Als die Bischöfe bei der Eucharistiefeier zu Beginn des eucharistischen Kongresses an den Altar getreten sind, verschwindet das Gesicht des Kölner Kardinals Joachim Meissner für Augenblicke hinter dichten Weihrauchschwaden. Fast scheint der Nebel die ganze Altarinsel einzunehmen, die wirklich eine kleine Insel ist – wenn auch keine der Seligen - inmitten eines kleinen Gewässers. Und das Volk, heute vielleicht 4000, drumherum. „Katholische Bilder, die können sie immer noch“, raunt einer nachher. Und diese Bilder sollen dazu dienen, sich der „Mitte des Glaubens“, der „Mitte der Kirche“ zu vergewissern, so formulieren Bischöfe allenthalben ihre Erwartungen an die Tage in Köln. Die zwei wichtigsten sollen nicht im Nebel verschwinden, sondern die Tage prägen: Erstens: Identität durch Abgrenzung. Und auch: Die nach Ständen geordnete katholische Kirche. Hier das lehrende Amt, dort das hörende Gottesvolk.
So versammelt sich der Klerus am Tag der Priester zu einem Grundsatzreferat von Kardinal Walter Kasper. Der evangelischen Kirche gehe es nicht besser, sagt der Kardinal, obwohl sie all die Postulate der letzten 40 Jahre erfüllt habe - leider sei das so, ohne Schadenfreude gesagt; es gehe um die Gottesfrage, um die Frage nach dem Brot "im umfassenden Sinn des Wortes." Das führe uns "zum Wesentlichen, zum Zentralen und zum Fundamentalen." Große Worte, die man in diesen Tagen allenthalben hört, wieder und wieder. "Jesus Christus ist die Antwort auf die Frage, warum ich katholisch bin und bleibe." Eine Handvoll Pastoral- und Gemeindereferenten versammeln sich unterdessen bei Dr. Christian Hennecke, der landauf landab nicht ungeschickt für eine charismaorientierte Pastoral wirbt, die gleiche Taufwürde aller Christen betont und auch Gedanken sagt wie diese: dass Priester einen Dienst an den Beziehungen der Menschen und an der Einheit zu leisten hätten. Und dass sie das zurückgeben müssten, was sie sich in unangemessener Weise angeeignet hätten. Von einer Pastoral der Versorgung will er weg hin zu einer Pastoral der Ermöglichung. Es sei doch auch angenehm gewesen, den Pfarrer für alles zuständig sein zu lassen und immer zu sagen: Das ist doch sein Ding. Um über das Verhältnis von allgemeinem Priestertum und Weihepriestertum allen Ernstes folgendes Bild zu bemühen: "Birnen sind nicht gleich Äpfel, aber Birnen sind nicht größer als Äpfel". Es bleibt das unangenehme Gefühl, die Laien hätten die Karre irgendwie in den Dreck gefahren mit ihrem Anspruchsdenken, aber vermutlich meint er das gar nicht so. Doch über die "Schuld an der Misere", wie ein Mann aus dem Publikum wissen will ("Wie war Helmut Schüller überhaupt möglich? Wer hat da versagt?") will auch Hennecke nicht sprechen, das sei doch typisch deutsch.
Dem Bild entsprechend beginnt jeder Tag mit bischöflichen Katechesen. Da kommen dann hunderte wie beim Altstar Kardinal Karl Lehmann, der sich bei der Gelegenheit medienwirksam von der alten Liturgie distanziert. Da verirren sich aber auch mal zwei Hände voll wie in St. Agnes, der zweitgrößten Kirche Kölns, beim Auftritt des Mainzer Weihbischofs Neymeyr. Manch ein Bischof verhehlt hinter vorgehaltener Hand nicht seinen Unmut über den zu absolvierenden 45-minütigen Monolog. Da langweilen sich viele Schüler sichtlich („wir sollen heute an Gott herangeführt werden, glaube ich“), als Erzbischof Zollitsch beim Tag der Schüler seine Rede vom Blatt abliest und jene Postkartengeschichte von den Spuren im Sand vorträgt mit der Pointe, dass Gott den Menschen in den schwierigsten Zeiten trage. Da sind die Jugendlichen, die in eine moderierte Katechese geraten sind (Bischof Franz-Josef Overbeck), von der Performance her schon besser dran.
