45.
JAHRGANG |
INFORMATIONSDIENST DER ARBEITSGEMEINSCHAFT VON PRIESTER- UND SOLIDARITÄTSGRUPPEN IN DEUTSCHLAND (AGP) | 2012 / 7 |
Mit leeren Händen
Gegenwärtig ist kein Mangel an Untersuchungen über den aktuellen Zustand der Kirche bzw. an Reformvorschlägen. Übersehen wird dabei regelmäßig, welche Lasten aus der Vergangenheit sie oft kaum noch sichtbar mit sich schleppt. Aber einen Klotz am Bein wird man nicht so leicht wieder los.
Die Mehrheit der Kirchenchristen spürt heute nicht mehr wie in früheren Jahrhunderten ständig oder wenigstens am Sonntag die Sorge, wie sie ihre „Seele retten“ können, wozu übrigens noch an vielen Orten die Kreuze der Volksmission auffordern. Geblieben ist vielleicht noch das Bestreben, "in den Himmel zu kommen". Mit ihrem Katalog zahlreicher Sünden, die einem Christenmenschen unverzüglich nach dem Tod die ewige Hölle bescheren würden, hatte die Kirche jedoch unbestreitbar lange Zeit ihr Konto überzogen und sich unglaubhaft gemacht. Dafür wird ihr heute bei vielen Gelegenheiten die Quittung präsentiert: Die „Kundschaft“ läuft weg, bleibt einfach zu Hause oder läuft anderswohin. Bekanntlich begann der alte Katechismus, nach dem die Älteren unter uns „ihren Glauben gelernt“ hatten, mit der Frage Nr. 1: “Wozu sind wir auf Erden?” Daraufhin wurde ihnen die Antwort zuteil und eingetrichtert: “Wir sind dazu auf Erden, dass wir den Willen Gottes tun und dadurch in den Himmel kommen.” (so der sogenannte “Einheitskatechismus” - von 1925 bis zum “Grünen Katechismus” 1955 in Gebrauch). Noch jüngst konnte die vom Papst umworbene Lefebvre-Sekte auf diesem Niveau in einem Nachruf auf einen Priester aus ihren Reihen bündig resümieren: „Vielen hat er den Weg zum Himmel gewiesen.“
Die inzwischen eingetretenen Änderungein werden oft aus den Augen verloren und der Wortlaut des Katechismus „dadurch in den Himmel kommen“ wird häufig sogar bestritten, als hätte es ihn nie gegeben. Andererseits kann niemand übersehen, dass beim Verschweigen oder Leugnen dieser unseligen Tradition, wofür der unten folgende Liedtext ein krasses Beispiel ist, die wachsende Kirchenferne schlechthin unbegreiflich bleibt. Gleichzeitig hat sich der Zustand der Welt geistig wie materiell dramatisch verändert. Als AGP versuchen wir - abgesehen von der Vielfalt der Arbeit in den einzelnen Gruppen - möglichst treffend die aktuelle Situation der Kirche zu erfassen und unseren Beitrag neu zu justieren. Somit müssen wir uns erneut fragen: „Was sind wir der Welt schuldig?“ Das war zwar schon der Arbeitstitel für die Jahresversammlung der AGP 2005. Leider kam diese Frage in der Versammlung aber kaum zum Zuge.
Beim Rückblick auf 5 Jahre Benedikt wird zudem die Aufmerksamkeit fast zwangsläufig vorwiegend auf die ungelösten innerkirchlichen Probleme gelenkt. Das beste Symptom liefert Hans Küng, dessen Engagement für eine Erneuerung im Sinne des Konzils kaum von jemand anders übertroffen wird. In einem Appell an die Bischöfe (Zürcher Zeitung v. 15.4.12) erwähnt er jedoch nicht einmal am Rande, in welcher höchst prekären Situation sich die Kirche und ihre Sendung angesichts der Erwartungen (besser: den Bedürfnissen) der Welt befinden. Ohne einen Blick auf die Rahmenbedingungen unserer heutigen Gesellschaft und das Ernstnehmen vieler Erwartungen an die Kirche, welche häufig nicht einmal als direkte Fragen ausgesprochen werden, entsteht nur ein Trugbild und kann trotz allen gutgemeinten Dialogprozessen kein Programm entstehen.
Sieben Jahre nach unserer Versammlung 2005, bei der Jahresversammlung 2012, sollte geprüft werden, ob die vollmundige Versicherung des letzten Konzils, Freuden, Nöte und Hoffnungen der Zeitgenossen würden auch von der Kirche geteilt, inzwischen eingelöst sei. Die Frage blieb im wesentlichen unbeantwortet. Das Ergebnis beider Treffen wirft die Frage nach den Gründen unserer unzureichenden Antworten und den sich daraus ergebenden Konsequenzen auf. Eine erneute Auseinandersetzung mit den beiden erwähnten Themen und eine kritische aktuelle Bestandsaufnahme werden Aufgabe der im Herbst anstehenden Konferenz der Gruppen in Nordrhein-Westfalen zur Vorbereitung der AGP-Versammlung im Jahr 2013 sein.
