Werner Müller
Der Fall Offergeld – ein Religionslehrer, der unter die Pharisäer fiel

Studium der (katholischen) Theologie in München ab 1965, als das 2. Vatikanische Konzil gerade zu Ende ging. Es war in den „wilden 68er Jahren“, der Zeit der weltweiten Studentenrevolten („Unter den Talaren – der Muff von tausend Jahren“), des Vietnamkriegs, der Außerparlamentarischen Opposition und des Radikalenerlasses in der alten Bundesrepublik. Sogar die Fachschaft Katholische Theologie ist eher links, sie wird von einem gewissen Rüdiger Offergeld geführt. Man kennt sich, bei der damals großen Zahl von Theologiestudenten, nur von ferne. Der Fachschaftsvorsitzende und Mitglied im Studentenparlament organisiert, im Rahmen des von den Studentenvertretungen beanspruchten und auch wahrgenommenen allgemeinpolitischen Mandats, Sit-ins, also „Sprengungen“ von Vorlesungen auch in der katholischen Theologie. Dabei wird er – daran erinnere ich mich noch heute – von einem weltberühmten Professor (für Kirchenrecht) heftig beleidigt: „Was macht es einer deutschen Eiche, wenn sich ein Schwein daran reibt!“. Seine Vorlesung konnte er dennoch nicht wie geplant halten; die Studierenden diskutierten, statt sich seine Ausführungen etwa über das Messstipendium oder das Eherecht anzuhören, über ein allgemein- oder hochschulpolitisches Thema. Dabei waren sie sehr gemäßigt „radikal“, es geht im Vergleich etwa zu den Soziologen oder Psychologen relativ zahm zu; zum Beweis: die spontan sich bildendende Hochschulgruppe der Theologen verfasste unter anderem Flugblätter gegen die von den Linken und Liberalen geforderte kostenlose Abgabe der Pille an Studentinnen.

Der Name Offergeld verschwand bald wieder aus der (studentischen) Öffentlichkeit und meinem Bewusstsein – bis im Jahr 1974 ein Buch erschien: Der Fall Offergeld. Dokumentation des Konflikts zwischen Bayerns Kultusminister und einem gewerkschaftlich engagierten Lehrer, hg. von Frank von Auer, Frankfurt 1974, Fischer Taschenbuch 1583. Beim Versuch, im Bücherregal Platz zu schaffen, fällt es mir fast 40 Jahre später wieder in die Hände.

Unser früherer Studentenvertreter Offergeld, inzwischen Lehrer an einem Münchner Gymnasium für katholische Religion, Deutsch und Sozialkunde, war durch eine vom bayerischen Kultusminister Hans Maier höchstpersönlich unterschriebene Verfügung zum 1. Juli 1974 aus dem Beamtenverhältnis auf Probe wegen Nichteignung für den Lehrerberuf entlassen worden. Es war offensichtlich, dass diese Begründung vorgeschoben war. Denn der Referendar und Studienrat zur Anstellung hatte bisher ganz passable Beurteilungen erhalten. Sein Vorgesetzter bewertet ihn noch 1972 mit dem Gesamturteil „gut“ („Der junge und aufgeschlossene Lehrer geht mit sichtlicher Freude an seine Arbeit. Mit spürbarem Erfolg bemüht er sich, seinen Stoff aktuell zu gestalten. Die Schüler haben ihn auf allen Stufen voll angenommen. Der Unterricht ist lebendig“.) Ein gutes Jahr später erteilt derselbe Schulleiter ihm das schlechteste denkbare Prädikat „Entspricht nicht den Anforderungen“. Ihm sei in seiner ganzen Tätigkeit als Schulleiter noch nie „ein so leistungsschwacher und unbelehrbarer Lehrer begegnet“. Es ist mit Händen zu greifen, dass hinter diesem extremen Umschwung der Bewertung weder ein plötzlicher Leistungsabfall des Junglehrers noch mangelnde Urteilskraft des Vorgesetzten stehen, sondern politische Beweggründe. Offergeld hatte schon als Studienreferendar öffentlich Kritik an der Ausbildung geübt und den gewerkschaftlichen Zusammenschluss von jungen Lehrern in Bayern zu organisieren begonnen. Er war in die SPD und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft eingetreten, 1973 wurde er zum Bundesvorsitzenden des Ausschusses junger Lehrer und Erzieher in der GEW gewählt. Unmittelbar danach leitete das bayerische Kultusministerium disziplinarrechtliche Vorermittlungen gegen ihn ein. Da man ihm in dieser Hinsicht nichts anhaben konnte – er war nicht Mitglied in einer verfassungsfeindlichen Organisation, aber in der Zeit des Radikalenerlasses genügt auch schon der Verdacht, mit einer solchen angeblich in Kontakt zu stehen, um sich selbst verdächtig zu machen – werden fachliche Mängel gesucht – und dann, das wäre doch gelacht, auch ,gefunden‘.

