Im vorausgegangenen ersten Teil dieses Beitrages (imprimatur 4+5 2012, 191-194) wurde abschließend zur arabischen Fehllesung von bi-Bakka (angeblich „in Bakka“) (Sure 3:96) die bereits dargelegte Konjektur „tayyaka-hu“ (von der syro-aramäischen Verbalwurzel „tyk = tayyek“) vorgeschlagen. Danach war dieser koranische Vers traditionell (nach Paret) so missverstanden worden:
„Das erste (Gottes)haus, das den Menschen aufgestellt worden ist, ist
dasjenige in Bakka [Anm. 8: d. h. Mekka], (aufgestellt) zum Segen und zur Rechtleitung
für die Menschen in aller Welt (al-?alamun).“
Dagegen ergab die syro-aramäische Lesart folgendes Verständnis:
„Das erste (heilige) Haus, das für die Menschen errichtet wurde,
ist dasjenige, das er als gesegnetes (Heiligtum) und zur Rechtleitung der Menschen
eingefriedet (umzäunt) hat.“
Gestützt wurde letzteres Verständnis auf Sure 17:1, wo es vom „fernen
Heiligtum“ heißt: „dessen Umgebung wir gesegnet haben“.
Damit ist der Tempelbezirk gemeint, von dem es in Sure 3:97 wiederum heißt:
„und wer ihn betritt, ist in Sicherheit“.
Vom syro-aramäischen Verbum „tayyek“ (einzäunen, einfrieden)
ist im heutigen Arabisch zwar nur noch das Substantiv „tikka“ (Gürtel)
erhalten (was aber auch eine Klausur bei Sufi-Gemeinschaften bezeichnen kann),
geläufig ist aber im gesprochenen wie im klassischen Arabisch die verwandte
Verbalwurzel „Twq“ (T = emphatisches t). Der Lautwechsel von t/T
und y/w ist im Semitischen hinlänglich bekannt. Statt syro-aramäisch
„tayyek“ würde es in heute verständlichem Arabisch
„Tawwaqa“ (einkreisen, einschließen, umzingeln) heißen.
Danach würde der koranische Vers (3:96) arabisch wie folgt lauten:
„inna awwala baytin wuDi?a li-n-nâsi la-lladi tayyaka-hu [= Tawwaqa-hu
– statt „bi-Bakk-h = Bakka“] mubârakan wa-hudan li-l-?âlamîn“.
Alternative Konjektur für bi-Bakka (Sure 3:96)
Zu der vorgeschlagenen syro-aramäischen Konjektur „tayyaka-hu“ (statt bi-Bakka) wurde im ersten Teil dieses Beitrages eine alternative Lesung angekündigt, die nun zur Diskussion gestellt wird. Bot die ursprüngliche koranische Graphie (rasm) zwei nicht näher definierte Zäckchen (? ? k h), so könnten diese statt „t-y-k-h“ (= tayyaka-hu) auch als „b-n-k-h“ (= bannaka-hu) gelesen werden. Die Verbalwurzel b-n-k ist im heutigen Arabisch nicht mehr geläufig. Davon verzeichnet allerdings Hans Wehr (Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart) die passive Partizipialform mu-bannak (gestrandet = auf Grund gelaufen), was für ein Substrat aus der syro-aramäischen Verbalwurzel b-n-k (= bannek) spricht.
Für syro-aramäisch b-n-k (bnak) gibt J.E. Manna (Chaldean-Arabic Dictionary, Beirut 1975, 70a) arabisch „ta-bannaka“ wieder, was er (arabisch) mit „sich an einem Ort aufhalten“ übersetzt, und unter (2): „Wurzel fassen, sich festigen, festsitzen“.
Carl Brockelmann (Lexicon Syriacum, Halis Saxonum 1928, 79b) führt lediglich das Substantiv „bunkâ“ auf, verweist auf Noldekes MG (Mandäische Grammatik, XXXI) und auf das dort gleich lautende mandäische Wort (stirps = Wurzel, Grund), das er auf persisch bnh (= bone [Basis, Niederlassung]) zurückführt, das wiederum eine reduzierte Form von persisch „bang“ (Betäubungsmittel – bezogen auf seine lähmende Wirkung) zu sein scheint und im heutigen Arabisch in der Aussprache „bang“ (in gleicher Bedeutung, insbesondere für medizinisch Narkose) geläufig und im Lisân (Hauptwörterbuch des klassischen Arabisch) in der Aussprache „bing“ und der Bedeutung „Wurzel, Abstammung“ wie auch als Bezeichnung einer Pflanzenart[1] belegt ist.
