"Die Sache mit der Pius-Bruderschaft ist eine politische Frage"

Maurice Page interviewt im Auftrag von Kipa den früheren Bischof von Sitten, Kardinal Schwery, aus Anlass seines 80. Geburtstages zur traditionalistischen Pius-Bruderschaft. Denn deren Gründer, Erzbischof Marcel Lefebvre, hatte seinen Sitz in Ecône im französischsprachigen Teil des Kantons Wallis eingerichtet - wenige Kilometer vom Bischofssitz in Sitten entfernt.

Frage: Als sich die Krise mit Lefebvre und dessen Pius-Bruderschaft immer stärker zuspitzte, waren Sie Bischof von Sitten.

Henri Schwery: Ich versuchte, mich so genau wie möglich auf dem Laufenden zu halten. Ich ließ die Predigten von Erzbischof Lefebvre aufzeichnen, um sie mir anzuhören. Ich habe ihn wiederholt getroffen - sei es auf meine eigene Initiative, sei es im Auftrag Roms, um ihm verschiedene Fragen zu stellen. Ich wurde stets gut empfangen. Lefebvre war allerdings dickköpfig wie eine Mauer aus Stahlbeton, aber immer sehr höflich.

Ende 1987 geriet ich etwas in Panik, als ich erfuhr, dass Lefebvre Bischöfe weihen wollte. Ich beantragte eine Dringlichkeitssitzung mit dem Papst. Wir haben uns dann Ende Januar 1988 morgens um 9 Uhr in Rom getroffen: Papst Johannes Paul II., Kardinal Joseph Ratzinger, Kardinal Eduard Gagnon und ich. Kardinal Gagnon war als Vermittler im Auftrag des Vatikans in eine Falle der Pius-Brüder geraten. Er hatte sich nach Paris in die Traditionalisten-Pfarrei Saint-Nicolas du Chardonnet begeben und hielt die Sache für gerettet, weil er dort die Messe in Latein gefeiert und die Menschen applaudiert hatten. Bis 13 Uhr haben wir das Problem unter allen Gesichtspunkten hin und her gewälzt. Der Papst wollte einen Rat hinsichtlich der Gefahr eines Schismas. Die Diskussion wurde während des Mittagessens bis in den frühen Nachmittag hinein fortgesetzt.

Wir sind dann zum Schluss gekommen, dass eine gemischte Kommission, bestehend aus Vatikan-Vertretern und von Lefebvre bezeichneten Leuten, geschaffen werden solle, um die Probleme zu diskutieren. Der Papst stimmte zu. Die Kommission nahm ihre Arbeit unter dem Vorsitz von Kardinal Ratzinger auf und lieferte dann auch einen Bericht ab.

Frage: Es kam dann aber dennoch zum Bruch mit Rom.

Schwery: Anfang Mai 1988 erhielt ich einen Telefonanruf von Kardinal Ratzinger, der mich aufforderte, anderntags nach Rom zu kommen. Auf meine Rückfrage hin erklärte er mir, dass die Kommission ihre Schlussfolgerungen dem Papst unterbreitet und dieser zugestimmt habe; auch habe Lefebvre ein ihm vorgelegtes Dokument unterzeichnet. Ich habe ihn dann gefragt:
Aber wann hat Monsignore Lefebvre denn unterschrieben? - Am heutigen Tag, weshalb? - Wohnt Lefebvre nicht in Rom? - Nein, aber er logiert derzeit an dieser und dieser Adresse. - Dann ist die Sache im Eimer. - Weshalb? - Weil sein ganzer Stab ebenfalls dort ist. Jedes Mal, wenn Lefebvre mir etwas versprochen hatte, war er anderntags nicht mehr derselben Meinung, nachdem er seine engen Mitarbeiter konsultiert hatte, insbesondere Pater Franz Schmidberger.

