieren. Schon gings in meiner Phantasie los: Sobald Jesus in die Nähe gekommen wär, hätt man den schäbig gekleideten Kerl geschnappt und unauffällig entfernt. Ich glaub nicht, dass Jesus Gelegenheit bekommen hätt, um seine Absicht zu erklären. Und wenn er denen klar machen gekonnt hätt: Ich bin Jesus selber, bin gerad auf die Erd gekommen, hab mir den Trierer Rock geschnappt, weil wir im Himmel ja keine erdetauglichen Kleider haben, um dem Papst zu gratulieren, aber auch um ihm zu zeigen, wie angezogen ich mir meine Kirchendiener wünschen tät. Dann, o Je! Das hätt die fromme Sippschaft für ein Sakrileg gehalten.

Nachdem meine Phantasie in Gang war, kam die nicht mehr zur Ruh. Ich hab mir weiter ausgemalt: Ein Jesus in Gold und Brokat wie die Kleriker in Rom hätt ja nie über die Felder durch Gestrüpp bergauf, bergab streifen gekonnt, und also hätt so ein aufgeputzter Jesus nie die schönen Gleichnisse vom Sämann und dem Acker, vom Hirten und den Schafen erzählt, weil er einfach nicht draufgekommen wär, ihm hätten die Erfahrungen dazu gefehlt. Ich genieße diese Geschichten, weil wir in meiner Jugend eine Kuh, zwei Schweine und eine Geiß im Stall hatten. Ich kann Dir sagen, Jesus war weder ein Goldfasan, noch ein Stubenhocker mit Ärmelschonern, der kannte sich im Ackerbau aus.

Joseph, also für mich ist Jesus im Trierer Rock ungeheuer gewinnend, und wir zwei müssen aufpassen, dass der Bischof samt seinem Wallfahrtsstab uns unseren Jesus nicht verschönt.

Bis zum Stammtisch am Donnerstag
Dein Freund Sepp

P.S.: Ich hab mir Gedanken über das Problem gemacht, wieso der Kardinal Marx mit seiner 150köpfigen Bayerndelegation sogar eine Tanzgruppe von Schuhplattlerinnen mitgenommen hat. Was hältst Du von meiner Lösung des Rätsels: Wenn die tanzen, fliegen die Röcke nicht wie gewöhnlich, dass Du die Beine bis ultimo siehst, sondern die Röcke bleiben schön unten und bilden quasi eine Glocke. Also entsteht auch kein unkeuscher Gedanke. Im Gegenteil, Du könntest meinen, es wären die Glocken aus dem Kirchturm herabgestiegen und täten zu Ehren des Hl. Vaters in der Runde schweben. Darum, weil man bei ihrem Anblick an Glocken denkt, durften die Schuhplattlerinnen in dem vatikanischen Männerreservat tanzen, obwohl sie Frauen sind.


© imprimatur Juli 2012
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