Paul M. Zulehner
Die Erzdiözese Wien will sich mit Strukturreformen zukunftsfit machen. Vielen behagen die Umbaupläne ganz und gar nicht.

Viel spricht für Kirchenreform. Die Konstantinische Ära in ihrer nachreformatorischen Form ist definitiv vorbei. Religion ist nicht mehr Schicksal, sondern Wahl (Peter L. Berger). Maria Theresia hatte noch alles getan, um die Ehre Gottes im Land zu fördern. Joseph II. schuf absolutistisch jene Kirchenstruktur, die mehr Menschen den Kirchgang ermöglichte. Er errichtete eine große Zahl von Pfarren. Heute ist gegenläufig in der Erzdiözese Wien die Fusion von 500 der 650 Pfarren im Gespräch.

Es gibt kulturelle Gründe für eine Neuausrichtung der kirchlichen Arbeit. Die Glaubens- und Lebensstile der Menschen sind bunt geworden. Die Menschen sind mobiler und wählerischer. Sie gehen in Gottesdienste, die für sie anziehend sind, und das sind sie, wenn sie gottvoll und zugleich erlebnisstark gefeiert werden. Auch suchen Zeitgenossen Beheimatung in einer Gemeinschaft. Daraus folgert die Strukturplanung: In großen pastoralen Räumen könne sich eine Vielfalt von Gemeinden und Gemeinschaften bilden.

Optimierung?

In einer Online-Umfrage zu den Leitlinien der Erzdiözese Wien im Oktober 2012, an der sich über 1300 beteiligt haben, sagen 63%: „Die Strukturreformen sind eine Antwort auf den Priestermangel“. 75% sehen sie im zunehmenden Geldmangel begründet. Anders die diözesanen Leitlinien: Die „Optimierung einer missionarischen Pastoral“ soll gelingen – was freilich nur 22% der Befragten so sehen. Verwaltung des ererbten Mangels oder doch Aufbruch in eine gute Zukunft? Das ist die Frage.

Enormer Reformbedarf

Gegen die vorgegebenen Umbaupläne regt sich enormer Widerstand. Er entspringt kaum dumpfer Reformunwilligkeit. Widerstand ist bei großen Veränderungen normal. Durch ihn wirkt Gottes Geist manchmal ebenso nachhaltig wie durch das vertrauensvolle Gebet. Widerstand ist „gebundene Entwicklungsenergie“, die ins Fließen kommen muss. Gute Reformer baden im Widerstand (Eva Renate Schmidt). Der Widerstand hat drei Megathemen.

Pfarrauflösung

Die Auflösung von Pfarren wird von vielen Betroffenen als „Abwertung“ erlebt: Sie werden zu „Filialgemeinden“ heruntergestuft. Der neue Status bringt für die Diözesanleitung Vorteile: Nicht mehr in jeder Filialgemeinde sind Sonntagsmesse, Pfarrer, Pfarrgemeinderat und eigene Finanzen zu garantieren. Laien können rechtlich unbedenklich in die Leitung eingesetzt werden. Der Plan sieht eine Radikal-Laisierung vor: Die Filialgemeinden werden ausschließlich von Laien getragen. Diese sollen ehrenamtlich arbeiten. Das werte die Christgläubigen auf, wie das Konzil es ja wollte. Und spare viel fehlendes Geld.

Nun gibt es Pfarren, für die eine solche Lösung unabwendbar ist. Sie haben nicht mehr genug Personen und Geld für die Aufrechterhaltung ihres Pfarrlebens (Gottesdienst, diakonale Projekte, Jugendarbeit).