Dazu lohnt zunächst eine Erinnerung an einen Text der AGP-Versammlung 2005: „Da die herrschenden Wirtschaftsstrukturen solche der Geldwirtschaft sind, zugleich der bloße Geldbesitz im Zins- und Zinseszinssystem per se (zwangsläufig anderswo erarbeitetes) horrendes Vermögen wachsen lässt, muss nach besseren Lösungen geforscht werden. Deshalb ist zu prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, wirtschaftlichen Gewinn auf die Leistungen zu beschränken, die unmittelbar oder mittelbar der Herstellung von Gütern dienen. Eine Kirche, die heutzutage das biblische und bis in die Neuzeit vertretene strenge Zinsverbot völlig verschweigt, verletzt ihre eigene Identität. Denn die moderne Kreditpraxis unterscheidet sich nicht völlig von dem, was früher ständig verurteilt wurde. Wer behauptet, damals sei nur der heute ohnehin strafbare Wucher im Blick gewesen, verkennt den prinzipiellen Charakter des Zinsverbotes oder versucht, andere zu täuschen. Es spricht somit viel dafür, dass die Kirche um der Menschenwürde willen, auch den Mut besitzen muss, (Seite an Seite mit anderen Gruppen der Gesellschaft) dem herrschenden scheinbar alternativlosen Kapitalismus Widerstand zu leisten.“ (SOG-Papiere 2005/4)
Wenn wir registrieren, wie sehr inzwischen der herrschende Kapitalismus das gesamte private und öffentliche Leben beherrscht, fragt sich, welchen Einfluss die Kirche und ihre Themen heute noch haben. Es stellt sich sogar die Frage, wozu schließlich die Kirche und damit die christliche „Religion“ überhaupt da ist oder gar noch benötigt wird. Eine empirische Frage! Aus theologischer Sicht stellt sich die Frage, ob das Prinzip „für die Menschen“ (propter nos homines) nur für die ursprünglich damit bezeichnete Inkarnation oder auch als Richtschnur für das Leben der Kirche gelten müsse.
Besonders vordringlich ist es also, Rechenschaft abzulegen, ob es für die Kirche im Alltagsleben unserer Zeitgenossen überhaupt noch einen Platz gibt. Abgesehen von unzähligen äußerst wertvollen Initiativen an vielen Orten, befürchte ich, steht die Kirche für die drängendsten menschlichen und gesellschaftlichen Probleme, die nicht einfach mit Geld zu lösen sind, mit leeren Händen da. Vielfach wird angenommen, dass sich weithin ihre Rolle auf eine mehr dekorative, manchmal eher folkoristische Funktion bei entsprechenden Anlässen beschränkt. Selbst Organisationen wie Caritas und Diakonie werden kaum noch als Einrichtungen der Kirche, geschweige denn der christliche Glaube als Motivation in diesen Unternehmungen wahrgenommen. Sh. auch Franz-Xaver Kaufmann zum „Einfluss der allgemeinen Optionserweiterung“: Imprimatur 6/2012.
Zum ersten Mal in der Geschichte erleben außerdem viele Christen das überwiegend friedliche Zusammenleben mit den Angehörigen anderer Religionen und sich als völlig ungläubig verstehenden Zeitgenossen von Tür zu Tür und von Angesicht zu Angesicht. Die überlieferte Lehre, nur der eigene Glaube führe zum Heil, verliert völlig jegliche Plausibilität.
Die moderne Arbeitswelt fordert ihren Mitgliedern so viel Leistungen ab und
gleichzeitig wird ihnen eine Überfülle von Zeitvertreib (!) angehängt,
daß für „tiefere Gedanken“ über „Gott und
die Welt“ kaum Platz ist, zumal die Mühle des Alltags permanent dazu
verleitet, sich dem Wunsch nach Spaß (panem et circenses, Brot und Spiele)
und den entsprechenden Medien als einzigem Ausweg zu überlassen. Der fast
industrielle Fußballbetrieb etwa wird ständig als neue Religion bezeichnet.
Wer unter diesen Bedingungen der Kirche, ihren Verrichtungen und Lehren noch
Relevanz zutraut, muß nach Antworten suchen und sich fragen: Wozu überhaupt
noch Kirche? Was sind wir der Welt schuldig? Was würde fehlen, wenn es
die Kirche nicht gäbe? Sind Freuden, Leid und Hoffnungen der Zeitgenossen
wirklich auch Anliegen der Kirche? Oder schafft ihr allmähliches Verschwinden
ein Vakuum, und wer würde es füllen, indem er es unvermeidlich für
seine eigenen Zwecke nutzt?
cp
Ein Klotz am Bein
Heute kann ein Stück aus dem Museum, der folgende Text, nur noch als Karikatur gelesen werden. Er dokumentiert aber eine Wirklichkeit, d.h. ein Glaubensverständnis, das wenigstens in Bruchstücken und untergründig bis in die Gegenwart, jedenfalls bis in die jüngste Vergangenheit reicht und Unheil genug angerichtet hat. Unter dem Titel „Triumphalismus“ hatte damit noch die Nachkonzilszeit zu kämpfen. Bis heute ist ohne diesen Schatten aus der Vergangenheit vieles in der Kirche von vornherein nicht zu verstehen.
Katholisch bin und bleibe ich! Mit diesem Schlachtruf war es Bekenntnislied der Iserlohner Katholiken im Ronge-Streit (Deutsch-Katholiken) 1840, der offenbar in dieser sauerländischen Stadt besonders hitzig war. Text und Melodie sind mündlich überliefert. Das Lied, das sicher nicht ohne Seitenblick auf die „Irrlehren“ des Protestantismus entstanden ist, wurde bis in die 60/70er Jahre gesungen und dient heute noch als Glanzstück in der sog. Piusbruderschaft.
(aus: Paul Löer, Geschichte der kath Kirchengemeinde Iserlohn 1745-1970, Nachtrag, S. 16-22, Iserlohn 1981)
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