Ratzinger hat mich fast angeschnauzt. - Sie dürfen nicht pessimistisch sein. Kommen Sie morgen. Es ist unterschrieben. Ich habe übrigens bereits die Präsidenten der deutschen und der französischen Bischofskonferenz aufgeboten. Am nächsten Tag war ich um 10 Uhr in Rom. Ratzinger machte ein langes Gesicht. Er erklärte mir, dass Lefebvre abends angerufen hatte, um zu sagen, dass er seine Unterschrift zurückziehe. Leider!

Frage: 25 Jahre später hat man fast den Eindruck, dass sich die Geschichte wiederholt. Die Frage der Liturgie oder jene der lateinischen Sprache im Gottesdienst sind in Tat und Wahrheit zweitrangig.

Schwery: Ich bin von einem Teil der römischen Kurie und ihrer Vorgehensweise etwas enttäuscht. In Rom gab es sogar einen Sekretär, der dafür sorgte, dass ich nicht im Verteiler figurierte, wenn es um Ecône ging. Leider waren gewisse Mitarbeiter der Kommission, die mit den Beziehungen zu den Traditionalisten betraut war, ausgesprochen naiv. Sie schienen zu ignorieren, dass das Grundproblem nichts mit der Liturgie zu tun hatte.

Als ich eines Tages in Ecône war, um Lefebvre zu treffen, sagte ich ihm, wie beklagenswert es doch sei, dass es wegen liturgischen Fragen so weit gekommen sei. Lefebvre lachte laut heraus: Das hat nichts mit der Liturgie zu tun. - Ich weiß es, und Sie wissen es auch. Aber alle Walliser, die ich ziemlich gut kenne, folgen Ihnen einzig deshalb, weil sie glauben, dass man mit der Liturgie auch die Religion gewechselt hat. Haben Sie deshalb nicht das Gefühl, das Vertrauen der Menschen zu missbrauchen, die zu Ihnen nach Ecône kommen? Ich habe das natürlich in Rom berichtet.

Frage: Worum geht es also?

Schwery: In Rom gibt es auch heute noch Leute, die nicht verstanden haben. Es geht eigentlich um eine politische Frage. Bei der Pius-Bruderschaft handelt es sich um Leute, die nicht akzeptieren, dass sich die Beziehungen zwischen der Kirche und der Gesellschaft - oder der "Autonomie der zeitlichen Realitäten" wie es im Konzilsdokument "Gaudium et Spes" heißt - verändert haben. Da drückt der Schuh! Diese Leute sind so etwas wie die Schweizerische Volkspartei der Kirche. Das Buch "Ils l’ont découronné" (Sie haben ihn entthront) von Lefebvre, 1987 erschienen, bringt dies unmissverständlich zum Ausdruck. Die Kirche muss wieder die Herrschaft in der Welt übernehmen, ihre Autorität erneut bekräftigen und die Zügel straffer anziehen: Davon sind die Lefebvristen überzeugt. Solange es bei dieser Idee bleibt, wird es jedoch keine Lösung geben.

Piusbrüder bleiben bei ihrer Position und greifen den neuen Präfekten der Glaubenskongregation frontal an

Laut Kipa äußert sich die Leitung der ultrakonservativen Piusbrüder weiterhin nicht eindeutig zu ihrer Haltung gegenüber dem Vatikan. Zugleich greift der Generalobere der traditionalistischen Bruderschaft, Bernhard Fellay, den neuen Präfekten der römischen Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, scharf an. Indirekt wirft er dem früheren Regensburger Bischof vor, selbst Irrlehren zu verbreiten, obwohl er doch die Kirche vor solchen schützen müsse.

Das Mitteilungsblatt der Priesterbruderschaft Pius X. kündigte lediglich an, man werde "in sehr kurzer Zeit Rom die Position des Kapitels zukommen lassen, das uns die Gelegenheit gegeben hat, unsere Marschroute zu präzisieren".

Weiter betonte Fellay, dass "alle Unklarheiten unsererseits" aufgehoben worden seien. Die Piusbrüder bestehen aber weiterhin "auf der Bewahrung unserer Identität, was das einzige wirksame Mittel darstellt, um der Kirche zu helfen, die Christenheit zu erneuern". Die Traditionalisten könnten "kein Stillschweigen bewahren im Angesicht des allumfassenden Glaubensabfalles, auch nicht vor dem schwindelerregendem Zusammenbruch der Berufungen und des religiösen Lebens".

