Das Benediktinerkloster Mariastein ist in der Region Basel ein wichtiges religiöses Zentrum. Fragen, die das Bistum Basel und die katholische Weltkirche bewegen, gehen an dieser Klostergemeinschaft nicht vorbei. Peter von Sury, seit 2008 Abt des Klosters Mariastein, verspricht sich eine Besserung durch eine Änderung bei den Bischofsernennungen. Bischöfe, die ihre Diözese spalten, sollten ihr Amt niederlegen, sagt Abt Peter. Dabei denkt er an die desolate Situation im Bistum Chur.
Abt Peter, wie fühlen Sie sich in dieser Kirche?
Dies ist für mich eine ungewohnte Frage. Denn ich lebe in einer klösterlichen Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft gehört zur Kirche. Dies ist meine erste und unmittelbare Kirchenerfahrung.
Auf der anderen Seite vertreten Sie eine Kirche, die in der Diözese und in der Welt im Kreuzfeuer der Kritik steht. Wie gehen Sie damit um, wenn die Gläubigen in Scharen davon laufen?
Für mich ist primär meine Erfahrung im Kloster wichtig. Wir pflegen das gemeinsame Gebet und beten Psalmen. Wenn ich Psalmen bete, trete ich in eine Gebetstradition ein, die 3000 Jahre alt oder noch älter ist, in eine Tradition, die das Volk Israel miteinbezieht, in eine Tradition, die unsere Kirche seit 2000 Jahren weiterführt. Dies ist für mich meine erste Kirchenerfahrung. Alles andere gehört dazu.
Es gibt viele Themen in der Kirche, mit denen Sie sich auseinandersetzen müssen, wie zum Beispiel die Frauenordination und das Pflichtzölibat. Die schweizerische Pfarreiinitiative zeigt, dass viele Kirchenvertreter zum Teil massiv unzufrieden sind. Wie stehen Sie dazu?
Auch hier gehe ich vom Leben in unserer klösterlichen Gemeinschaft aus. Wir haben einen hohen Altersdurchschnitt. Wir sind mit dem Phänomen der Vergreisung der Kirche konfrontiert. Die anderen Fragen sind Dauerthemen, die nicht gelöst sind. Als Kirchenrechtler gehe ich allerdings etwas anders damit um. Wir haben in unserer Kirche gravierende systembedingte Probleme. Für mich ist es wichtig, dass diese Fragen zuerst behandelt werden. Denn Sachthemen können erst gelöst werden, wenn die Strukturen einigermaßen stimmig und die Verfahren geklärt sind. Eine der nicht gelösten Fragen betrifft die Bischofsernennungen. Von daher rühren viele andere Probleme in der Kirche.
Könnten Sie dazu ein Beispiel geben?
Seit dem 11. Jahrhundert mussten die Bischöfe immer mehr ihrer Kompetenzen an den Papst abtreten. Die Bischofsernennung ist eine der wichtigsten Fragen der Kirche, denn die Bischöfe haben als Nachfolger der Apostel theologisch gesehen einen eminent hohen Stellenwert. Heute ernennt ausschließlich der Papst die Bischöfe. Diese Situation steht im Widerspruch zu verschiedenen theologischen Überzeugungen. Diese Praxis muss geändert werden. Denn durch die exklusive Ernennung durch den Papst hält sich das System selbst aufrecht und erneuert sich nicht.
Was bedeutet dies?
Bei diesen Ernennungen stehen oft kirchenpolitische Überlegungen und weniger das Wohl der Diözese im Vordergrund. Doch genau um dies geht es. Hier müssten Bischöfe und Theologen entschlossen Widerstand leisten. Während der ersten tausend Jahre unserer Kirche galten für die Bischofsernennung andere Kriterien. Drei Instanzen waren für eine Wahl maßgebend: die Gläubigen einer Diözese, der Klerus dieser Diözese und Bischöfe aus der Umgebung. Heute würde man sagen, dies ist die schweizerische Bischofskonferenz. Dieses Verfahren ist sinnvoll.
Warum ist diese Frage so wichtig?
Der Bischof hat eine zentrale Stellung. Er ist Pontifex, das heißt, Brückenbauer; er muss eine integrierende Persönlichkeit sein. Wir erfahren leider immer wieder das Gegenteil, wie jetzt im Bistum Chur. Dort ist der Bischof offensichtlich nicht ein Brückenbauer, sondern ein Spaltpilz. Es ist in jeder Hinsicht verheerend, wenn ein Bischof spaltend wirkt. Aus meiner Sicht ist er in einem solchen Fall moralisch verpflichtet, sein Amt niederzulegen. Das Gleiche gilt auch für einen Abt oder einen Pfarrer. Wenn ein Pfarrer seine Gemeinde spaltet, zerstört er einen Teil der Kirche. Es geht dabei nicht um die Schuld. Es gibt einfach Situationen, wo jemand spaltend wirkt, vielleicht sogar ohne es zu wollen.
