Nach dem Abschluss der ersten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils im Dezember 1962 veröffentlichte der Katholische Deutsche Frauenbund in einer Mitgliederzeitschrift eine Fotografie der Konzilsaula mit der Bildunterschrift: „Die erste Sitzungsperiode des Zweiten Ökumenischen Konzils ging am 8. Dezember mit einem festlichen Gottesdienst in der Konzilsaula im Petersdom zu Ende. Die Arbeit des Konzils geht jedoch weiter, und wir wollen daher nicht aufhören, für die Konzilsväter zu beten“. Zur gleichen Zeit versandte der Kölner Karmel Maria vom Frieden eine Weihnachtskarte. Auf dem offenkundig von den Karmelitinnen gestalteten Linolschnitt findet sich die heilige Familie auf dem Petersplatz wieder, umgeben von den Kolonnaden. Links des Petersdomes sind die himmlischen Heerscharen versammelt; rechts ziehen, angeführt von dem mit der Tiara bekrönten Papst, zwölf Bischöfe zum neugeborenen Kind, das sie mit geöffneten Armen empfängt. Über Papst und Bischöfen wölbt sich der Schriftzug: „pascite gregem Dei“ („weidet die Herde Gottes“; vgl. 1 Pt 5,2). Das Konzil, das belegen diese Bilder, hat Ende 1962 deutsche Katholikinnen in seinen Bann gezogen. Tatsächlich haben sie die Anliegen des Konzils schon wesentlich früher, in Gebet und „actio“ verfolgt und ihr Beitrag zum Konzil soll hier kurz skizziert werden.
Im Vorfeld des Konzils, im Juli 1961, gingen die Konzilseingaben zweier katholischer Frauenverbände nach Rom. Sie formulierten die Erwartungen von Katholikinnen an das Konzil. Der „Zentralverband der katholischen Frauen- und Müttergemeinschaften“ (heute kfd) hat dazu – ganz demokratisch – seine Mitglieder befragt und anschließend eine elfseitige Eingabe erstellt. Am umfassendsten waren die Vorschläge zur Liturgie, etwa zur Muttersprache, zur Allerheiligenlitanei (kurz: mehr heilige Frauen, mehr heilige Ehepaare) oder zur Wahl des Tauftermins – auch die Mutter sollte an der Taufe ihres neugeborenen Kindes teilnehmen können. Weitere, von den Mitgliedern geäußerte Erwartungen waren etwa die Anerkennung konfessionsverschiedener Ehen oder die Wiederbelebung des ständigen Diakonats von Männern und Frauen. Ein theologisches Anliegen, das etwa auch von einigen US-amerikanischen Bischöfen geteilt wurde, hat 2007 eine späte Erfüllung gefunden: zwei Zuschriften befassten sich mit dem Schicksal ungetauft verstorbener Kinder und baten um ein kirchliches Begräbnis für diese Kinder sowie eine Revision der Lehre vom Limbus.
Die Konzilseingabe des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) verantworteten dessen Vorstandsmitglieder Dr. Gertrud Ehrle und Dr. Helene Weber. Ihnen ging es vor allem darum, dass Berufsarbeit und ehrenamtliche Tätigkeit von ehelos lebenden Frauen besser anerkannt werden. Diese Anerkennung erwarteten sie gerade auch von der Kirche – die Botschaft des Textes lautet verkürzt, dass es neben Gattin und Mutter auf der einen und Ordensstand auf der anderen Seite noch weitere Lebensentwürfe von Frauen gebe. Beide Eingaben sandte der Kölner Kardinal Josef Frings als „Petitio mulierum catholicarum Germaniae“ an die Vorbereitende Kommission des Konzils – und er schloss seinen lateinischen Begleitbrief mit den Worten: „Ich bin mir bewusst, dass die Stimme der Laien nicht zu geringzuschätzen ist, obwohl ich nicht über alle hier behandelten Fragen in der gleichen Weise denke“.
