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45. JAHRGANG
 
23 . Juni 2012


INFORMATIONSDIENST DER ARBEITSGEMEINSCHAFT VON PRIESTER- UND SOLIDARITÄTSGRUPPEN IN DEUTSCHLAND (AGP) 2012 / 4(5)

Die Welt – eine Welt des Geldes?
Bericht von der AGP-Jahresversammlung 2012

30 Mitglieder aus den AGP-Gruppen hatten sich am Abend des Pfingstmontags im Haus am Maiberg in Heppenheim zur Jahresversammlung eingefunden. Nicht zuletzt wohl wegen des Referenten, Pater Friedhelm Hengsbach, auf dessen Ausführungen zum Thema „Arme und Bedrängte“ – vergessen in Kirche und Welt?“ man gespannt war. Das Thema sollte Anlass sein zu einer Rechenschaft fast 50 Jahre nach Verabschiedung der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

„Gaudium et spes“ - Grenzen und Perspektiven

Der erste Blick des Referenten ging in die Vorkonzilszeit und auf die Vorbereitungsarbeit für einen Entwurf von „Gaudium et spes“. Der Konstitutionstext entstand in einem langen, z.T. sehr kontroversen Diskussions- und Formulierungsprozess. Die ersten Entwürfe wiederholten lediglich die klassische katholische Soziallehre mit ihrer deduktiven Prinzipienethik, nach der der Kirche die Rolle zufällt, andere, die Welt zu belehren. Auch Texte mit weiteren Schwerpunkten verblieben in traditionellen Erklärungsmustern: Naturrechtsphilosophie oder konservative Ordnungsgefüge mit Familie, Staat und Privateigentum. Für die Laien blieb es bei der Aufgabe, die vom Lehramt vorgelegten Prinzipien anzuwenden. Auch ein mit induktiver Methode vorgehendes Papier, bei dem die konkrete Situation beschrieben und mit Hilfe sozialphilosophischer Kategorien erläutert wurde, bei dem auch die biblische Erinnerung einen größeren Raum einnahm, wurde schließlich abgelehnt, da es mit einem dogmatischen Teil begann, um anschließend lediglich die konkreten Folgen aufzuzeigen. Erst dann wurde der Entwurf vorgelegt, der nach der Meinung des Referenten eine hermeneutische Revolution bedeutete: Nicht mehr die Kirche ist zunächst die Lehrende, sondern sie selbst muss auf die Welt schauen, um von ihr zu lernen.

Die Diskussionen um den Text auf dem Konzil setzen sich fort in den Kontroversen um die Deutungshoheit nach dem Konzil. Das ist nicht verwunderlich, da der Konzilstext vielfältige Kompromisse enthält. Darum können sich recht unterschiedliche Gruppierungen auf ihn berufen. In der Tat: Es gibt nicht die Interpretation.

Schon bald nach dem Konzil hat Joseph Ratzinger aus seiner Sicht von einer „nicht temporalen, ortlosen Kirche“ die Konzeption von GS kritisiert. Nach seiner Meinung schwäche die Herangehensweise „von außen“ die Bekenntnisfähigkeit der Kirche. Andere, wie Rahner und Chenu betonten dagegen, man dürfe die moralischen Prinzipien nicht mit den konkreten Normen verwechseln und müsse die Bedeutung von Strukturen für das menschliche Verhalten beachten.

Vor dem Hintergrund des Streits um die angemessene Konzilshermeneutik, die bis heute anhält und sich sogar in letzter Zeit verschärft, verwies Hengsbach auf Schwächen des Konzilstextes. Nach ihm sind die Aussagen nicht konsequent. Entsprechend einer traditionellen Anthropologie bilde der Mensch den Mittelpunkt der Schöpfung, woraus sich weitgehend eine moralische Perspektive ergebe. Das Verhältnis von Anthropologie und Soziologie bleibe ungeklärt; soziologische Erkenntnisse würden eher verdrängt. Der 2. Teil der Konstitution sei geprägt von einem unhaltbaren sozialmetaphysischen Ordnungsdenken und enthalte veraltete Positionen, z.B. in der Sexuallehre, oder sei zu „zögerlich“, z.B. in der Verurteilung eines Atomkriegs.

