Karl-Heinz Ohlig
Papa emeritus
Einige Anmerkungen

Die katholische Kirche versteht es, für sie wichtige Ereignisse mit feierlichen Riten zu begehen. Dies gilt natürlich in besonderer Weise für ihre römische Zentrale mit ihren kunstgeschichtlich wertvollen und prunkvollen Kulissen, Gewändern und Riten, die sich seit mehr als tausend Jahren herausgebildet und bewährt haben.

Deswegen ist es nicht erstaunlich, dass sich die Medien welcher Couleur auch immer auf diese Ereignisse stürzen und in großer Breite alles, was dort geschieht, in Bild und Wort dokumentieren und kommentieren. Und schließlich ist der erste Rücktritt eines Papstes von seinem Amt seit dem Jahre 1294 eine Art Sensation. Damals war Papst Cölestin V. nach seinem Rücktritt von seinem herrschsüchtigen Nachfolger Bonifaz VIII., der wenig später dekretierte, dass dem Papst jegliche Kreatur untertan sein müsse (Bulle Unam Sanctam von 1302), bis zu seinem Tod vorsichtshalber in Gefangenschaft gehalten worden. Das wird wohl dem jetzigen emeritierten Papst erspart bleiben, der seinem möglichen Nachfolger schon Gehorsam und höchste Ehrerbietung zugesichert hat.

Erstaunlich aber ist, wie dürftig eine kritische Begleitung dieser Vorgänge in den Medien ausfällt. Zwar werden Probleme genannt, die den Pontifikat Benedikts XVI. belastet haben, z.B. die bedrückende Aufgabe, gegen den sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch Kleriker einzuschreiten, der – bisher gescheiterte – Versuch, die Piusbruderschaft wieder in die Kirche zu integrieren, die Geldwäsche durch die Vatikanbank, die Intrigen im Vatikan usw. Im Übrigen aber wird ohne jede Anmerkung die römische Sprachregelung bezüglich des Papstamtes wiedergegeben: Es geht um den soundsovielten Papst – obwohl die römischen Bischöfe erst gegen Ende des vierten Jahrhunderts erstmals den Anspruch erhoben, Nachfolger des Petrus zu sein – erst von da an kann man die römischen Bischöfe als Päpste zählen. Oder es wird vom Petrusdienst des Papstes gesprochen – obwohl weder Jesus, der ja die Kirche nicht selbst gegründet hat, noch das spätere Neue Testament von einer solchen sprechen und obwohl ein Aufenthalt des Petrus in Rom historisch äußerst fraglich ist und ein Bischofsamt in Rom erst gegen Ende des zweiten Jahrhunderts entstand usf. Es ist die Rede vom „Stellvertreter Christi“ oder sogar „Gottes“ auf Erden, ohne anzumerken, dass sich diese Form eines absolutistischen Anspruchs erst seit 1870 etablierte. Und immer sieht es so aus, als sei die katholische Kirche mit dem Papsttum identisch.

Ob die Wahl des Papstes, zugleich – fast eine Nebensache - die des Bischofs von Rom, ebenfalls entsprechend traditioneller Sprachregelung als quasi göttliche Entscheidung und nicht, wie für jeden ersichtlich, als eine Wahl „von unten“ durch das Kardinalskollegium, das selbst keinerlei biblische Basis hat, charakterisiert wird, muss sich noch zeigen. Oder liegt dieser mediale Verzicht auf kritische Berichterstattung daran, dass man die Vorgänge, wegen ihrer für heutiges Verständnis kuriosen Formen, ähnlich wie die Auswahl eines Dalai Lama, einfach so stehen lässt? Etwa: so sind halt die Katholiken?

Zur Sache selbst ist zunächst anzumerken, dass die Entscheidung Ratzingers zum Verzicht auf das Papstamt zum Respekt nötigt, zumal das ja, wie gesagt, keineswegs zu den gängigen römischen Traditionen gehört. Der Rücktritt basiert auf einer mutigen Entscheidung, aus welchen Gründen auch immer sie erfolgte. Vielleicht wollte der Papst ein öffentliches Siechtum und Sterben, wie es Johannes Paul II. praktiziert hat, vermeiden; vielleicht befürchtete er, seine rationale Selbstkontrolle mit zunehmendem Alter zu verlieren, vielleicht war er der Skandale und Intrigen, die auf ihn eindrängten, müde. Was es auch war, er hat der Kirche und wohl auch sich auf diese Weise einen Dienst erwiesen.