Brockelmanns Hinweis auf das Persische macht die Herkunft des syro-aramäischen Verbums „bannek“ (gründen, festigen, festsetzen) aus dem Indo-Germanischen deutlich. Dazu dürfte deutsch Bunker (als unterirdischer, im Fundamentbereich eines Bauwerks angelegter Schutzraum) wie vermutlich auch Bank (als sicherer Lagerort, Anlage, Anlegestelle für Geld und sonstige Vermögenswerte) zusammenhängen. Dass eine entsprechende Verbalform als Hapaxlegomenon im Koran vorkommt, wurde bisher wegen einer Fehltranskription übersehen, wie nachfolgend erläutert wird.
Zur Fehltranskription des Schrifzuges tabbaTa-hum in Sure 9:46
Dieser Vers wird von Paret (Übersetzung, S. 156) wie folgt wiedergegeben:
„Wenn sie (mit euch) ausziehen wollten, würden sie (die nötigen)
Vorbereitungen dazu treffen[2]. Aber Gott mochte nicht, dass sie sich aufmachen
würden, und so zwang er sie zur Untätigkeit, und es wurde zu ihnen
gesagt: ‚Schließt euch denen an, die (wegen körperlicher Gebrechen
oder dergleichen) daheim bleiben!“ [3]
Paret hinterfragt den unterstrichenen Ausdruck (und so zwang er sie zur Untätigkeit) nicht, obwohl Tabari (X, 144) die entsprechende Verbalform „fa-tabbaTa-hum“, auf die es hier ankommt, mutmaßend mit der Paraphrase erklärt: „Er (Gott) machte ihnen das Ausziehen schwer, so dass sie es als leichter empfanden, zu Hause sitzen zu bleiben.“ Auf die genauere Bedeutung von tabbaTa-hum geht Tabari allerdings nicht ein, obwohl dieses Hapaxlegomenon dem Arabischen fremd geblieben ist. Was H. Wehr (S. 90a) dazu erklärt (abhalten, zurückhalten; hemmen, hindern; nicht gelingen lassen, scheitern lassen), gibt nur das annähernde Verständnis wieder, das die arabischen Lexikographen sich aus dem Kontext dieser Koranstelle zusammengereimt haben, wie dies aus den unzulänglichen Erläuterungen des Lisân (VII, 267a) hervorgeht. Zwar könnte man daran denken, in der Wurzel t-b-T eine lautliche Variante der gängigen und gut ausgebildeten arabischen Wurzel t-b-t (tabata) (feststehen, fest sein) zu sehen, wie dies etwa bei den oben erläuterten Varianten (syrisch) tayyek und (arabisch) Tawwaqa der Fall ist. Dieser Lautwechsel ist jedoch nicht beliebig und willkürlich anwendbar. In letzterem Fall ist er belegbar, im Fall von tabaTa = tabata allerdings nicht. Nicht einmal der Lisân kommt auf den Gedanken, die Wurzel t-b-T zu t-b-t zu stellen. Diese Erwägungen legen daher den Verdacht nahe, dass es sich bei der traditionellen koranischen Lesung tabbaTa-hum um eine Fehlbelegung (von diakritischen Punkten) und Fehltranskription des Schriftzuges (rasm) ?-?-T-h-m aus ursprünglich ?-?-k-h-m handelt. Dabei ist a) die Belegung des ersten Zäckchens mit drei diakritischen Punkten (= t) durch einen Unterpunkt (= b), b) die Belegung des zweiten Zäckchens mit einem Unterpunkt (= b) durch einen Oberpunkt (= n), c) und das falsch transkribierte emphatische T durch ein k zu ersetzen. Kenner der frühen arabischen Hidjâzi und Kûfî-Schrift wissen nämlich um die Ähnlichkeit zwischen dem emphatischen T und dem k, wie dies (bei nächster Gelegenheit) an Hand von solchen Koranhandschriften veranschaulicht werden kann.
Konjekturvorschlag: Statt der überlieferten Schreibung tabbaTa-hum ist bannaka-hum zu lesen.
