Ende der Hotline für Opfer der sexuellen Gewalt

Wir dokumentieren Teile des Statements von Dr. Andreas Zimmer, Fachverantwortlicher für die Hotline der Deutschen Bischofskonferenz für Opfer sexuellen Missbrauchs und Leiter der Beratungsdienste des Bistums Trier, anlässlich des Pressegespräches am 17. Januar 2013 in Trier.

Weltweit zum ersten Mal gab es eine solche Hotline der katholischen Kirche für Opfer und sie wurde mit hohem Bedarf genutzt.
Insgesamt kamen vom Start der Hotline am 30. März 2010 bis zum 31. Dezember 2012 8.465 Gespräche zustande. Parallel dazu wurden 465 Beratungen über Internet durchgeführt. Es wurden dabei 3.357 Mailnachrichten ausgetauscht.
63,87 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer der Hotline gaben an, selbst von sexueller Gewalt betroffen gewesen zu sein. 18,8 Prozent waren „Unterstützer“ (das heißt Partner, andere Familienangehörige, Therapeuten, Anwälte). 64.468 User besuchten das Informationsangebot im Internet unter www.hilfe-missbrauch.de. …..

Die Hotline wurde von 2.095 Menschen unmittelbar zur Beratung genutzt. Bei der Weiterleitung an kompetente Fachstellen (sogenannte Lotsenfunktion) stand mit 50,25 Prozent die Frage an erster Stelle, wo man individuell oder als Paar weitere beraterische beziehungsweise therapeutische Hilfe findet. Bei dem Versuch der Weiterleitung wurde deutlich, dass es eine chronische therapeutische Unterversorgung gibt, sowohl für männliche Betroffene wie auch bei Paarberatung. Denn wenn ein Partner Opfer sexueller Gewalt wurde, beeinträchtigten die dadurch verursachten Verletzungen oft die spätere Paarbeziehung – und das nicht nur im Bereich Sexualität.
Am zweithäufigsten (30,4 Prozent) wurden bei der Weiterleitung von Hinweisen auf sexuellen Missbrauch die Wege zu den Ansprechpersonen der Diözesen, Ordensgemeinschaften und anderen kirchlichen Träger erfragt. Angesichts der verzweigten Zuständigkeiten katholischer Einrichtungen und Träger war dieser „Lotsendienst“ wichtig.
Das Fazit lautet: die Meldungen der Betroffenen und ihrer Angehörigen hatten Wirkung.
Viele fanden Unterstützung in den beraterischen Angeboten der Hotline. Die Hinweise aus den Gesprächen konnten unmittelbar in Konzepte einfließen, zum Beispiel bei der Neugestaltung der Regelungen zum Vorgehen bei Missbrauch oder zur Prävention. Viele Meldungen, die sonst möglicherweise nicht gehört und bei den richtigen Ansprechpersonen angekommen wären, erreichten so die zuständigen Stellen, und führten zu Konsequenzen für Täter….

Mit den vorgelegten deskriptiven Daten haben wir nun besser fundierte und differenzierte Hinweise über Delikte sexueller Gewalt, die kirchliche Funktionsträger an Minderjährigen verübt haben:

  1. Und Differenziertheit ist dabei das wichtigste Stichwort. Jedes Schicksal ist einzigartig und verlangt, dass genau hingeschaut wird. Die Beschuldigten verübten die Taten an unterschiedlichsten Kindern und Jugendlichen. Vergleichbar ist aber, dass es den Beschuldigten jeweils gelang, die Machtbefugnisse in ihrem Arbeitsbereich planvoll zu nutzen, um Minderjährigen sexuelle Gewalt anzutun. Es gibt keine Hinweise auf Zufallstaten.
  2. Die Delikte erweisen sich als vergleichbar mit Fällen sexuellen Missbrauchs, wie sie bereits bei helfenden Berufen allgemein bekannt sind. Die Kinder und Jugendlichen waren zumeist auf der Suche nach (seelsorglicher) Unterstützung. Anlass konnten zum Beispiel Fragen der eigenen (sexuellen) Entwicklung, Schulprobleme, die Suche nach Halt im Heim oder Schicksalsschläge wie Tod eines Elternteils sein.
  3. Spezifisch ist dabei, wie Beschuldigte den kirchlichen Rahmen ausnutzten. Einige Beispiele:
    a. Sie missbrauchten die moralische Autorität des Amtes, um zu sagen: wenn ich dir sage, das ist richtig, dann ist es so.
    b. Sie nutzen die psychische Wirkung von Riten aus: Die Ergriffenheit der Kinder bei Symbolhandlungen wie Beichte oder Gebet, die dazu führte, dass ihre „Schutzmechanismen“ gesenkt waren, wurden missbraucht, um Macht über den emotional intimsten Bereich der Kinder und Jugendlichen zu gewinnen.
    c. Sie täuschten den Minderjährigen vor, die Delikte seien ein Ausdruck liebender Verbundenheit in Christus oder Auserwählung vor Gott.
  4. Bei denen, die sich bei der Hotline meldeten, wurde auch deutlich, wie tief sexueller Missbrauch Kinder und Jugendliche treffen kann. Ein spezifischer Aspekt ist dabei, dass die Taten auch eine besondere psychische Kraft der Kinder schwer schädigen konnte, nämlich die kindliche Religiosität. Damit wurde – psychologisch betrachtet – der Zugang zu einer inneren Kompetenz erschwert, der bei der Bewältigung dieses „men-made-desasters“ eine heilende Rolle hätte spielen können. Dabei gibt es keine einfachen Kausalbeziehungen: es berichteten also auch Betroffene, denen ihre persönliche Religiosität half, sich wieder zu stabilisieren. Und unter denen, die sich meldeten, waren auch Menschen, die weiterhin engagiert als Ehrenamtliche oder als Hauptamtliche in kirchlichen Einrichtungen oder einige sogar als Priester tätig sind.
    Gerade sie waren froh, auf ein anonymes Angebot zurückgreifen zu können.
  5. Bei den Tatumfeldern kann nun auch besser differenziert werden: die Berichte zeigten zumindest drei Tatortgruppen mit ihren spezifischen Bedingungen: Internate, Pfarreien und Kinder- und Jugendheime.
  6. Bestimmte Täter und bestimmte institutionelle Tatorte wurden deutlich häufiger genannt und tragen überproportional zur Gesamtzahl bei. Demnach kann nun auch bei der Ausprägung der Delikte differenziert werden. Und gezielt nachgefragt werden, welche Mechanismen gerade in den Institutionen versagten, in denen es viele Fälle gab und wie Personal-Kontrollinstrumente von bestimmten Tätern so erfolgreich unterlaufen werden konnten.