Zugleich bekundete Fellay aber auch sehr deutlich den Willen zur Einheit mit der römisch-katholischen Kirche: "Wir sind Katholiken, wir anerkennen den Papst und die Bischöfe, müssen aber vor allem den Glauben unverändert bewahren, welcher Quelle der Gnade des lieben Gottes ist. Als Folge daraus muss man all das vermeiden, was ihn in Gefahr bringen könnte, ohne uns jedoch an die Stelle der katholischen, apostolischen und römischen Kirche zu setzen. Fern sei von uns die Idee, eine Parallelkirche zu begründen, die ein paralleles Lehramt ausübt."

Darüber hinaus griff der Generalobere in dem Interview mit harschen Worten den neuen Präfekten der römischen Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, an: "Nach der mutigen Tat von Benedikt XVI. 2009 zu unseren Gunsten schien er nicht im mindesten im gleichen Sinn mitarbeiten zu wollen. Er hat uns wie Parias behandelt."

Noch beunruhigender aber, so Fellay, sei es, das ausgerechnet Müller jetzt die Aufgabe habe, den Glauben gegen Lehrirrtümer und Häresien (Irrlehren) zu verteidigen: "Denn mehrere Texte von Bischof Müller über die wirkliche Transsubstantiation von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi, über das Dogma der Jungfrauengeburt, über die Notwendigkeit für die Nichtkatholiken, sich zur katholischen Kirche zu bekehren... sind mehr als fragwürdig. Ohne jeden Zweifel wären sie früher Gegenstand einer Intervention von Seiten des Heiligen Offiziums gewesen, aus dem die Glaubenskongregation hervorgegangen ist, welcher er heute vorsteht."

Piusbruderschaft bleibt auf Abstand
Man werde weiterhin die Irrtümer des Konzils bekämpfen

Für Irritationen hatten in Rom jüngste Äußerungen Fellays gesorgt, Rom verlange von den Piusbrüdern nicht mehr die Akzeptanz des gesamten Zweiten Vatikanums. Im Vatikan hieß es dazu, die Annahme des vollständigen Lehramtes der katholischen Kirche sei und bleibe Grundlage für eine Beendigung des Bruchs zwischen Rom und den Traditionalisten.

Wie weiter bekannt wurde, hat in einem internen Schreiben vom Juli 2012 Christian Thouvenot, Generalsekretär der Pius-Bruderschaft, die Bedingungen erläutert, unter denen eine mögliche Einigung mit Rom möglich wäre.

Das Generalkapitel der Pius-Bruderschaft habe dem Generaloberen mit einer "sehr großen Mehrheit" seine Zustimmung gegeben, schreibt Thouvenot in seinem Brief an die Distriktoberen, die Seminare und die autonomen Häuser der Bruderschaft.

Während die Erklärung der Piusbrüder vom 19. Juli nach Abschluss des Generalkapitels recht vage darüber blieb, unter welchen Bedingungen eine Annäherung an Rom möglich wäre, präzisiert Thouvenot diese Bedingungen in seinem internen Schreiben.

Als unverhandelbar wird unter anderem die Freiheit bezeichnet, die "Irrtümer" von Modernismus, Liberalismus und des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie die Konsequenzen dieser "Irrtümer" zu bekämpfen.

Als weitere Bedingung wird genannt, dass ausschließlich die Liturgie von 1962 und die derzeitige sakramentale Praxis der Bruderschaft gelten sollen. Ferner will die Pius-Bruderschaft über mindestens einen Bischof verfügen.

Als "wünschbare" Bedingungen werden in dem Schreiben genannt: eine eigene erstinstanzliche Gerichtsbarkeit, die Unabhängigkeit der Häuser der Pius-Bruderschaft von den Diözesanbischöfen sowie die Schaffung einer traditionalistischen päpstlichen Kommission unter traditionalistischem Vorsitz und einer Mehrheit von traditionalistischen Mitgliedern.


© imprimatur November 2012
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