Nähere Begründung: Kennt H. Wehr (Arabisches Wörterbuch) von der Verbalwurzel b-n-k (bannaka) nur die oben genannte Partizipialform mu-bannak (gestrandet = auf Grund gelaufen), so bringt der Lisân (X, 403a-b) hierzu aussagekräftigere Belege, darunter den Ausdruck, der zu unserer Koranstelle passt, nämlich: „ta-bannaka bi-l-makân = aqâma bi-hi wa-ta’ahhala“ (ta-bannaka an einem Ort heißt: sich darin aufhalten und wohnen). Außerdem wird der Philologe al-Azhari zitiert, der erkannt hat, dass das Wort bunk, bank (Grund, Wurzel, Ursprung) ein persisches Lehnwort ist. Diese arabischen Belege dürften reichen, um den Konjekturvorschlag bannaka-hum (er setzte sie fest / er ließ sie festsitzen) an Stelle der traditionellen Lesung tabbaTa-hum zu rechtfertigen.
Nach dieser philologischen Erörterung und unter Berücksichtigung
der vorgeschlagenen Konjektur ist der besprochene Abschnitt aus Sure 9:46 nunmehr
so zu lesen:
„wa-lâkin kariha llâhu (i)nbi?âta-hum fa-bannaka-hum
wa-qîla (i)q?udû ma?a l-qâ?idîn“
Gegenüber dem bisherigen Verständnis nach Paret:
„Aber Gott mochte nicht, dass sie sich aufmachen würden, und so zwang
er sie zur Untätigkeit, und es wurde zu ihnen gesagt: ,Schließt euch
denen an, die (wegen körperlicher Gebrechen oder dergleichen) daheim bleiben!“
ist dieser Satz nunmehr so zu verstehen:
„Aber Gott war es zuwider, sie auszusenden;[4] und so setzte er sie fest (oder: ließ sie festsitzen) (an ihrem jeweiligen Aufenthaltsort) und sprach (wa-qâla statt wa-qîla): ,So bleibt (doch) sitzen mit den Sitzenden’!“
Gerade letzterer Satz („so bleibt doch sitzen mit den Sitzenden“) macht die synonyme Bedeutrung von bannaka-hum (er ließ sie festsitzen) besonders deutlich. Die bisherige traditionelle Lesung tabbaTa-hum scheidet daher als Fehlschreibung aus.
N.B.: Dies ist nicht der einzige Fall, bei dem Kopisten des Koran das emphatische arabische T und das normale k verwechselt haben. Die fortschreitende philologische Analyse des Korantextes (nicht erst das Projekt Corpus Coranicum) wird weitere Beispiele an den Tag legen.
Die Bedeutung der alternativen Konjektur bannaka-hu (statt tayyaka-hu) in Sure 3:96
Konnte die neue Lesung bannaka-hum (statt tabbaTa-hum) in Sure 9:46 als Hapaxlegomenon gelten, so ließe sich diese Auszeichnung nicht mehr aufrechterhalten, sofern diese Verbalwurzel sich in Sure 3:96 nachweisen ließe. Wurde nämlich für die sinnlose Fehllesung bi-Bakka die Emendation tayyaka-hu vorgeschlagen („das erste Haus, das für die Menschen errichtet wurde, ist dasjemige, das er als gesegnetes [Heiligrum] ... einzäunte“), so konnte sich dieses Verständnis sowohl auf Sure 17:1 als auch auf Sure 3:97 stützen.
Die alternative Emendation bannaka-hu (das er gründete) statt tayyaka-hu
(das er einzäunte) kann sich ebenso gut auf die Parallelstelle in Sure
2:127 berufen, wo es heißt:
„wa-.id yarfa'u Ibrâhimu l-qawâ'ida min al-bayt...”
„ während Abraham die Grundmauern des Heiligtums hochzog“
Dieser alternative Emendationsvorschlag (alladi bannaka-hu = das er gründete)
erscheint um so plausibler, als das vorausgegangene Verbum waDa?a [D = emphatisches
d] (inna awwala baytin wuDi'a li-n-nâsi = das erste Haus. das für
die Menschen errichtet, erbaut wurde) lexikalisch syro-aramäisch sâm
entspricht, wofür Mannâ (483b), außer der Grundbedeutung waDa?a,
unter (9) arabisch ferner assasa, šayyada, banâ (gründen, errichten,
erbauen) angibt. Als Synonym zu arabisch waDa?a (errichten) wäre also letztere
Emendation bannaka (gründen) vorzuziehen. Danach würde Sure 3:96 lauten:
„inna awwala baytin wuDi'a li-n-nâsi la-lladi bannaka-hu [statt
tayyaka-hu] mubârakan wa-hudan li-l-'âlamîn“.