Wie steht Rom zu den Bistümern?
Auch wenn dies in Abrede gestellt wird, faktisch werden die Bistümer von Rom aus wie Verwaltungseinheiten des Papstes behandelt. Das Problem ist, dass die Bischöfe durch dieses System ins Amt gelangen und folglich kein Interesse haben, dieses Verfahren infrage zu stellen. Die Kirche wird so zu einem geschlossenen System. Vielleicht muss es einmal zusammenbrechen oder auseinanderfallen, bis etwas geschieht. Oder es geht das Geld aus, dann steht das System von selbst still. Ein geschlossenes System ist nicht mehr imstande, Kritik oder Korrekturen von außen aufzunehmen. Wenn noch die Ortskirche ausgeschaltet wird, ist dies besonders schlimm, denn damit wird die Gleichgültigkeit der Leute gefördert. In gewissen Ländern werden Bischöfe im ganzen Land herumgeschoben.
Für viele Gläubige stehen jedoch Sachthemen im Vordergrund.
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965, Anm. der Red.) führte die Bischofssynode ein. Da kommen Bischöfe aus der ganzen Welt in Rom zusammen, um vom Papst vorgelegte Fragen zu beraten, wie zuletzt im vergangenen Oktober. Entscheidend ist, wer die Macht hat, die Traktanden festzulegen.
Bei der Bischofssynode ist es ausschließlich der Papst. Sie ist deshalb weitgehend eine Einbahnstraße. Hier müssten sich die Bischöfe auf die Hinterbeine stellen und sich wehren. Es geht in Vielem tatsächlich auch um Macht.
Angesprochene Themen werden einfach schubladisiert?
Daher kommen mir Ihre Fragen bezüglich Frauenordination und Pflichtzölibat merkwürdig vor. Denn genau diese waren an der Synode 1972 – also vor 40 Jahren! – ausdiskutiert worden.
Ja, diskutiert, aber noch gar nicht gelöst…
Darum wäre es so wichtig, dass eine bestimmte Anzahl Bischöfe oder Bischofskonferenzen ein Thema auf die Traktandenliste setzen können, damit wichtige Fragen in Rom nicht einfach schubladisiert werden. Im Kloster gibt es hierfür bewährte Verfahren, welche die Regel des heiligen Benedikt vorgibt. Sie sind nicht demokratisch im heutigen Sinn, aber alle Beteiligten werden im Blick auf das Ganze, zum Beispiel bei wichtigen Angelegenheiten, miteinbezogen. Gleichzeitig nimmt der Abt seine Verantwortung wahr, die er nicht delegieren kann.
Was heißt dies für die Weltkirche?
Die kirchlichen Institutionen, auch der Papst, müssen ein Gegenüber haben. In der Wirtschaft oder Politik spricht man von Checks and Balances. Eine Pfarrei hat den Pfarreirat, das Bistum den Priesterrat, den der Bischof anhören muss.
So will es das Kirchenrecht. Doch auf der Ebene der Bischofskonferenz und der Weltkirche gibt es nichts Vergleichbares. Dies ist ein großer Mangel. In Deutschland gibt es das Zentralkomitee der deutschen Katholiken als Pendant zur Bischofskonferenz. Doch dies gibt es in der Schweiz nicht. Ein Ansatz wäre die sogenannte Tagsatzung, ein Anliegen des Pastoraltheologen Leo Karrer.
Wie weit ist Widerstand in der katholischen Kirche erlaubt?
Gemäß kanonischem Recht der katholischen Kirche haben die Gläubigen das Recht und manchmal sogar die Pflicht, ihren Bischöfen, das heißt ihren Hirten, die Meinung zu sagen.
Dies ist zwar eine gute Absichtserklärung. Aber wenn dazu keine Ausführungsbestimmungen bestehen, nützt dies überhaupt nichts. Ich betone mit Nachdruck, die wichtige Frage der Bischofsernennungen ist vordringlich und muss unbedingt anders geregelt werden. Das heute in der Kirche angewendete Verfahren steht sowohl kirchengeschichtlich als auch theologisch auf schwachen Füßen.
Aus: SPATZ ZEITUNG, Interview, Dezember 2012 Ss. 45-46
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