Peter Rosien
Salafisten hin oder her
Der Koran hat was zu bieten. Aber man muss ihn kritisch lesen

Nur zu! Wer sich in diesen Tagen auf offener Straße einen Koran hat schenken lassen, der sollte da nun auch mal konzentriert drin lesen. Man wird dann wohl rasch feststellen, wie schwer es ist, dem Text zu folgen. Schwer wegen der vielen Wiederholungen, der oft gestanzten Formeln, der fernen arabischen Vergangenheit, der schrägen Wiedergabe biblischer Geschichten und der grässlichen Ausmalungen höllischer Szenen. Mein Tipp: Lesen Sie die „Eröffnende“, die Sure eins, und beginnen Sie danach zunächst von hinten, von Sure 114 ab nach vorn zu lesen. Beginnen Sie also mit den kurzen Suren, von denen man sagt, sie seien Mohammed gleich zu Beginn seiner Wirkungszeit in Mekka eingegeben worden. So um das Jahr 610.

Wer mit der längsten Sure beginnt, der 2., „Die Kuh“ genannt, bleibt garantiert rasch stecken und schlägt das Buch zu. Die über 280 Verse dieser Sure ergeben zwar schon ein umfassendes Gesamtbild des Ur-Islam, sind aber in ihrer immer wieder abrupten Themenwechselung schwer nachzuvollziehen. Man liest eine Art ungeordneter Kurz-Dogmatik des Islam.

Wendet man sich den Beschenkenden zu, den Salafisten, die in diesen Tagen in den Fußgängerzonen unserer Großstädte kostenlos Koran-Übersetzungen verteilen, so ist für diese erzkonservative Minderheit unter den Muslimen schon mal dies typisch: Ihre deutsche Koranausgabe ist mit dem Urtext in arabischer Schrift zusammen gedruckt. Links deutsch, rechts arabisch. Hinter diesem Druckbild steht die konservativ-sunnitische Überzeugung, der Koran, schon ewig im Himmel vorhanden, sei dem Propheten von dem Engel Gabriel nach und nach auf Arabisch diktiert worden. Er könne in andere Sprachen auch nicht halbwegs entsprechend übersetzt werden. Weshalb es denn an den Verteiler-Ständen auch heißt: „Der Koran kostenlos ‚in der deutschen ungefähren Bedeutung’ “. Aus dieser Auffassung rührt übrigens auch die uns Europäer immer wieder „sprachlos“ machende Sitte, Schulkinder in nichtarabisch sprechenden muslimischen Ländern Koran-Suren phonetisch, also nur dem Klangbild nach, auswendig lernen zu lassen.

Die von Salafisten verantwortete deutsche Koran-Übersetzung soll keine Auslassungen und Kürzungen enthalten. Trotzdem kann es hilfreich sein, die gute alte und preiswerte Reclam-Übersetzung von Max Henning hier und da zum Vergleichen heranzuziehen. Allerdings: Bei einigen wenigen Suren weist Henning nicht die exakt gleiche Verszählung auf, die die 1923 in Kairo autorisierte arabische Standardausgabe vorgibt.

Es gehören hartnäckige Ausdauer und Wissbegierde, wo nicht suchende Frömmigkeit oder Spiritualität dazu, den Koran wirklich durch zu lesen. Das ergeht ja im Übrigen auch Lesern der Bibel nicht anders. Sich mit solchen „Heiligen Schriften“ zu befassen, ist heute, scheint’s, völlig aus der Mode gekommen. Das liegt auch daran, dass es fast keine aufgeklärt – glaubens- und religionskritischen Kommentare zu beiden Büchern gibt. Und so muss man sich im Koran wie in weiten Teilen der Bibel mit einem Gottesbild herumschlagen, das Psychologen wohl als „spätpubertär“ bezeichnen würden. Allah stellt ganz autoritär immer wieder fest: Glaubt ihr an mich, dann kommt ihr ins Paradies, glaubt ihr nicht an mich, dann kommt ihr in die Hölle, wo ihr ewig im Feuer brennt und heißen Eiter trinken müsst. – Mein Gott, Walther, kann man da nur sagen!