„Das erste Haus, das für die Menschen errichtet wurde, ist dasjenige,
das er als gesegnetes [Heiligtum] und zur Rechtleitung der Menschen gegründet
hat.“
Konsequenzen der Fehllesung von bi-Bakka und der Missdeutung von Makka (Mekka)
Hat die eingehende philologische Analyse gezeitigt, dass der Koran weder einen primären Ort namens Bakka[5] noch einen davon abgewandelten sekundären Namen Makka (Mekka) kennt, da diese vermeintlichen Ortsnamen auf einer Fehllesung bzw. Fehlinterpretation nicht erkannter syro-aramäischer Ausdrücke beruhen, so kann mit dem zwei Mal vorkommenden Ausdruck „umm al-qurâ“ (Sure 6:92 und 42:7) (wörtlich „Mutter der Städte“ = angeblich „Hauptstadt“) auch nicht Mekka gemeint sein. Dies führt zugleich zu der Erkenntnis, dass die zwei Mal im Koran erwähnte Ka?ba (Sure 5: 95, 97), das zentrale Heiligtum des Islam, auch nicht in Mekka gelegen haben kann. Welchen Ort und was genau der Koran mit der Ka?ba wie mit den weiteren synonymen Ausdrücken al-bayt (das Haus) (8x), al-bayt al-?atîq (das alte Haus) (2x), al-bayt al-Harâm (das heilige Haus) (2x), al-masgid al-Harâm (das heilige Gebetshaus) (15x), al-maš?ar al-Harâm (die heilige Pilgerstätte) (1x) gemeint haben mag, auf diese Frage wird im Folgenden philologisch eingegangen. Im Ergebnis wird sich zeigen, dass alle diese Bezeichnungen sich am ehesten auf Jerusalem beziehen.
Weitere Parallelausdrücke:
a) Zum Ausdruck „umm al-qurâ“ (angeblich: „Metropole / Hauptstadt“) (Sure 6:92; 42:7)
Der Ausdruck „umm al-qurâ“, der arabisch nicht anders verstanden
werden kann als „Mutter der Städte“, wird von Tabari (VII,
271 f.) wie von allen von ihm zitierten Kommentatoren einstimmig auf Mekka bezogen.
Diese werde deshalb „Mutter der Städte“ genannt, weil das erste
(heilige) Haus in ihr erbaut worden sei (Anspielung auf die Fehllesung „bi-Bakka“
in Sure 3:96). Diese Auffassung machen sich unsere namhaften westlichen Koranübersetzer
(Rudi Paret, Régis Blachère, Richard Bell) kritiklos zu eigen.
Paret (S. 113) setzt zwar (umm al-qurâ) in Klammern, wodurch er andeutet,
dass er an der eigentlichen Bedeutung dieses Ausdrucks zweifelt, er
übersetzt ihn aber dennoch mit „die Hauptstadt“ und vermerkt
dazu: „D.h. Mekka“. Blachère (162) übersetzt: „la
Mère des Cités“ [6], und Bell (I, 124): „the mother of
the towns“, die er eher auf Medina bezogen wissen will. [7]
Philologische Erläuterung von „umm al-qurâ“
Elementare phonetische Vorbemerkung zum anlautenden Verschlusslaut im babylonischen Ostaramäisch (in der arabischen Grammatik Hamza genannt)
Nach der klassisch-arabischen Grammatik ist es unvorstellbar, im anlautenden,
medialen oder finalen Verschlusslaut (Hamza) ein anderes Phonem anzunehmen als
eben dieses. Orthographisch gilt ein initiales Alif (= Buchstabe a, wie griechisch
Alpha) generell als Hamza-Träger, der auf a, u oder i lauten kann. Das
Hamza bezeichnet den Verschlusslaut (auch Knacklaut genannt), der beim Vokalansatz
entsteht (initial, wie in deutsch ’achten, medial, wie in deutsch be-’ob-’achten
= beobachten). Eine Besonderheit des arabischen Hamza ist es aber, dass es nicht
nur im Anlaut, sondern auch beim Vokalauslaut (als eigenes Phonem und Morphem)
realisiert werden kann (ähnlich der im deutschen Sprachgebrauch gelegentlich
und individuell eingehaucht (einatmend) realisierten Aussprache des ja’
– mit auslautendem Verschlußlaut).
