Im dem von ihm ausgerufenen „Jahr des Glaubens“ fordert Papst Benedikt zum Studium des „Katechismus der Katholischen Kirche“ auf. Der wurde 1993 von Papst Johannes Paul II. auf den Markt gebracht. Er stieß auf heftige Kritik. Denn was man darin zu lesen bekam, entspricht in keiner Weise dem Stand heutiger Exegese und Theologie.
Für den Katechismus ist das ganze Leben Jesu ein „Mysterium“ – „… von den Windeln bei seiner Geburt bis zum Essig bei seinem Leiden und zum Grabtuch bei seiner Auferstehung – (alles ist) Zeichen seines innersten Geheimnisses. Durch seine Taten, seine Wunder, seine Worte wurde offenbar, dass in ihm ‚die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig’ wohnt“ (Nr. 515). Zum Thema Weihnachten steht zu lesen: „Weihnachten ist das Mysterium des ‚wundersamen Tausches‘. … Jesus kam in der Armseligkeit eines Stalles zur Welt, in einer unbegüterten Familie; schlichte Hirten sind die ersten Zeugen des Ereignisses. In dieser Armut erstrahlt die Herrlichkeit des Himmels“ (Nr. 526.525).
Die Erzählung des Lukasevangeliums wird offenbar als Tatsachenbericht gesehen. Zumindest wird der Anschein erweckt – den allgemein anerkannten Ergebnissen der historisch-kritischen Bibelauslegung zum Trotz. Darüber hinaus ist von der „Armseligkeit eines Stalles“ bei Lukas überhaupt nicht die Rede.
Wenn aber alles historisch Gesicherte (später werden im Katechismus Taufe, Verkündigungstätigkeit und Passion genannt) und auch noch das, was der Papst und die Autoren des Katechismus für historisch halten, als „Mysterium“ betrachtet wird, dann besteht die Gefahr, das gesamte Leben Jesu als etwas zu sehen, was der irdischen Realität enthoben, was eigentlich „nicht so ganz wahrhaft menschlich“ ist. Dass Jesus eben doch nicht ein „wahrer Mensch“ gewesen sein könnte, sondern dass sein gesamtes Leben irgendwie „mysteriös“ war. Das physische Ereignis „Jesus von Nazaret“ wird hochstilisiert zur metaphysischen Ikone „Jesus Christus Gottessohn, eines Wesens mit dem Vater“. Wenn schon die Windeln „Mysterium“ und „Zeichen seines innersten Geheimnisses“ sind, stellt sich die Frage, was denn nun das Eigentliche, das Wesentliche und Besondere des (Gesamt-)Mysteriums Jesus Christus ausmache.
Nun ist ziemlich exakt zum Beginn des (katholischen) „Jahres des Glaubens“ unter dem Titel „Glaubenssätze“ ein (evangelischer) „kritischer Katechismus“ auf den Markt gekommen. Sein Autor ist der Theologe und Neutestamentler Gerd Theißen, der bis zu seiner Emeritierung an der Universität Heidelberg tätig war. Er sieht in dem 440 Seiten umfassenden Werk einen „Versuch, den christlichen Glauben in meditativen Texten zusammenzufassen, die dazu einladen, kontemplativ betrachtet zu werden.“ Denn – so Theißen – „religiöse Wahrheit ist auf Kontemplation angewiesen und darin ästhetischer und ethischer Erkenntnis vergleichbar.“ Der Katechismus ist in Sinnzeilen gegliedert. Meditative Texte erinnern an Gedichte, manche sind von Bildern bestimmt, andere von Reflexion, einige wollen informieren, einige auch kritisieren. Die „Glaubenssätze“ stehen für einen christlichen Glauben, der die moderne Welt als Herausforderung begreift, für eine Überlieferung, die um des notwendigen „aggiornamento“ willen immer wieder neu zu formulieren ist. „Überall müssen wir zwischen dem traditionellen Glauben und dem, was wir in ihm heute an Wahrheit und Sinn entdecken, unterscheiden“ (Vorwort, S. 11).
Das Wort „Mysterien“ kommt in diesem Katechismus nicht vor, wohl aber das Wort „Mythos“. Der Mythos spricht in vertrauter und allgemein verständlicher Weise das Unvertraute, Transzendente aus. Mythen sind Ausdruck für die Bild-, Symbol- und Sprachgebundenheit des menschlichen Denkens. Durch Symbole, so meint der katholische Theologe Karl Rahner, wird der Sinn von Wirklichkeit tiefer erschlossen als durch abstrakte Begriffe.