Jedoch fürchten viele, dass just jene Gemeinden verlieren werden, die ihre Pastoral in den letzten Jahrzehnten schon umsichtig umgestaltet haben und Lebenskraft besitzen: Längerfristig werden in diesen sonntags keine Eucharistiefeier mehr sein. Laut Umfrage wird es dann zwar in den Filialgemeinden von Laien geleitete Wortgottesfeiern geben. Aber da voraussichtlich ein Drittel der aktiven Mitglieder in den eucharistischen Zentralgottesdienst fahren, ein Drittel hingegen wegbleiben wird, bleibt in der Filialgemeinde lediglich ein Drittel übrig. Man kann verstehen, dass gerade diesen lebendigen Gemeinden die Strukturreform wie eine „Entkirchlichung von oben“ vorkommt. Dagegen wehren sie sich. Zu Unrecht?

Dekatholisierung

Ein zweites Widerstandsfeuer betrifft die Sorge um die Entwöhnung der katholischen Kirchenkultur von der Feier der Eucharistie. Diese Entwicklung lässt sich als Dekatholisierung beschreiben. Denn das Herz des katholischen Lebens, so das Konzil und die letzten Päpste, ist die Feier der Eucharistie in gläubigen Gemeinden. Ohne sie erleidet die katholische Kirche eine Art „Herzinfarkt“.

Damit wird nicht die Wortgottesfeier abgewertet: Was ja allein deshalb unsinnig wäre, weil die Eucharistiefeier selbst immer auch eine Wortgottesfeier ist. Aber die katholische Kirche ist dabei, die fragwürdigen Verhältnisse der ehemaligen Missionsgebiete zum weltkirchlichen Normalfall zu machen. Ob theologisch gut gebildete Kirchenmitglieder das einfach hinnehmen werden? „Es besteht die berechtigte Sorge, dass manche gläubige Gemeinschaften auch ohne Priester Eucharistie feiern werden“, sagen 45%. Das ist kirchenrechtlich zwar unzulässig. Aber ebenso verstößt es gegen das Grundrecht der Kirche, wenn die Leitung nicht dafür sorgt, dass in gläubigen Gemeinden Eucharistie gefeiert werden kann.

Die Durchführung

Organisationsentwickler sagen: Auch noch so gute Reformpläne scheitern oftmals an ihrer Umsetzung. Droht auch den Leitlinien dieses Schicksal? In den 500 Seiten Text zu den offenen Fragen in der Online-Studie wird deutlich, dass die Betroffenen bislang so gut wie nicht konsultiert worden sind. Dass es drei spirituell gestaltete Diözesanversammlungen gegeben hat, auf denen ausgesprochen werden konnte, was die Menschen bewegt, wird zwar nicht bestritten. Aber der Zusammenhang zwischen diesen Versammlungen und den Leitlinien wird von vielen nicht gesehen. Die Berufung auf die Erzdiözese Poitiers in Frankreich ist zudem unzutreffend: Dort gab es zuerst eine Diözesansynode zur Strukturreform, die dann als synodal beschlossene Reform durchgeführt werden konnte. Laut Online-Studie ist das in Wien anders: 71% der Befragten sagen, es sei ihnen nicht bekannt, „dass unsere Pfarre um ihre Meinung zur Reform gefragt worden ist“. Wenig beteiligt fühlen sich dem Vernehmen nach auch Bildungseinrichtungen, die Caritas und vor allem die Orden. Sollte nicht auch die Erzdiözese eine rechtlich beschlussfähige Diözesanversammlung einberufen?

„Werden die Betroffenen nicht beteiligt, wird die Reform scheitern“, so 79%. Bei wirklicher Beteiligung beschließt nicht mehr eine Steuerungsgruppe, sondern diese wird die Selbststeuerung der Betroffenen kompetent unterstützen. Könnte der Mangel an Entscheidungsmöglichkeiten für die Betroffenen mit der Angst der Leitung zu tun haben, dass die erdrückende Mehrheit der Bevölkerung unwillig ist, im engen Rahmen geltender kirchenrechtlicher Bestimmungen (wie eben Übergehen der vielen Priesterberufungen) nach Lösungen zu suchen, sondern eine Reform des weltkirchlichen Rahmens verlangt?


© imprimatur März 2013
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