In ostaramäisch-babylonischen Dialekten wird aber der Kehllaut 'ayn im
Anlaut nicht selten zu einem Verschlusslaut abgeschwächt und wie das arabische
Hamza realisiert. Im Mandäischen fällt das 'ayn nach Vokalen im Silbenauslaut
sogar ganz weg[8]. Dieses Phänomen ist dem klassischen Arabisch fremd, da
das arabische (nach Überzeugung der Arabisten) dafür bekannt ist,
dass es die ursprünglichen semitischen Kehllaute festhält. Dies gilt
(oder galt bisher) in besonderem Maße für die Sprache des Koran,
die als absolutes Vorbild des klassischen Arabisch angesehen wird.
In der Koranforschung hat man zwar den aramäischen Hintergrund der koranischen Orthographie längst erkannt. Dass dies aber so weit reicht, dass nach ostaramäisch-babylonischer Schreibtradition (wie der mandäischen) ein 'ayn im Koran durch ein Alif ersetzt wird oder gar total schwindet, dies zu erfahren, mag nicht nur ein redlicher Muslim, sondern auch ein gelehrter Arabist als Schock empfinden.
Zur eigentlichen Bedeutung von „umm“ (al-qurâ)
Um im konkreten Fall auf die Schreibung von umm (al-qurâ) zu kommen:
dieses Wort besteht aus einem arabischen Alif (als Hamza-Träger + u-Vokal)
und einem m (das verdoppelt zu sprechen ist). Unter dieser Schreibung (und Aussprache)
kann man arabisch nur „Mutter“ verstehen.
Die gleiche Schreibung kann aber im Mandäischen für syro-aramäisch
?ammâ (Volk)[9] stehen. Nach ostaramäischer (und mandäischer) Aussprache
wird das 'ayn abgeschwächt und (bei gleichzeitiger Vokalverdunkelung) als
Verschlusslaut realisiert. So wird 'ammâ zu ’'mmâ >’ummâ.
Davon ist auch im Syrischen die Femininform ’umm-tâ (Gemeinschaft,
Volk, Geschlecht) belegt, woraus arabisch ’umma (Gemeinschaft, Nation)
ebenso wie arabisch ?âmma (Allgemeinheit, Öffentlichkeit) aus syro-aramäisch
?ammâ (Volk) entlehnt ist.
Um nun auf die eigentliche Bedeutung des koranischen Ausdrucks „umm al-qurâ“ zu kommen, den Paret angezweifelt hat, so könnte man darin zwar eine Lehnbildung aus syro-aramäisch „emmâ da-mdînâtâ“ (wörtlich: „Mutter der Städte“ = Metropole, Hauptstadt) sehen, wenn letzterer Ausdruck seinerseits nicht eine Lehnübersetzung aus griechisch metrópolis (Mutterstadt = Hauptstadt) zu sein schiene[10]. Zudem hat sich der koranische Ausdruck im Arabischen nie durchgesetzt, es sei denn, man meint damit – nach islamischer Tradition – ausschließlich Mekka[11]. Dass aber der Koran damit alles andere als Mekka meint, hat bereits die dargelegte philologische Analyse der betreffenden Koranstellen (Sure 3:96 und 48:24) deutlich gemacht. Und selbst wenn man (nach arabischem Verständnis) auf der vermeintlichen Bedeutung „Hauptstadt“ bestehen wollte, so wäre damit eher Jerusalem denn Mekka gemeint. Insoweit ist E.-M. Gallez für seine diesbezügliche These[12] letztlich recht zu geben, wenn auch nicht auf Grund seiner philologischen Anlyse.