Bei Offergelds Entlassung arbeiteten Staat und Kirche eng und gut zusammen, und zwar – eine kleine Ironie der Geschichte ! – in der Person des damaligen Kultusministers Hans Maier und des Münchner Kardinals Joseph Ratzinger. Als katholischer Religionslehrer hat Offergeld eine Missio canonica, eine kirchliche Unterrichtserlaubnis, die der staatlichen Seite die am leichtesten angreifbare, wunde Stelle Offergelds zu sein scheint. Hier wird er durch kirchliche Schützenhilfe, durch Entzug der Missio wider alles bessere Wissen, empfindlich getroffen.

Dabei spielt ein Gutachten des Fachberaters für den katholischen Religionsunterricht, Studiendirektor Albert Schlereth, eine unrühmliche Rolle. Allein aufgrund von schriftlichen Schülerarbeiten, ohne Offergelds Unterricht auch nur einmal hospitiert zu haben, bescheinigt er, dass dieser nicht mit den Grundsätzen des katholischen Glaubens übereinstimme (er setze stattdessen „auf das Dreigestirn Neopositivismus, Sexualismus und Marxismus“) und den Lehrplan „allenfalls gelegentlich, und dann nur unzureichend“ einhalte. Renommierte Theologen und Religionspädagogen wie Hubertus Halbfas, Norbert Greinacher, Günter Stachel und Otto Betz zerreißen zwar Schlereths schwülstige Ferndiagnose übereinstimmend in der Luft; Halbfas beispielsweise sieht darin eine methodisch und inhaltlich „unverantwortliche Verketzerung des StR Offergeld“, aber kein wissenschaftlich seriöses, juristisch verwertbares Gutachten. Stachel schreibt schön süffisant: „Die Lehrleistung oder die religiöse Qualität des Unterrichts… nach schriftlichen Arbeiten zu erheben, ist nach meiner Ansicht ebenso wenig angängig wie das Verfahren, durch Kontrolle der Prediger eines Bistums die Qualität des dortigen Ordinariats und des Diözesanbischofs erheben zu wollen“.

Aber alle diese Gegengutachten helfen ebenso wenig wie Widerlegungen von anderer fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Seite des negativen ministeriellen Gutachtens über Offergelds Sozialkunde- und Deutschunterricht. Professor Volker Nitzschke von der Universität Frankfurt etwa kommt sogar zum Ergebnis, dass „aus dem Gutachten zu lesen ist, das Herr Offergeld sich um einen (Sozialkunde-) Unterricht bemüht, der im Einklang mit den Auffassungen moderner Didaktik steht“.
Trotz aller Fürsprecher wird Offergeld im Sommer 1974 aus dem Schuldienst entlassen. Rückblickend schreibt er selbst auf seiner Homepage: „Das politische Profil eines Sozialdemokraten, Gewerkschafters und katholischen Theologen passten in jener Zeit in Bayern nicht zueinander“. Es folgen jahrelange Prozesse gegen den Freistaat Bayern, über deren Ausgang mir nichts bekannt ist. Nach seiner Entlassung arbeitet er, bis heute, als freier Publizist, Schriftsteller und Hörfunkautor, offenbar recht erfolgreich. 2010 wurde er in das PEN-Zentrum Deutschland gewählt.

Ich vermute, dass der „Fall Offergeld“ langfristig weniger dem Betroffenen als der damals staatstragenden bzw. mit dem Freistaat fast schon identischen Partei und der mit dieser verbandelten Amtskirche geschadet hat. Die heutige Glaubwürdigkeitskrise der katholischen Kirche dürfte auch solchen „Fällen“ geschuldet sein.


© imprimatur Dezember 2012
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