Abschaltung der Hotline „Sexuelle Gewalt“

Die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche bedauert sehr die zum Jahresende 2012 vorgenommene Abschaltung der Hotline der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) für Betroffene sexuellen Missbrauchs, zu der der Missbrauchsbeauftragte der DBK, der Trierer Bischof Dr. Stephan Ackermann, in Trier einen Abschlussbericht vorgestellt hat.

Wenn jetzt auf die Beratungsangebote in den einzelnen Bistümern verwiesen wird, so ist nicht hinnehmbar, dass in einzelnen Diözesen immer noch Domkapitulare und andere Mitglieder der Bistumsleitung als Ansprechpersonen für Betroffene angegeben werden. Dies stellt kein niederschwelliges Beratungsangebot dar. Auch stellt sich die Frage, ob z.B. Telefonnummern der Sekretariate von Rechtsanwaltspraxen die bisherige mit geschulten Fachkräften besetzte Hotline ersetzen können.

Wir sind Kirche begrüßt, dass Bischof Ackermann und Dr. Andreas Zimmer, Leiter der Beratungsdienste des Bistums Trier und Fachverantwortlicher für die Hotline der DBK, jetzt von „sexueller Gewalt“ sprechen und nicht mehr den verharmlosenden Begriff „sexueller Missbrauch“ verwenden.

Bei der heute vorgestellten und allen weiteren Forschungen sollten aber auch die durch das System der römisch-katholischen Kirche bedingten Ursachen intensiv untersucht werden, wie Autoritäts- und Gehorsamsstrukturen, Sexuallehre, Lebensform der Priester etc. Nur dies wird zukünftig eine wirksame Prävention ermöglichen, die mehr ist als nur eine Verlagerung der Verantwortung auf die unteren Ebenen durch bürokratische Selbstverpflichtungen.

Wir sind Kirche warnt eindringlich davor, die am 7. Dezember 2012 ebenfalls in Trier von Bischof Dr. Ackermann, vorgestellten Ergebnisse der von Prof. Dr. Norbert Leygraf geleiteten Studie als Entwarnung für die Kirche zu interpretieren. Danach seien nur fünf Prozent der Täter wirklich pädophil (was für die Opfer keinen Unterschied macht!) und fast alle Täter weiter in der Pastoral einsetzbar (ein krasser Widerspruch zu der von Papst Benedikt XVI. geforderten Null-Toleranz-Politik!). Das Manko dieser Studie: Es wurden nur 78 von den Bischöfen handverlesene Täterakten ausgewertet.

Bei aller Anerkennung der verschiedenen Einzelmaßnahmen in den vergangenen drei Jahren mehren sich allerdings die Zeichen, dass einige der von den deutschen Bischöfen im Krisenjahr 2010 in allerhöchster Not eingeleiteten Maßnahmen schon wieder zurückgefahren werden. Es ist zu befürchten, dass der damals von der Bischofskonferenz als Missbrauchsbeauftragter eingesetzte Trierer Bischof Dr. Stephan Ackermann als einer der jüngsten Bischöfe sich zu wenig gegen die beharrenden Kräfte in der Bischofskonferenz durchsetzen kann. Auch der damals von den deutschen Bischöfen versprochene „Dialogprozess“ wurde sehr schnell zu einem von ihnen kontrollierten unverbindlichen und langjährigen „Gesprächsprozess“ herabgestuft.


© imprimatur März 2013
Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Sagen Sie uns Ihre Meinung zu diesem Artikel!
Bitte füllen Sie die folgenden Felder aus, drücken Sie auf den Knopf "Abschicken" und schon hat uns Ihre Post erreicht.

Zuerst Ihre Adresse (wir nehmen keine anonyme Post an!!):
Name:

Straße:

PLZ/Ort:

E-Mail-Adresse:

So und jetzt können Sie endlich Ihre Meinung loswerden: