Friedrich Halfmann
Anmerkungen zum Allgemeinen Dekret der Deutschen Bischofskonferenz vom 20.9.2012

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen Prof. Hartmut Zapp vom 26.9.2012 und die Veröffentlichung des Dekretes der Deutschen Bischofskonferenz am 20.9.2012 haben streng genommen nichts miteinander zu tun, außer dass es bei beiden um „Kirchensteuer“ geht. Darum müssten sie eigentlich getrennt betrachtet werden. Das ist aber nicht strikt durchzuhalten, auch weil der Vorsitzende der DBK, Erzbischof Zollitsch, immer wieder auf das Urteil Bezug nimmt.

Zum Dekret der DBK, zu seiner Präsentation in der Öffentlichkeit und zu einigen rechtlichen und pastoralen Konsequenzen

  1. Die DBK erweckte mit der hektischen Publikation des Dekretes in einer Sache, die bereits seit dem Jahr 2006 auf eine Klärung wartete, den Eindruck, noch auf die Entscheidung des Gerichts Einfluss nehmen zu können. Damit erhielt die Veröffentlichung des Dekretes kurz vor dem Entscheidungstermin eine Aufmerksamkeit, die ihm mehr schadete als nutzte.
    Faktisch wurde der katastrophale Eindruck nur verstärkt. Bis in die kleinste Provinzpresse hinab wurde die Nachricht weitergereicht, dass die kath. Kirche nach wie vor nur bereit ist, die Feier der Sakramente gegen Geld zu gestatten.
  2. Erschreckend ist das Ausmaß an Unwahrhaftigkeit, zu der sich die Katholische Kirche angesichts der Vorstellung des neuen Dekrets gezwungen sah. Soviel Eiertanz und Doppelzüngigkeit z.B. seitens des Sekretärs der DBK, Pater Langendörfer SJ, in einem einzigen Interview (www.domradio.de) erlebt man nicht oft.
    Langendörfer einerseits: „...Wer aus der Kirche austritt, tritt aus der Kirche aus ...“ und: „...Man tritt ganz aus...“ und „... aus der Sicht der katholischen Kirche ist er nicht mehr katholisch...".
    Langendörfer andererseits: „...Derjenige, der aus der Kirche austritt, begibt sich durch diesen Austritt (nur, Erg. F.H.) außerhalb der aktiven Mitgliedsrechte in der katholischen Kirche...“ und : „...der Priester oder Seelsorger ist natürlich daran interessiert, in dem Ausgetretenen im Gespräch ein Interesse zu wecken, diesen Schritt rückgängig zu machen, damit dann hinterher auch wieder eine volle Mitgliedschaft in der Kirche mit allen Rechten und Pflichten da ist...“
    Langendörfer zum staatlichen Kirchenaustritt, (der seiner irrigen Auffassung nach auch auf der „Meldebehörde“ [!] stattfindet): „...Das ist wie überall, wo man austritt...“, gemeint ist, wie bei jedem x-beliebigen Verein. Dieser Satz ist falsch. „Ausgetretene“ werden ausdrücklich als ‚Gläubige’ bezeichnet, denen der Pfarrer (gemeint ihr: ihr Pfarrer, Erg. F.H.) aus pastoraler Sorge nachgeht. Wichtige Gliedschaftsrechte bleiben laut Dekret bestehen, was sonst vereinsrechtlich nicht möglich ist.
    Außerdem: Wenn er den Vergleich ernst gemeint haben sollte, würde er den Status der Kirche auf Vereinsniveau degradieren, was er andererseits wieder vehement bestreiten dürfte.
    Langendörfer: „... Man kann dann eben nicht mehr wie ein Mitglied zum Beispiel, was man vielleicht lange gerne getan, die heilige Kommunion empfangen..."
    Faktisch falsch: Kein Priester darf einen Gläubigen von der Eucharistie ausschließen, selbst wenn er über dessen Status - schwerer Sünder oder als ausdrücklich mit der Strafe der Exkommunikation belegt - Bescheid wüsste.
  3. Die Genugtuung der DBK über das staatliche Urteil und die Klarstellung, dass ein staatlicher Kirchenaustritt ein wirklicher Kirchenaustritt sei, (Zollitsch: „damit ist Rechtsicherheit überall entstanden.... darüber bin ich froh, dafür bin ich sehr dankbar“ (http://www.verheissung.ch/links/news/index.php)) ist geradezu peinlich. Man fragt sich verwundert, ob der Vorsitzende der DBK die Lehre seiner eigenen Kirche noch ernst nimmt. Sie besagt, dass nach erfolgter Taufe kein Austritt aus der Kirche möglich sei, weder durch eigenen Entschluss, noch durch die Entscheidung einer Kirchenbehörde und erst recht nicht durch eine Unterschrift vor einer staatlichen Behörde. Diese Position vertritt der Verein zur Umwidmung von Kirchensteuern e.V. seit 1990 offensiv in der Kirche und ermuntert seine Mitglieder zum staatlichen Kirchenaustritt und gleichzeitigem "Umwidmen" der freigewordenen Gelder.
    Die Kirche bedient sich eines staatlichen Lautsprechers, hier in Gestalt des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts, um die irreführend wirkende Falschmeldung erneut in die Welt setzen zu lassen. Wenn das BVerwG vom Kirchenaustritt spricht, meint dieses mit dem Begriff etwas anderes als die Kirche in ihrem Dekret.
    Durch das BVerwG ist nicht „Rechtssicherheit überall entstanden“, wie Zollitsch uns glauben machen will, auf kirchlichem Gebiet ganz sicher nicht, denn dazu ist ein deutsches Gericht nicht befugt.
    Täuscht nicht auch das BVerwG eine Rechtssicherheit vor? Diejenigen, die das Gericht eindeutig als Nicht-Mitglieder der Kirchen ansieht und so behandelt wissen will, werden von den Kirchen nach wie vor als legitime, wenn auch in ihren Rechten sehr beeinträchtigte Mitglieder angesehen.
    Warum begleitet die DBK die Veröffentlichung ihres Dekretes mit so vielen Falschaussagen? Der Vorsitzende der DBK und ihr Sekretär tricksen in der Öffentlichkeit mit der Wahrheit, weil möglicherweise das deutsche Kirchensteuersystem praktisch auf eine abschüssige Ebene geriete, wenn sie die Wahrheit differenziert darstellen würden.
  4. Die kirchliche Rechtsverbindlichkeit des Dekretes selbst wird bereits in Zweifel gezogen. Anlass dazu gibt die DBK selbst. In immer neuen Varianten wird von ihr und im Anschluss daran auch in der Presse pauschal auf „Rom“ als zusätzliche Rechtsquelle verwiesen.
    „... Es wurde in Deutschland erarbeitet, von der Deutschen Bischofskonferenz approbiert und durch die Kongregation für die Bischöfe im Vatikan am 28. August 2012 rekognosziert. Damit hat es die nötige Akzeptanz des universalkirchlichen Gesetzgebers....“ Presseerklärung der DBK
    „...Die Deutsche Bischofskonferenz ist hier, wenn man so will, der Gesetzgeber dieses Dekretes, aber sie kann nur als Gesetzgeber tätig werden, wenn dies in Übereinstimmung mit den Autoritäten in Rom geschieht. Konkret ist da die sogenannte Bischofskongregation zuständig, die sich um Bischöfe und Bischofskonferenzen zu kümmern hat. Die muss dieses O.K. geben, und dieses ist erfolgt. Insofern ist dieses Dekret eine Gesetzgebung der deutschen Bischöfe, für die Deutsche Bischofskonferenz in voller und ungeteilter, unbezweifelbarer Einigkeit und Unterstützung durch Rom....“ P. Langendörfer, www.domradio.de , 20.9.2012
    „... Mit dem auch vom Vatikan gebilligten Dekret sei "klargestellt, dass ein öffentlicher Akt wie der Kirchenaustritt vor dem Staat auch eine Verletzung der Pflicht darstellt, die Gemeinschaft mit der Kirche zu halten", sagte Häring am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in München...“ www.katholische-sonntagszeitung.de, 20.9.2012
    „...Dem Dekret vorausgegangen waren langwierige Verhandlungen zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und verschiedenen vatikanischen Dienststellen, die in der für Deutschland typischen Verschränkung von zivilem Kirchenaustritt und automatischem Verlust der Rechte als Kirchenmitglied keine zwingende Verbindung erkennen konnten...“ FAZ ohne näheren Beleg in: www.katholische-Sonntagszeitung.de, 20.9.2012
    Mit einem neuen Dekret haben die deutschen katholischen Bischöfe einen jahrelangen Disput unter Theologen und Juristen beendet. Dies geschah im Einvernehmen mit Rom, das Dekret wurde vor der Veröffentlichung dem Papst persönlich vorgelegt. KNA 29.9.2012
    Solange bezweifelt werden kann, dass das neue Dekret die gleiche Rechtsverbindlichkeit hat wie die authentische Erklärung des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte vom 13. März 2006, wird die kirchenrechtliche Auseinandersetzung um die Gültigkeit des kirchlichen Kirchenaustritts weitergehen.
  5. Ein namentlich nicht genannter, der Redaktion von www.regensburg.digital.de jedoch bekannter Kirchenrechtler urteilt: „... Die Kongregation für Bischöfe (ist) für solche Fragen gar nicht zuständig. Dort wird über die Berufung von Bischöfen entschieden. Wenn überhaupt, dann müsse eine solche Entscheidung von der Kleruskongregation, dem Staatssekretariat oder dem Päpstlichen Rat für Gesetzestexte entschieden werden. Oder gleich vom Papst persönlich. Stellen, um zu klären, ob dieses Papier der Bischofskonferenz Rechtscharakter erlangen kann, gäbe es genug.“ http://www.regensburg-digital.de/kirchensteuer-dekret-der-bischofskonferenz-weniger-wert-als-klopapier/21092012
    Wenn der Wortlaut des Dekretes vom Papst selbst unterschrieben worden wäre, so die Meinung des besagten Kirchenrechtlers, wäre dies von der DBK mitgeteilt worden. - Die Auseinandersetzung über die Rechtsverbindlichkeit des Dekrets wird also weitergehen.
  6. „...Das größte rechtliche Problem, das das Allgemeine Dekret der DBK zum Kirchenaustritt vom 20. September 2012 aufwirft, ist, dass es ... bereits vor einem klärenden Gespräch (!) mit diesem Kirchenaustritt vor staatlichen Stellen sämtliche (!) Rechtsfolgen im äußeren Bereich verbindet, die ... nur eine rechtskräftig festgestellte oder verhängte Exkommunikation entfalten kann..... Die Rechtsfolgen der Exkommunikation tragen zu müssen, wo keine Tatstrafe mehr möglich ist und bereits bevor die Exkommunikation als Spruchstrafe verhängt und rechtskräftig geworden sein kann, kann nur als Willkürmaßnahme gegenüber den Betroffenen gewertet werden und muss deshalb sobald als möglich wieder abgestellt werden...“ Clemens Viktor Oldendorf, http://www.kathnews.de/einige-ueberlegungen-zum-kirchenaustritt-in-deutschland .
  7. Das Dekret stellt die praktische Seelsorge vor erhebliche Probleme. Es wirkt wie ein kirchliches Arbeitsbeschaffungsprogramm. Ca. 130 000 Schreiben, in Krisenzeiten bis zu 250 000 Pastoralbriefe müssen verschickt werden. Vor allem in Großstädten wird der Arbeitsaufwand dramatisch ansteigen. Der Vorsitzende der DBK, Erzbischof Zollitsch, hat bereits angekündigt, dass notfalls auch Pastoralreferenten die Gespräche führen könnten. Wann haben je treue Kirchenmitglieder soviel kirchliche Zuwendung erfahren?
  8. Weitere Schwierigkeiten können entstehen, wenn die Angeschriebenen sich tatsächlich zum Gespräch melden: „...Wenn aus der Reaktion des Gläubigen, der den Kirchenaustritt erklärt hat, auf einen schismatischen, häretischen oder apostatischen Akt zu schließen ist, wird der Ordinarius dafür sorgen, die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen....“ (Dekret)
    Welche Indizien können den Pfarrer veranlassen, auf solche Akte zu schließen? Muss er wirklich, wie die DBK nahelegt, auf schismatische Haltungen schließen, wenn der Betreffende zwar weiterhin die Zahlung der Kirchensteuer verweigert, jedoch nachweislich auf andere Weise finanziell, vielleicht sogar in viel größerem Umfang seinen Kirchenbeitrag leistet? Wann kann/darf der Pfarrer auf häretische Anwandlungen bei den Betroffenen schließen? Ist nicht, nach Karl Rahner, jeder Christ zwangsläufig „häretisch“, weil es keine Total-Identifikation mit der Kirchen geben kann, ja diese nicht einmal geleistet werden darf?
    Was sind „entsprechende Maßnahmen“ auf Seiten des Bischofs? Gibt es noch andere als die gerichtliche Überprüfung des Verdachts des Pfarrers? - Der Willkür scheint Tür und Tor geöffnet zu sein.
  9. Wie viele der Angeschriebenen die Einladung zum Gespräch annehmen werden, ist kaum vorherzusagen. Viele werden es wohl nicht sein. Wie wird die Pastoral mit denjenigen umgehen, die nicht reagieren? Kann die Kirche eine Nicht-Reaktion als endgültige, negative Entscheidung werten? Ist dann etwa der Bischof verpflichtet, z.B. nach einem Jahr des vergeblichen Zuwartens auf die Antwort des Angeschriebenen, „entsprechende Maßnahmen“ zu ergreifen, allein schon um Klarheit zu schaffen und den Fall abzuschließen?
    Wenn aber der zuständige Bischof dann förmliche Gerichtsverfahren in Gang setzt, um einen der Delikte, Apostasie, Häresie oder Schisma gerichtsnotorisch nachzuweisen, um die Betroffenen nach einem offiziellen Schuldspruch mit der Exkommunikation zu belegen, dann werden die negativen Schlagzeilen nicht abreißen.
    Am Ende müssten, wenn man das Szenarium bis zu Ende durchdenkt, die Verurteilten, die ja immer noch Kirchenmitglieder sind, offiziell vom Bischof über den Ausgang des Verfahrens informiert werden, natürlich einschließlich des Hinweises auf entsprechende Rechtmittel gegen das Urteil. - Auch kirchliche Amtsschimmel wiehern.

Um die Kirchensteuerpraxis in Deutschland zu retten, geht die DBK immer krummere Wege, politisch, rechtlich, pastoral und nicht zuletzt auch theologisch, um diesen letzten Aspekt wenigstens kurz anzudeuten. Wie steht es mit der von der DBK propagierten Behauptung, die Katholische Kirche in Deutschland existiere in der Form der Körperschaft des öffentlichen Rechts? Diese Formulierung, behauptet um die Kirchensteuer zu retten, bereitet jetzt schon Theologen erhebliches Kopfzerbrechen.

Haltern am See, 1.10.2012


© imprimatur Dezember 2012
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