Es gibt Bischöfe, die verlassen sich unverdrossen auf das alte Bild der katholischen Kirche als Gnadenanstalt und Sachverwalterin des Heils. In St. Heribert stellt der „unbeugsam-unbequeme Kardinal Meisner“ einigen hundert Schülerinnen und Schülern dem „zunehmend mut- und farblosen Katholizismus“ (Daniel Deckers) mit erhobenem Zeigefinger den tiefen Glauben zu Zeiten Stalins und Hitlers entgegen. Und ruft den jungen Leuten klare Standards in Erinnerung: „Keinen Sonntag ohne heilige Messe, keine Woche ohne einen Besuch des Tabernakels in der nächsten Kirche, keinen Monat ohne eine gute Tat an einem armen Menschen und kein Vierteljahr ohne eine gute heilige Beichte.“ Um dann noch zu Beginn der Fragerunde eine Frau wegzuschicken. Sie sei zu spät gekommen und habe die ganze Katechese nicht mitbekommen. „Das 21. Jahrhundert trifft auf das 20. Jahrhundert“ twittert Ludwig Ring-Eifel, der Chef der Katholischen Nachrichtenagentur trocken. In St. Andreas dagegen erweckt der Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke den Eindruck, froh darüber zu sein, mit dem westlichen volkskirchlichen Erbe nicht belastet zu sein. Er erzählt aus den Biographien von Erwachsenen, die zur Kirche finden und sich taufen lassen. Beeindruckt sei er, wenn Menschen ins Fürbittbuch des Erfurter Doms schrieben: „Lieber Gott, ich glaube zwar nicht an dich, aber beschütze meine Oma.“ Wie er überhaupt misstrauisch sei gegenüber Menschen, die von sich sagten, sie seien „kirchlich gebunden“. Dieses Wort sei „verräterisch, denn es drückt keine Freude aus.“ Gemeinden seien zunächst mal Orte, wo Menschen spürten, hier sei jemand da für sie. So wie bei Ordensschwestern in der Nähe von Berlin und ihrem „Zirkusprojekt Manege“. „Hier sagen Jugendliche: Kirche ist gut, denn hier werde ich hereingelassen, hier bekomme ich zu essen und zu trinken.“
„Die Mitte des Glaubens, die Mitte der Kirche: Das ist Jesus Christus, gegenwärtig in der Eucharistie.“ Kaum ein Gedanke wird so oft ausgesprochen, ausgelegt, wiederholt wie dieser. Wenig Platz für Zweifel (außer bei einem überfüllten Podium des BDKJ) und für Unsicherheit, als habe man Jesus Christus längst in Besitz genommen in den Schaugefäßen der Kirchen. Ein Beispiel dafür ist auch die Ausstellung „Wer ist der Mann auf dem Tuch?“ über das Grabtuch von Turin, konzipiert unter Beteiligung des in einen Missbrauchsskandal ihres Gründers verstrickten Ordens Legionäre Christi und des Exegeten Prof. Klaus Berger. Die Geschichte des Tuches, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse um Wunden und Echtheit sollten, so Projektleiter Bernd Falk vom Malteserorden „wo immer möglich, mit biblischen Bezügen den Betrachter zum Nachdenken anregen. War der Mann auf dem Tuch Jesus von Nazareth?“ Dort steht man schließlich wie am Schlusspunkt einer langen Reise vor der dreidimensionalen Skulptur eines Mannes, hochgerechnet aus der Abbildung auf dem Grabtuch. Handys werden gezückt. Aha. Das isser also.
Dabei ist die Stärke des Katholizismus doch gerade das offene, in die Weite führende Bild, für das ja auch die gotische Architektur des Kölner Doms steht. Das steinerne himmlische Jerusalem als ein wunderbares Geschenk Gottes wird abends von der „Lux Eucharistica“ – einer Installation aus Licht, Musik und Gesängen – eindrucksvoll auf die Spitze getrieben und zieht jedes Mal weitaus mehr Menschen zur Kathedrale, als sie überhaupt fassen kann. Dann streichen bunte symmetrische Formen wie virtuelle mittelalterliche Teppiche, aber auch Collagen der berühmten Liebesschlösser der Kölner Hohenzollernbrücke als Reminiszenz an die kölsche Volksseele über die Säulen und Obergaden der Kathedrale und öffnen Bilder für das, was mit den biblischen Wohnungen im Haus des Vaters womöglich gemeint ist. „This is the end“ von den Doors hätte jetzt gut gepasst, denkt man. Aber auch hier traut die kirchliche Regie leider nicht der visuellen Kraft, wenn nach einigen Minuten das Licht wieder angeht und mit sehr verkopften Gebeten versucht wird, die frei fließenden Gedanken wieder dogmatisch korrekt einzusortieren, einzufangen, einzuhegen.
Es gibt auch viele tolle Momente in Köln. Navid Kermani etwa, der im Kölner Schnütgen-Museum, einer der ältesten Kirchen Kölns noch einmal seine Beschreibung eines Kreuzigungsbildes von Guido Reni vorträgt, die ihm im Jahre 2009 nach katholischem Protest fast den Hessischen Staatspreis kostete. Der es fertig bringt, seine Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines göttlichen Kreuzigungsopfers und seinen tiefen Respekt für die Schönheit der Darstellung zugleich ins Wort zu bringen: „Ich weiß es nicht besser.“ Oder die Schriftstellerin Ulla Hahn, die in der Diözesanbibliothek den Text „Licht vom Licht“ vorträgt. Oder als der Filmemacher Valentin Thurn bei der Brottafel auf dem Roncalliplatz über die Recherchen zu seinem Film "Taste The Waste" berichtet - jene unglaubliche tägliche Verschwendung von Nahrungsmitteln. Wo die Idee, ein Stück Brot in ein Schaugefäß zu stecken, auf einmal so naheliegend ist.
Und dann war da noch dies: Am zweiten Tag erzählt Friedrich Weber, Bischof der Braunschweiger Landeskirche davon, wie die Teilnahme am Abendmahl in lutherischen Gemeinden Norddeutschlands noch bis in die 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hinein als Mittel der Kirchenzucht benutzt wurde. Er berichtet von einem norddeutschen Landwirt, der kurz nach dem Krieg der Milchpanscherei überführt worden war - seine Milch also mit Wasser verdünnt hatte - und dem daraufhin das Abendmahl verwehrt worden sei. Der Brühler orthodoxe Erzpriester Constantin Miron blickt daraufhin kurz auf und fragt: "Sind wir nicht alle Milchpanscher?" Da hatte man in ökumenischer Runde schon fast eine Stunde gesprochen. Auch darüber, dass Eucharistie und Abendmahl vor allem Versöhnung stifte.
Und in den drei Sekunden Schweigen, die nun folgen, ist in Köln für einen winzigen Augenblick alles geklärt.
Sagen Sie uns Ihre Meinung zu diesem Artikel!
Bitte füllen Sie die folgenden Felder aus, drücken Sie auf den Knopf "Abschicken" und
schon hat uns Ihre Post erreicht.