Neben den Verbandsfrauen wandten sich auch einzelne Katholikinnen an die Konzilsväter. Die Schweizer Juristin Gertrud Heinzelmann,, die ehemalige Pfarrvikarin und Konvertitin Iris Müller und die Münsteraner Theologiestudentin Ida Raming sowie die Diplomtheologin Josefa Theresia Münch aus Neukirch über Friedrichshafen agierten zunächst unabhängig voneinander, hatten aber alle dasselbe Ziel: die Zulassung von Frauen zum Priesteramt. Gertrud Heinzelmann hat diese Eingaben in dem Band „Wir schweigen nicht länger“ dokumentiert. Er hat nicht nur ein breites Echo in der Presse erhalten; Lektürespuren finden sich auch in Briefen einzelner Bischöfe, engagierter Frauen oder Erzählungen damaliger Kapläne, die „tief bewegt“ von diesem Buch waren.
Im ersten Konzilsjahr hatten Frauen noch keine offiziellen Funktionen beim Konzil, waren aber beispielsweise als Journalistinnen in der Sala Stampa vertreten oder Gastgeberinnen der Konzilsteilnehmer. Im Foyer Unitas der „Damen von Bethanien“ etwa versammelten sich die nichtkatholischen Konzilsbeobachter zu ihren wöchentlichen Besprechungen. Während der Konzilsjahre unterhielt das Foyer eine Art ökumenischen Salon, dessen Gäste Konzilsväter, Periti, die nichtkatholischen Beobachter, LaienauditorInnen und JournalistInnen waren.
Paul VI. berief 1963 mehrere männliche Laienauditoren. Frauen erlebten in dieser zweiten Sessio sowohl expliziten Ausschluss wie auch vermehrt Möglichkeiten der Mitarbeit. Der Ausschluss: die amerikanische Journalistin Eva Fleischner wurde bei einer Konzilsmesse – anders als ihre männlichen Kollegen – daran gehindert zu kommunizieren. Katholikinnen in Rom und in Deutschland haben diesen Vorfall intensiv diskutiert, sich in der Folge vergeblich um die Teilnahme an einer Konzilsmesse bemüht und die „offiziöse“ Begründung des Konzilssekretariats überliefert: man fürchtete sich vor einem Ansturm der zahlreichen Ordensfrauen.
Als Beispiel für die unmittelbare Mitarbeit beim Konzil sei Dr. Maria Alberta Lücker genannt, damals Mitarbeiterin im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Sie hat die angekündigte Berufung der Laienauditoren regelrecht elektrisiert. Aus dem Urlaub schrieb sie eine Postkarte an den Generalsekretär des ZdK, Heinrich Köppler: „Eben hörte ich am Rundfunk, dass der Papst nun auch Laien am Konzil teilnehmen lasse. Auch Frauen? Wenn ja, würd’s mich riesig freuen, wenn ich mit von der Partie wäre!! Biete: gute Lateinkenntnisse + Kenntnis der gängigen Laienspiritualitätsliteratur, dazu fast kostenfrei in Rom, da ich bei Gral wohnen kann. Bin jederzeit bereit, den Urlaub dafür zu unterbrechen“. – „Gral“ ist die von dem niederländischen Jesuiten Jacques von Ginneken 1921 gegründete „pia unio“, der Alberta Lücker angehörte – und der Hinweis auf diese Gemeinschaft kam nicht von ungefähr: es war auch eine Frage der persönlichen Flexibilität, der Finanzen, Sprachkenntnisse und Infrastruktur, ob und wie Laien – Männer wie Frauen – am Konzil teilnehmen konnten (die aus Australien stammende Laienauditorin Rosemary Goldie und Mitarbeiterinnen im Sekretariat für die Einheit der Christen gehörten ebenfalls dem „Gral“ an).