Dass aber der Koran mit „umm al-qurâ“ weder Jerusalem noch
Mekka (noch Medina) meint, wird uns der Koran selbst durch den Kontext von Sure
28:59 klar machen. Darin heißt es:
„wa-mâ kâna rabbu-ka mu-hlik al-qurâ Hattâ ya-b’ata
fî ummi-hâ rasûlan ya-tlû 'alay-him âyât(i)-na“
Diesen Satz gibt Paret (322) wie folgt wieder:
„Aber dein Herr hätte die Städte nie zugrunde gehen lassen,
ohne vorher in der betreffenden Hauptstadt (fî ummihâ) einen Gesandten
auftreten zu lassen, der ihnen [Anm.: D.h. den Einwohnern] unsere Verse [Anm.:
W.: Zeichen] verliest.“
Was der Koran mit dem Plural „qurâ“ (Ortschaften, Städte) meint
Die namhaften Koranübersetzer (Paret, Blachère, Bell) scheinen nicht geahnt zu haben, dass der Koran mit dem Plural „qurâ“ (Singular qarya = Ortschaft, Dorf, Stadt) auf die beiden biblischen Städte Sodom und Gomorra (Gen 18+19) anspielt. Diesem in elf Suren wiederkehrenden Topos fügt der Koran weitere arabische Straflegenden hinzu.
Wenn nun der Koran von „umm al-qurâ“ spricht, so meint er
nicht eine bestimmte „Metropole“ (wörtlich: Mutter der Städte),
sondern: das „Volk“ = die „Einwohner“ der jeweiligen
Städte. Dieses Verständnis macht der Koran in der zweiten Hälfte
des vorzitierten Verses (28:59) besonders deutlich. Dort heißt es nämlich
weiter:
„ wa-mâ kun-na muhlikî l-qurâ illâ wa-ahlu-hâ
Dhâlimûn“
Paret (322) übersetzt hier richtig:
„Und wir hätten die Städte nie zugrunde gehen lassen, wenn ihre
Bewohner nicht gefrevelt hätten.“
Paret merkt nicht, dass der Koran in dieser zweiten Vershälfte das arabische Wort „ahlu-hâ“ (ihre Bewohner) als Synonym zu dem ostsyrisch-babylonischen Wort (fî) „ummi-hâ“ (= ihre „Einwohner“) gebraucht, und nicht „in der betreffenden Hauptstadt“, wie auch Blachère (métropole) und Bell (the mother of them) übersetzen.
Zur Bedeutung der Ka?ba (Sure 5:95, 97)
Hat nun die philologische Analyse von Sure 3:96 und 48:24 deutlich gemacht. dass der Koran weder einen primären Ort namens Bakka noch einen sekundären namens Makka kennt, so kann der zwei Mal im Koran vorkommende Begriff Ka?ba, woraus die islamische Tradition das zentrale Heiligtum des Islam schlechthin gemacht und dieses in das heutige Mekka verlegt hat, aus koranischer Sicht jedenfalls mit diesem Ort nichts zu tun haben.
In seiner vorgenannten Dissertation (Bd II, 298 ff.) geht E.-M. Gallez auf die mythische Entstehungsgeschichte der Ka?ba ein und kommt zu dem Schluss (S. 331), dass damit nur der Tempel von Jerusalem gemeint sein kann.
Die philologische Analyse des Begriffs Ka?ba wird diese Schlussfolgerung bestätigen. Doch im Gegensatz zu der heute gängigen Vorstellung, wonach die Ka?ba ein würfelförmiger, rechtwinkliger geometrischer Bau sei, weil die heutige Ka?ba von Mekka diese Form aufweist, wird die etymologische Untersuchung zeigen, dass der Begriff Ka?ba an sich der architektonischen, rechtwinkligen Gestalt der mekkanischen Ka?ba widerspricht. Wieder einmal wird die Philologie zu der zwingenden Schlussfolgerung führen, dass der Koran mit der Ka?ba nicht Mekka, sondern viel eher den Felsendom zu Jerusalem meint. Dabei wird die Lautverschiebung von Ka?ba zu Qubba näher erläutert (wie syro-aramäisch ?ammâ > ’umma). Ferner wird erläutert, dass deutsch Kubus nicht von lateinisch cubus aus griechisch kýbos, sondern viel eher letzteres vom arabo-aramäischen qubba (syro-aramäisch qebbû-thâ) abgeleitet ist. Dies wiederum bedeutet, dass Kubus ursprünglich auf eine konkave Form hinwies, und dass die semantische Verschiebung zu rechtwinklig erst durch die Fehlinterpretation der Araber des Begriffs Ka?ba entstanden ist. So kam es arabisch zum „mitr muka??ab “ (= Kubikmeter).
In einem nächsten Beitrag werden weitere Beispiele diese etymologische und semantische Erläuterung näher begründen.
(wird fortgesetzt)
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