Bei aller Kritik und trotz der Grenzen dieses Dokuments eröffnet es doch neue Perspektiven, was wohl auch der Grund für seine begeisterte Aufnahme über den Raum der Kirche hinaus war.

In der Diskussion wurde vor allem darauf verwiesen, dass die Kirche zunächst selbst gerecht sein müsse, bevor sie Gerechtigkeit glaubwürdig predigen könne (So schon die römische Bischofskonferenz 1971). Dazu sei es notwendig, die in GS Nr.1 proklamierte Nähe zu den Menschen zu suchen, die Lebenswelt und das Leiden der Zeitgenossen zu teilen („Compassion“). Dies falle in einer bürgerlichen Kirche besonders schwer. Doch gebe es keine Alternative zum „Seitenwechsel“ zu den Armen und Bedrängten, in denen das Bild und Gleichnis Gottes verletzt werde. Ihnen gegenüber sei die Praxis der Tora, wie sie im Samariter-Gleichnis deutlich wird, als Gottes- und Nächstenliebe oberstes Gebot. Wenn das Volk Gottes identisch mit der ganzen Menschheit ist, dann dürfe niemand aus der Gemeinschaft der Kirche ausgeschlossen werden. Vor allem aber die Armen dürften nicht nur in den Fürbitten der Gemeinde vorkommen.

Gegenwärtige Krisen als Metastasen der Finanzkrise

Die Bankenkrise, die 2008 ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte und in vielen Pleiten und in der „Rettung“ durch staatliche (Steuerzahler-) Milliarden endete, nannte der Referent die „Krise vor der Krise“. Die Finanzmärkte waren als angemaßte staatliche Gewalt offenkundig geworden, die die wirtschaftlichen Entscheidungen bestimmen: die Gewerkschaften klein halten, Lohnsteigerungen moderat halten, durch niedrige Steuersätze „das Kapital“ bei Laune halten. Die Krise wurde allgemein mit Euphorie begleitet und nicht als Krise verstanden; die Vermögensblase ließ den immensen Schuldenberg übersehen. Die Folge: die Schulden wurden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Hengsbach unterstrich, dass es nicht in erster Linie um ein privates moralisches Versagen ginge, sondern um Systemfehler.

In einem stetigen Prozess wurde nämlich der „rheinische Kapitalismus“, u.a. gekennzeichnet durch Interessenausgleich, reale Wertstellung, soziale Absicherung, in den „angelsächsischen Kapitalismus“ überführt. Dessen Kennzeichen sind u.a. maßlose Interessen der Anteilseigner mit ihren Vermögensmassen, Bedeutung von Börsenkursen, Verschiebung der Belastung von oben nach unten, privat finanzierte Industrie. Der Kapitalismus wird so durch den Finanzkapitalismus verstärkt. In der Folge greift er rücksichtslos „in die Spardose der Erde“, veranlasst die Staaten, nicht mehr gemeinsame Interessen, sondern rücksichtslos vor allem die der Konzerne und „des Geldes“ zu vertreten.

Unter der Herrschaft des Finanzkapitals – schon von Pius XI. 1931 als Bedrohung vorhergesagt – ist der Wettbewerb aufgehoben, werden die gesellschaftlichen Risiken privatisiert, die Arbeitsverhältnisse „entregelt“, und das Geld ist nicht mehr nur Tauschwert, sondern Vermögensanlage, gesteuert durch Zukunftserwartungen. Die liquiden Geldmengen werden in Spekulationen angelegt und nicht mehr in Unternehmen; selbst mit dem Hunger wird spekuliert und gegen Renditeerwartungen, z.B. gegen Griechenland, Spanien, Italien, Portugal. So werden Staaten in den Bankrott getrieben, obwohl ihre Entschuldung möglich wäre, da das investierte Vermögen bereits abgeschrieben ist. Als Rettungsanker nannte Hengsbach: Regulierung über die Zentralbanken, Insolvenzrecht zwischen Staaten, Transaktionssteuer. Notwendig sei außerdem, dass wieder ein Bezug geschaffen werde zwischen Spekulationen und der Realwirtschaft und ein gerechter Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit, wobei u.a. Natur- und Kulturvermögen „in Rechnung gestellt“ werden müssten.