Auditorin wurde Alberta Lücker 1963 zwar nicht, wohl aber Mitarbeiterin im Sekretariat der Laienauditoren; sie hatte dadurch Zugang zu allen Konzilsschemata und war sich ihrer Einflussmöglichkeiten wohl bewusst. In einem Brief schildert sie das: „Pater Hirschmann hat sich die Mühe gemacht, um mir genau die ganze Struktur des Konzils zu erklären, so dass ich genau weiß, wo anzusetzen ist, wenn man eine Meinung durchsetzen will.“ Nicht immer war sie zufrieden mit der Arbeit der Auditores: „Unter uns gesagt, die Auditores sind ein ziemlich lahmes Häuflein, zur Zeit nur mehr fünf davon in Aktion, die übrigen krank oder bei ihren andern Geschäften zu Hause … So ungefähr jeden Abend muss ich sie wieder aufdrehen!“
Diesen Einfluss Alberta Lückers kannten auch andere, etwa Bischof Franz Hengsbach, der zur Zeit des Konzils Generalassistent des ZdK und Berichterstatter des Schemas über das Laienapostolat war. Sie schreibt darüber: „Heute Abend muss ich auf Wunsch von Exz. Hengsbach die Auditores dazukriegen, dass sie einen Brief an die vier Moderatores schreiben mit der dringenden Bitte, das Schema über das Laienapostolat wenigstens noch in dieser Konzilsperiode zur Generaldebatte zu stellen, so dass in der Konzilspause dann weiter daran gearbeitet werden kann. Hoffentlich gelingt mir das diesen Abend!“ Buchstäblich während der letzten Viertelstunde der letzten Generalkongregation von 1963 konnte Bischof Hengsbach noch über die Arbeit am Schema informieren und zu schriftlichen Stellungnahmen auffordern, wodurch die Weiterarbeit in der Intersessio möglich wurde.
Selbst wenn man sich vor Ordensfrauen fürchtete, so wollte man doch nicht auf deren Kompetenz verzichten. Sr. Maria Brüning, Ursuline aus Dorsten und Vorsitzende der Höheren Ordensoberinnen Deutschlands, nahm 1963 eine Woche in Rom an den Beratungen zur Erneuerung des Ordenslebens teil. In einem Interview sprach sie ihre Hoffnung aus, dass „die Kirche den Ordensfrauen Grundsätze darbiete, nach denen sie in innerer Freiheit und aufgeschlossen handeln könnten, ohne durch kirchliche Gesetze behindert zu sein“. Gleichzeitig beklagt sie, dass es noch „zu wenige Frauen gebe, die in der theologischen Auseinandersetzung unserer Tage einen eigenständigen Beitrag leisten können“. Tatsächlich wird es eine wichtige Begleiterscheinung des Konzils sein, dass sich Frauen in Gemeinden, Verbänden oder Orden um eine größere theologische Kompetenz bemühen.
1964 wurden dann die ersten Laienauditorinnen berufen, unter ihnen als einzige Deutsche Sr. Juliana Thomas ADJC als Generalsekretärin der Vereinigung der Höheren Ordensoberinnen. Sie beschreibt die Konzilsarbeit der Laien: „An den konzilsfreien Nachmittagen erarbeiteten die Auditoren und Auditorinnen in verschiedenen Arbeitskreisen Verbesserungsvorschläge, vor allem für die sie besonders interessierenden Dekrete über ,Das Apostolat der Laien’, ,Die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens’ und die Pastoralkonstitution über ,Die Kirche in der Welt von heute’“. Zu den Arbeitskreisen kam das „networking“ bei Einladungen, Empfängen, Vorträgen oder Tagungen, zu denen – das betont Sr. Juliana – auch die Ordensschwestern immer eingeladen wurden.
