Paul Glotter
Die „Hinrichtung“ des Roy Bourgeois

Roy Bourgeois (74) erfuhr von seinem Rauswurf aus der katholischen Kirche, von seinem Rauswurf aus dem Maryknoll-Missionsorden und von seinem Rauswurf aus dem Priesteramt übers Internet und nicht – wie es unter zivilisierten Menschen üblich ist – durch ein an ihn persönlich gerichtetes Einschreiben, in dem die kuriale Strafverfolgungsbehörde ihr spektakuläres Urteil erläutert hätte.

Das „Schwerverbrechen“, dessen sich der Amerikaner in den Augen von Gerhard Ludwig Mueller, seit kurzem neuer päpstlicher Inquisitions-Chef, schuldig gemacht hatte, bestand darin, dass er seinem Gewissen gefolgt und trotz aller Einschüchterungsversuche des Vatikans nicht bereit war, selbiges in Rom abzuliefern. Roy Bourgeois wollte nicht länger zur menschenrechtswidrigen Diskriminierung der Frauen in der Kirche schweigen und forderte u.a. deren Zulassung zur Diakonats- und Priesterweihe.

Der aus dem Bundesstaat Louisiana stammende Geistliche hatte als Navy-Offizier unter Kriegswaisen in Vietnam seine Berufung zum Priestertum entdeckt, trat vor 45 Jahren in den Maryknoll-Missionsorden ein, arbeitete unter den Ärmsten der Armen in Bolivien und El Salvador und kämpfte in den zurückliegenden 30 Jahren als Friedensaktivist gegen den Rüstungswahn sowie gegen die in Fort Benning (Bundesstaat Georgia) untergebrachte „US Army School of the Americas“, wo Tausende von lateinamerikanischen Militärs als professionelle Folterer und Killer ausgebildet wurden – unter ihnen die Mörder von Erzbischof Oscar Romero von San Salvador sowie der an der dortigen Universität wirkenden 6 Jesuiten, die zusammen mit ihrer Haushälterin und deren Tochter ihr Leben lassen mussten.

Wenn Roy Bourgeois im Gespräch mit Freunden oder auch in einem seiner unzähligen Vorträge in den USA oder in Europa sagte „Ich liebe die Kirche“ oder „Maryknoll ist meine Familie“, dann kam das genauso von Herzen wie seine spontan bekundete „Freude am priesterlichen Dienst“.

Rechtfertigt der unermüdliche Einsatz des Ordensmannes für die künftige Zulassung von Frauen zur Priesterweihe (eine Frage der Gleichberechtigung und der seelsorgerischen Verantwortung gegenüber den Gemeinden!), dass man ihn jetzt wie einen räudigen Hund davonjagt? Auf keinen Fall, zumal er – gemessen am Sündenregister hoher kirchlicher „Würdenträger“ – ein sehr „kleiner Fisch“ ist.

Denn das „Verbrechen“, das Roy Bourgeois beging, steht zum Beispiel in absolut keinem Verhältnis zum Verbrechen der schweren antisemitischen Hetze von Bischof Richard Williamson, den Papst Benedikt XVI. (obwohl er über den Holocaust-Leugner genauestens informiert war!) zusammen mit drei weiteren Bischöfen der Piusbruderschaft 2009 wieder in die Kirche aufgenommen hatte.

Das „Verbrechen“ von Roy Bourgeois ist eine Lappalie, verglichen mit dem Verbrechen von Kardinal Bernard Law, dem ehemaligen Erzbischof von Boston, der über viele Jahre hinweg kirchlichen Triebtätern „freien Lauf“ ließ, sie immer wieder in neue Pfarreien und andere kirchliche Einrichtungen versetzte und dadurch das Leben vieler Hunderter von Jugendlichen zerstörte. Statt Law zu exkommunizieren, ernannte ihn Johannes Paul II. 2004 zum Erzpriester der Päpstlichen Basilika Santa Maria Maggiore in Rom, wo er mit einer Monatsrente von 10000 US-Dollar sorgenfrei leben kann.

Völlig unverständlich bleibt die „Hinrichtung“ von Roy Bourgeois, wenn man bedenkt, wie brutal und menschenverachtend Johannes Paul II. über nahezu zwei Jahrzehnte in die verantwortliche Lebensplanung von Ex-Priestern und deren Frauen eingriff (bzw. diese vorsätzlich verhinderte!) und sie zusammen mit ihren Kindern nicht selten in unvorstellbare Not stürzte. Hat damals irgendjemand den Vorgänger Benedikt XVI. für dieses Verbrechen (sic!) öffentlich angeklagt oder verurteilt?!

Das „Verbrechen“ von Roy Bourgeois ist – um noch ein viertes von zig anderen möglichen Beispielen zu nennen – bestenfalls „lässliche Sünde“, wenn wir daneben an das Verbrechen von Joseph Ratzinger erinnern, das er in seiner Osterpredigt 1979 als Erzbischof von München beging. Er erhob damals den verleumderischen, extrem schweren Vorwurf, dass im nachkonziliaren lateinamerikanischen Katechismus „Vamos Caminando“ zur Gewalt aufgerufen werde. Nichts, aber auch gar nichts in diesem Katechismus lässt den vom heutigen Papst willkürlich gezogenen Schluss zu. Obwohl Ratzinger mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass er falsch zitiert (welche Schande für den angeblich so großen Theologen!) und durch seine Behauptung seine fernen Nächsten in Lateinamerika praktisch zum Abschuss (durch die in den USA ausgebildeten Mörder!) frei gegeben habe, hat er sich für sein Verbrechen nie entschuldigt!

Dass der im Vatikan gegen Roy Bourgeois abgefeuerte „Kanonen-Schuss“ langfristig nach hinten losgehen wird, steht außer Zweifel. Nicht umsonst sind es in den letzten Jahren überwiegend Frauen gewesen, die die Kirche verließen, weil sie es satt hatten, sich von einer autoritären Männer-Clique ständig herum kommandieren und demütigen zu lassen.

Jüngere Umfragen haben gezeigt, dass selbst unter den knapp 650.000 Mitgliedern der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) mindestens zwei Drittel für die Zulassung von Frauen zur Priesterweihe plädieren. Sollen diese Frauen sowie die ganzen Mitglieder der katholischen Schwestern-Gemeinschaften, die sich während der letzten Wochen mit Roy Bourgeois solidarisierten, demnächst ebenfalls exkommuniziert werden?

Drei Monate nachdem Roy Bourgeois von seinem Schicksal aus dem Internet erfahren hatte, bekam er im Januar 2013 doch noch einen "offiziellen Brief" - auf Latein. Um zu verstehen, was in dem Brief stand, musste Roy Bourgeois eine englische Übersetzung anfertigen lassen. Der Brief geht übrigens mit keinem einzigen Wort auf die "Verbrechen" ein, derer sich der Ex-Maryknoller angeblich schuldig gemacht hat.


© imprimatur März 2013
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