Deutlich wurde bei der Komplexität der Probleme, dass es keine leichten Lösungen gibt und nicht immer eindeutige politische bzw. wirtschafts- und finanzpolitische Optionen ohne das Risiko von unerwünschten negativen Begleiterscheinungen. Dennoch, um es mit den Worten eines Buchtitels des Referenten zu sagen: „Ein anderer Kapitalismus ist möglich“.

Was können wir tun?

Wenn nach den Worten von Carl Friedrich von Weizsäcker die soziale Frage die ökologische Frage ist, dann stellt sich das Problem der Ermöglichung eines „grünen Kapitalismus“. In einer Verteilungsgerechtigkeit müssen dann die Belange von Kapital, Arbeit, Gesellschaft, Natur, Wohlstand, sozialem Zusammenhalt und ökologischer Nachhaltigkeit vernünftig koordiniert werden. Diese Konfliktsituation ist aber nach Hengsbach lösbar. So verdeutlichte er z.B. zum Thema Versöhnung des Konflikts zwischen sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit aus, dass das ökologische Problem in gleicher Weise für alle Menschen in dem „einen Raumschiff Erde“ bestehe. Diese planetarischen Herausforderung führe, „zwinge“ gleichsam zu planetarischer Solidarität und Gerechtigkeit. Er verwies auf Hans Jonas, der in Anlehnung an den Kategorischen Imperativ Kants von einem ökologischen Imperativ gesprochen hat, dessen Befolgung allein ein echtes Überleben der Menschheit ermögliche.

Dazu bedarf es der Veränderungen in Einstellungen und Handlungsmustern. Ökonomisches Wachstum ist zweifellos kein Garant für die Lösung sozialer und ökologischer Probleme, sicher auch nicht für den Konflikt zwischen den Ländern, die ihre Ressourcen nutzen einerseits und denen, die das Klima schützen wollen. Vielmehr gilt es den Faktor Zeit als Wohlstandsindikator zu erkennen und einzuräumen, dass gegenwärtig viele unterhalb der vitalen Lebensbedürfnisse leben, da z.B. öffentliche Güter – auch bei uns – weithin fehlen.

Im Gespräch rückte die Rolle der Kirche, der Gemeinden und der Gläubigen in den Vordergrund. Zur innerkirchlichen Gerechtigkeit gehört es sicher,

Die Liturgie ist die wichtigste Nahtstelle zwischen dem „Innen“ und „Außen“ – eine Unterscheidung, die Hengsbach ausdrücklich als legitim betonte – der Kirche. Darum sind die Art und der Inhalt der Liturgie Glaubwürdigkeitskriterien für die Gemeinde. Das Leben der Menschen vor Ort muss in der Liturgie vorkommen. Nur wenn die Gemeindemitglieder Freundinnen und Freunde unter den Armen in ihrer Nachbarschaft und weltweit haben, können sie Eucharistie feiern (vgl. 1 Kor 11).

Soziale Projekte gehören somit zu den zentralen Aufgaben der Kirche. Bei ihrer Durchführung dürfen die Gemeinden keine Berührungsängste haben, sondern sollten Koalitionen mit allen eingehen, denen das Wohl ihrer Mitmenschen am Herzen liegt. Der „Katakombenpakt“, von schließlich 500 Konzilsvätern 1965 unterzeichnet, die sich in ihm zu einer Kirche der Armen und einem entsprechenden persönlichen Lebensstil verpflichtet haben, könnte auch heute Anstoß sein für die Gemeinden, die „Armen und Bedrängten“ an ihre Tische des täglichen und eucharistischen Brotes zu holen.