Aber auch Gott Jahwe (oder El) im Alten Testament ist über weite Strecken ein ungnädiger und kriegerischer Diktator, der sich der grundbösen Menschen nur über vertragliche Regelungen (Testamente) versichern und erwehren kann. Und noch bei dem Evangelisten Matthäus, der ein halbes Jahrhundert nach der Hinrichtung des Jesus von Nazareth schrieb, bei ihm heißt es: Jesu Bergpredigt ist besser als das Gesetz des Mose und der Pharisäer. Wer das nicht anerkennt, verfällt dem Gericht Gottes und wird ins ewige Feuer geworfen. Punkt. Von Jesu wirklicher Predigt hatte der Mann kaum etwas gewusst.

Gott sei Dank gibt es im Koran wie in der Bibel auch ein Gottesbild, mit dem aufgeklärte und doch spirituell sensible Zeitgenossen gut leben könnten. Zum Beispiel wenn es im Koran heißt: Allah ist der eine und einzige Gott. Er ist jedem Menschen nahe, gleich neben seiner Halsschlagader. Er ist gnädig und barmherzig. Er liebt sie (die Menschen) und sie lieben ihn. Ähnlich dürfte - tatsächlich - der geschichtliche Jesus von Nazareth gesprochen haben, der sich selbst gewiss nicht als Gottes Sohn ausgegeben hat, wie heute fast alle Theologen wissen. Jesus hatte allerdings aus seiner Erfahrung der unmittelbaren Nähe Gottes dessen voraussetzungslose Bejahung und Liebe eines jeden Menschen herausgespürt und verkündet.

Solche verheißungsvollen Gottesbilder sind nun aber meilenweit von dem entfernt, was die jeweiligen Religionen dann aus ihnen gemacht haben. Und auswählende Unterscheidungen im Gottesbild erlauben Religionswächter nun mal nicht, die christlichen ebenso wenig wie die muslimischen. Aber der einzelne kundige Leser (Leserin) muss sich ja nichts vorschreiben lassen.

Vor allem dann nicht, wenn er sich mit ein paar Kenntnissen über die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Religionsdokumente und ihrer Stifter ausstattet. Dann kann man gut argumentieren. Nehmen wir die Person Mohammed. Dem aufmerksamen Leser des Korans wird auffallen, dass über den Religionsstifter selbst fast nichts Biografisches berichtet wird. Ein paar Schlachten und Kriegszüge. Das ist alles. Der Name Mohammed taucht in den 114 Suren insgesamt nur vier Mal auf. Alles was wir heute über Mohammed wissen, die ganze unhinterfragte Lehrbiografie der Sunna-Gelehrten, beruht auf einem Buch, das gut 200 Jahre nach Mohammeds vorgeblichem Todesjahr (632) geschrieben wurde. Das „Sirat“ (Prophetenbuch) des 850 in Kairo gestorbenen Gelehrten Ibn Hisham. 200 Jahre sind eine verdammt lange Zeit, wenn es um historische Verlässlichkeit geht.

Viele Gelehrte im Islam berufen sich denn auch noch auf die so genannten Hadithe, in denen viel über Mohammeds Leben gesagt werde. Hadithe sind außerkoranisch überlieferte angebliche Aussprüche Mohammeds, bezeugt von ihm seinerzeit nahestehenden Personen und weitergegeben in einer langen Kette immer neuer Zeugen. Allerdings: Schon im neunten Jahrhundert gab es zwischen Mekka, Damaskus und Bagdad viele Zehntausende solcher Hadithe. Allein die schiere Masse, gesammelt in zentnerschweren klassischen Ausgaben, lässt jegliche historische Verwertbarkeit bezweifeln.

Überdies ist heute mancher kritische Koranforscher in Europa sicher: In und hinter dem Arabisch des Korans werde ein syro-aramäischer Wortstamm sichtbar, der auf ein ursprünglich orientalisch-kirchliches Liturgiebuch schließen lasse. (Ost-Kirchen, die die dogmatische Vergottung des Jesus von Nazareth im fünften Jahrhundert nicht mitgemacht haben). Immerhin beten noch heute Christen in muslimischen Ländern zu Gott unter dem Namen Allah. Tröstlich. Denn Allah selbst weiß gewiss, wie der Koran zustande gekommen ist.


© imprimatur Oktober 2012
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