Zugleich hat er sichtbar gemacht, dass die bisherige Praxis, nach der ein Papst sein Amt bis zu seinem Tod behält, verändert werden muss, wie es zuvor schon für Pfarrer und Bischöfe geschehen ist. Diese Vorstellung aus der Zeit stabilen Feudaldenkens, der Monarchien und des Absolutismus, die für Fürsten, Könige und auch Päpste gilt, ist unter heutigen Bedingungen absurd, zumal andere mögliche Korrekturen durch „aktive Sterbehilfe“, mittels derer man sich früher in schlimmen Fällen zu behelfen suchte, auf Grund der fortgeschrittenen Medizin nicht mehr unentdeckt bzw. unbeweisbar bleiben können. Ob daraus schon in absehbarer Zeit eine Befristung der Amtsdauer folgen wird, lässt sich noch nicht absehen, wäre aber wünschenswert; jedenfalls scheint der Weg dorthin eröffnet.

Als Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde, waren die Meinungen in der imprimatur-Redaktion geteilt. Seine theologische Entwicklung, sowie seine Arbeit an der Spitze der Glaubenskongregation und als Berater Johannes Pauls II. schienen Hoffnungen auf nötige Reformen in der Kirche unwahrscheinlich zu machen. Obwohl ich selbst mit Ratzinger einige Probleme hatte, schrieb ich damals einen bedingt hoffnungsvollen Kommentar. Meine Überlegung war: Wenn Benedikt XVI. einen positiven Platz in der Papstgeschichte anstreben sollte, müsste er nach der langen restaurativen Stagnation einige Reformen einleiten. Das ist leider nicht eingetreten; vieles wurde noch schlimmer.

Zwar sollen hier nicht alle seine Aktivitäten negativ bewertet werden. Aber die zentralen Reformnotwendigkeiten hat er nicht angepackt. Der römische Zentralismus wurde weiter vorangetrieben, die Pluralität der regionalen und kulturellen Entitäten in der Weltkirche wurde meist beschnitten und keinerlei Autonomie eingeräumt; ein Subsidiaritätsprinzip oder eine Delegation von Kompetenzen ist nicht zu erkennen. Die Bindung aller zentralen seelsorgerlichen Aktivitäten an den Klerus, der diese Aufgaben nicht einmal mehr im kultischen Bereich leisten kann, wurde auf die Spitze getrieben, was schon jetzt die traditionellen „Volkskirchen“ zahlenmäßig wie in ihrem christlichen Engagement reduziert. Ökumenische Öffnung, die aktive Mitarbeit von Frauen im kirchlichen Amt, die Überwindung theologischer, ethischer und pastoraler Atavismen wurde nicht in Angriff genommen usw.

Kann man hoffen, dass der nächste Papst eine Wende einleiten wird? Zwar kann man nichts ausschließen, aber die Zusammensetzung des Kardinalskollegiums, dessen Mitglieder alle vor ihrer Ernennung peniblen Prüfungen auf römische Linientreue unterzogen worden sind, verdunkelt die Perspektiven. Man kann schon froh sein, wenn der neue Papst nicht Mitglied des Opus Dei ist. Allerdings – und insofern lässt sich Hoffnung aufrechterhalten – ist der Papst nicht identisch mit der katholischen Kirche. Die bisherige Papstgeschichte seit dem fünften Jahrhundert – beileibe keine Erfolgsgeschichte - zeigt, dass die meisten Päpste glücklicherweise keinen allzu großen Einfluss auf die Entwicklung der Kirche genommen haben. Dies ist seit dem Ersten Vatikanischen Konzil, das erstmals einen päpstlichen Absolutismus begründete, und der heutigen Möglichkeiten schneller und umfassender Kommunikation durch die neuen Informationstechnologien zwar schwieriger geworden – die römische Zentrale hat nicht nur umfassende Eingriffsrechte in die weltweite Kirche, sondern auch die technischen Möglichkeiten. Aber die Vielfalt der großen Kirche mit rund 1,2 Milliarden Mitgliedern wird ihr Gewicht auch in Zukunft entfalten können, im glücklichsten Fall – darf man darauf hoffen? – mit Unterstützung des neuen Papstes.


© imprimatur März 2013
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