Im letzten Konzilsjahr 1965 wurde der Kreis der Laienauditorinnen auf insgesamt 23 Frauen erweitert. Als zweite deutsche Auditorin war nun auch Dr. Gertrud Ehrle eingeladen, Vorstandsmitglied des Katholischen Deutschen Frauenbundes. Besonders eng hat sie mit dem Kölner Weihbischof Dr. Augustinus Frotz zusammengearbeitet, der in zwei vielbeachteten Redebeiträgen auf dem Konzil über die Rolle von Frauen gesprochen hat und darüber schreibt: „Diese beiden Interventionen sind die Frucht gemeinsamer Überlegungen von Frau Dr. Ehrle und mir in Rom. Ihrem Drängen gebührt das Verdienst, dass sie überhaupt gehalten worden sind … Gedrängt hat auch ein Beuroner Benediktiner, Pater Placidus Jordan, der sich als theologischer Berater in Rom aufhielt“. Nach dem Konzil sah sich Gertrud Ehrle als Laienauditorin zu Überlegungen verpflichtet, „wie der Laie, d.h. von mir aus gesehen: in besonderer Weise die Frau, bei der Durchführung der Konzilsbeschlüsse mitwirken kann“ und sie drängte darauf, dass in die neuen Gremien genügend verheiratete und ehelose Frauen berufen werden.
Kontaktpflege zu den Konzilsvätern und -theologen war eine Arbeitsweise der Auditorinnen, eine andere die Kooperation unter Frauen. Ihren ökumenischen Höhepunkt erreichte diese Zusammenarbeit im Oktober 1965 bei einer gemeinsamen Konferenz von Auditorinnen und Frauen vom Ökumenischen Rat der Kirchen; die Initiative dazu war ausgegangen vom Sekretär des Einheitssekretariats, Bischof Willebrands und Madeleine Barot, Leiterin der Abteilung für Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen in Kirche und Gesellschaft des Ökumenischen Rates der Kirchen. Als Reverenz an Frau Bischöfin Jepsen als Teilnehmerin dieser Konzilsgala möchte ich hier eine protestantische Teilnehmerin zitieren, Cynthia Wedel, die 1969 erste Präsidentin des National Council of Churches in den USA wurde: „… immer wieder entdeckten wir, wie viel wir gemeinsam haben. … Alle suchen lebendigere Formen des Gebets und der Spiritualität. … Alle haben eine wachsende Anzahl an Frauen, die Theologie studieren … Alle empfinden Unbehagen wegen der Beschränkungen, die Frauen durch die Kirche auferlegt werden – zu einer Zeit, zu der die säkulare Welt diese Beschränkungen schnell aufhebt.
„Das Ergebnis des Konzils für die Frau ist … die Gleichberechtigung mit dem Mann im Laienstand“ resümiert, aus der Retrospektive etwas zu optimistisch, die Theologin Elisabeth Gössmann. Dennoch ist festzuhalten, dass das Konzil und die Konzilsjahre für Katholikinnen wirklich zu jenem Sprung nach vorn wurden, den Papst Johannes XXIII. in seiner Eröffnungsrede „Gaudet Mater Ecclesia“ für die Kirche erhofft hatte.
Literaturhinweise (Auswahl):
Giuseppe Alberigo/Klaus Wittstadt/Günther Wassilowsky (Hg.), Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965), 5 Bde., Mainz-Ostfildern 1997-2008.
Carmel McEnroy, Guests in their own house. The women of Vatican II, New York 1996.
Regina Heyder, Deutsche Katholikinnen und das Konzil, in Margit Eckholt/Saskia Wendel (Hg.), Aggiornamento heute. Diversität als Horizont einer Theologie der Welt, Ostfildern 2012, 42-50 (erscheint im Juni 2012).
Margit Eckholt/Theologische Kommission KDFB (Hg.), Das Zweite Vatikanische Konzil – Leseanleitungen aus Frauenperspektive (erscheint im Oktober 2012).
Regina Heyder, Dr. theol., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Universität Bonn. Sie forscht zur Theologiegeschichte des 12. Jahrhunderts und zu Katholikinnen im 20. Jahrhundert und ist Mitglied der Theologischen Kommission des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB).
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