Die „Glaubenssätze“ unterscheiden klar zwischen Historie und Mythos. Im Kapitel „Wer war Jesus?“ steht zu lesen:
„Geboren in einem kleinen Ort Galiläas
Am Ende der Regierungszeit Herodes I.
Sohn des Holz- und Steinarbeiters Joseph und seiner Frau Maria,
Bruder mehrer Geschwister.
Lesen hat er gelernt,
wahrscheinlich auch schreiben“ (Nr. 97).
Ein späteres Kapitel behandelt das Thema „Jesus im Mythos: Von
der Präexistenz bis zur Parusie“. Hier finden sich auch Ausführungen
zu Weihnachten unter der
Überschrift: „Das Wort wurde Fleisch. Was bedeutet der Mythos von
der ,Menschwerdung’ Gottes?“
„Die Menschwerdung Gottes
zielt auf unsere Menschwerdung.
Unsere Kultur ist voll Zynismus.
Unsere Kinderbücher aber sind voll
von einer optimistischen Moral.
Wir geben den Kindern den Glauben,
dass das Leben gelingen kann!
Gegen unsere Überzeugungen
sagt eine souveräne Stimme:
,Jedes Kind hat seinen Auftrag zum Leben,
den niemand infrage stellen darf!’
Diese Stimme nahm in einem Kind Gestalt an.
Das Wort wurde Fleisch.
Die Botschaft ist:
Weil dieses Kind auf Erden geboren wurde,
kann das Leben trotz unseres Zynismus auf Erden gelingen.
Seine Menschwerdung hilft uns
zu unserer Menschwerdung.
Die Menschwerdung ist ein Bild.
Gott will im Menschen wohnen
von Geburt bis zum Grab,
vom ersten Schrei bis zum letzten Atemzug,
in Glück und Leid,
in Erfolg und Scheitern.
Der Mensch hat unendlichen Wert,
wenn Gott bereit ist,
Wohnung in ihm zu nehmen.
Wenn die Theologen der Alten Kirche
jede scheinbare Menschwerdung ablehnten,
kämpften sie für ihre Menschwerdung,
dafür, dass Gott ihr Leben wirklich
und nicht nur zum Schein durchdringt“ (Nr. 121).
Begebenheit und Deutung werden klar unterschieden. Jesus war kein mythisches Wesen, das in eine mythische Welt herabkam, sondern ein „normaler“ Mensch. Er war nicht von einem Nimbus umstrahlt, der jedem sofort auffallen musste. „Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen, er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn über alle erhöht.“ So besingt es der Christus-Hymnus im Brief an die Gemeinde von Philippi (Phil 2,6-9).
Ein „Jahr des Glaubens“ sollte die Menschen von heute (wieder) zum Glauben einladen und sie behutsam dazu hinführen. Die Menschen sollten nicht bloß Objekte der Belehrung, Adressaten einer fertigen Botschaft sein, die im Gehorsam anzunehmen ist, sondern Partnerinnen und Partner im gemeinsamen Suchen nach der letzten und tiefsten Wahrheit der Botschaft Jesu und des Lebens überhaupt.
Die Weihnachtstexte des „Katechismus der Katholischen Kirche“ bleiben hinter diesem Anspruch weit zurück. Sie begnügen sich mit der Darlegung der tradierten kirchlichen Christologie, wie sie im 19. Jahrhundert gelehrt wurde. Nur das sprachliche Gewand erscheint etwas modernisiert. Das genaue Gegenteil ist der „Heidelberger Katechismus“. Er bringt den (noch) Gläubigen ihren „alten“ Glauben in einer ungewohnten, neuen Sprache näher. Und macht ihn für Zweifelnde (wieder) interessant und glaub-würdig. „Wenn er als Textbuch für Gesprächsgruppen und für das persönliche Nachdenken über letzte Fragen des Lebens dient, hat er seinen Zweck erfüllt. Wenn er manchem hilft, das Christentum zu entdecken oder wieder zu entdecken, wäre das in meinem Sinne, aber auch, wenn er säkularisierten Menschen hilft, besser zu verstehen, was einen modernen Christen bewegt, auch wenn er dessen Christentum nicht teilt, wäre das sehr viel… Der Katechismus will im christlichen Glauben eine dem gegenwärtigen Menschen zugängliche Weisheit entdecken.“ So beschreibt der Autor Gerd Theißen sein Anliegen. Das dürfte ihm vollauf gelungen sein. Im „Jahr des Glaubens“ kann dieses Buch Menschen zum Christ-Werden und Christ-Sein hinführen. Der „Katechismus der Katholischen Kirche“ wird sie eher abstoßen.
Gerd Theißen, Glaubenssätze. Ein kritischer Katechismus, Gütersloh 2012, ISBN 978-3-579-08148-9
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