Ut

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Glaubensgehorsam statt Hierarchie-Hörigkeit
Die AGP bekennt sich zu gesetzeswidriger Praxis

Warum schweigen die deutschen Priester? Warum sind „österreichische Verhältnisse“ bei uns nicht möglich? Bittend und auch vorwurfsvoll werden diese Fragen gestellt angesichts des Mutes vieler Priester in unserem Nachbarland und des Aufsehens, das ihr „Aufruf zum Ungehorsam“ hervorgerufen hat. (s. SOG-Papiere 2012-2, Tu felix Austria...) Natürlich waren hier nicht alle Priester stumm. (s.u. „Unsere Positionen im Dialogprozess“) Nun hat auch die AGP in einer klaren Stellungnahme ihre Position erneut bekräftigt und sich zu einer entsprechenden Praxis „contra legem“ bekannt.

Zu der folgenden Stellungnahme schreibt Hans Küng in einer E-Mail: „Es freut mich außerordentlich, dass die AGP sich so deutlich mit den Pfarrern in Österreich solidarisiert. Die Erklärung ist hervorragend abgefasst, klar in der Bestandsaufnahme und klar auch, wofür man kämpft. Ich bin sicher, dass ein Großteil des Klerus Ihnen zustimmt, auch wenn sich nicht ale öffentlich zu äußern wagen. Ich hoffe aber, dass es immer mehr gibt, die man nicht mehr einfach mundtot machen kann.“

Auf ihrer Jahresversammlung vom 28. bis 30. Mai 2012 in Heppenheim hat sich die AGP zum wiederholten Mal mit dem dringenden Reformbedarf in der römisch-katholischen Kirche befasst. Dabei fanden u.a. der „Aufruf zum Ungehorsam“ der Pfarrerinitiative in Österreich und die „Positionen im Dialogprozess“ der AG-Rottenburg, einer Mitgliedsgruppe der AGP, ausdrückliche Zustimmung.

Die AGP betont, dass sie die von diesen Priestergruppen benannten und praktizierten Reformen bereits seit 40 Jahren immer wieder gefordert hat. In dieser Zeit haben darüber hinaus viele Priester aus ihren Reihen eine an Wort und Handeln Jesu orientierte Praxis in ihren Gemeinden begründet bzw. gefördert. Dies geschah offen oder zuweilen wegen der pastoralen und persönlichen Situation in verantwortlicher Abwägung der Folgen auch ohne öffentliche Bekundung.

Sie

Sie setzen sich dafür ein,

So kämpfen sie hartnäckig dafür,

Wegen ihrer pastoralen Praxis und des Eintretens für grundlegende Reformen nehmen Priester der AGP bis auf den heutigen Tag auch persönliche Diskriminierung, berufliche Benachteiligung und kirchenrechtliche Sanktionen seitens der Bischöfe in Kauf . Sie tun dies, weil ihr Handeln aus Gehorsam dem Evangelium und dem Gewissen gegenüber geschieht, der bei Anordnung unchristlicher kirchenrechtlicher Regelungen den Ungehorsam der kirchlichen Hierarchie gegenüber zur Pflicht macht. Sie können dies durchhalten, weil die überwiegende Mehrheit der Christinnen und Christen ihre Haltung und Praxis als befreiend erfährt und unterstützt.

Es ist höchste Zeit, dass die Bischöfe und alle, die Einfluss nehmen können auf kirchliche Entscheidungen, Gott mehr gehorchen als irgendeiner menschlichen – und damit auch kirchlichen – Obrigkeit, dass sie den Glauben und die Glaubenspraxis der Gemeinden ernst nehmen, sie offiziell als kirchlich bestätigen und die überfälligen Reformen endlich durchführen; vor allem um der Menschen und des Glaubens willen, aber auch, um die Zeit der Heuchelei zu beenden und einer weiteren Zerstörung der Kirche zu begegnen.

Heppenheim, den 30.5.2012

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