Interview
Jeden Tag sterben Menschen
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Während Russland und die USA zur Friedenskonferenz nach Genf laden, gehen die Kämpfe in Syrien unvermindert weiter – und damit das Leid der Zivilbevölkerung. Anne Ziegler von der MISEREORPartnerorganisation JRS über das Leben in Syrien, Hilfe im Bürgerkrieg und Waffenlieferungen ins Krisengebiet.

Wie ist die Lage in Syrien nach über zwei Jahren Bürgerkrieg?
Die Menschen haben Angst. Niemand weiß, wann die Bomben kommen, nur dass sie kommen. Und jeden Tag sterben Menschen. Offiziell sind 1,5 Millionen Syrer vor der Gewalt geflohen. Ich gehe allerdings davon aus, dass es mindestens drei bis vier Millionen sind, die in anderen Ländern Schutz suchen. Hinzukommen weitere vier Millionen Menschen, die innerhalb Syriens auf der Flucht sind. Aber auch diese Zahl erscheint mir zu gering. Mir kommt es vor, als sei jeder auf der Flucht.

Damaskus ist voller Flüchtlinge, die in öffentlichen Gebäuden und in Schulen untergekommen sind oder auf offener Straße übernachten. Andere sind schon wieder in ihre Heimatstädte zurückgekehrt. Wenn überall Krieg herrscht, sagen sie, wollen wir lieber zuhause sterben.

JRS arbeitet u.a. in Damaskus. Wie ist die Versorgungslage in der Stadt?
In Damaskus gibt es fast alles – wenn man reich ist, denn Nahrungsmittel kosten zwischen fünf und zehn Mal so viel wie vor einem Jahr. Es ist eine abstruse Situation: Es gibt Märkte mit allem, was man sich vorstellen kann. Und direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, verteilen Hilfsorganisationen Nahrungsmittel an hungernde Menschen.

Warum sind die Preise so gestiegen?
Der Transport ist so teuer. Es ist wahnsinnig schwierig, Güter zu transportieren. 30 Kilometer zu fahren, kann wegen der Kämpfe und Straßensperren bis zu sechs Stunden dauern. Sie müssen warten, bis sich die Gefechte verlagern oder bis sie eingestellt werden. Dann können Sie weiterfahren.

Gibt es Wasser, Elektrizität?
Zeitweise. Wasser wird über Pumpen in die Häuser gebracht und dafür braucht es Strom. Kein Strom bedeutet kein Wasser. Strom steht aber nur stundenweise zur Verfügung. Und wenn zum Beispiel ein Transformator bei einem Angriff beschädigt wurde, kann es zwei, drei Tage dauern, bis es wieder Strom gibt. Es gibt eine Übereinkunft unter den kämpfenden Parteien, dass das, was für die Bevölkerung wichtig ist, in Kampfpausen repariert werden kann. Doch aufgrund des Embargos fehlen Ersatzteile. Im Norden Syriens gibt es erste Fälle von Typhus. Wenn es Sommer wird mit Temperaturen bis 40 Grad, und die Menschen leben im Freien, droht angesichts der schlechten sanitären Situation der Ausbruch von Krankheiten wie Cholera. Und schon jetzt sind Medikamente knapp.

Wie funktioniert Hilfe mitten im Bürgerkrieg?
Uns fehlen oft notwendige Güter und die Möglichkeit, sie zu den Bedürftigen zu bringen. Gerade der Transport ist, wie gesagt, sehr schwierig geworden. Manchmal gibt es Matratzen, manchmal nicht. Manchmal können wir Nahrungsmittel zu den Notleidenden bringen, manchmal lassen es die Kämpfe nicht zu. Doch unsere Mitarbeiter und Freiwilligen kennen sich aus. Sie wissen, was möglich ist und was nicht, und versuchen, jede Gelegenheit zu nutzen.


Neben Unterstützung mit Nahrungsmitteln und Unterkünften haben Sie auch spezielle Programme für Kinder. Wie sehen diese aus?
Zum einen sorgen wir dafür, dass die Kinder die nötigen Unterrichtsmaterialien haben und bringen sie mit Mini-Bussen zur Schule, sofern es noch Unterricht gibt. Daneben haben wir Zentren, in die die Kinder nach der Schule kommen können. Dort helfen ihnen Lehrer und Studenten bei den Hausaufgaben und lehren Grundkenntnisse in Englisch, Französisch sowie andere Schulfächer. Ein dritter Bereich ist die psychosoziale Unterstützung. Diesen haben wir im vergangenen Jahr stark ausgebaut. Durch Tanz, Theater und Musik lernen die Kinder, ihre Gefühle auszudrücken und damit besser mit den schlimmen Erfahrungen der vergangenen Jahre umzugehen.

Wie schaffen Sie selbst es durchzuhalten?
Das geht nur, weil wir eine starke Motivation haben. Der Mensch, dem ich helfe, könnte meine Mutter sein, mein Bruder, meine Cousine. Wir helfen dort, wo die Not am größten ist, unabhängig davon, ob die Notleidenden Christen oder Muslime sind. Wir tun, was wir können, aber es ist dennoch frustrierend, angesichts der Not täglich an die eigenen Grenzen zu stoßen. So viele Menschen brauchen Hilfe und so wenig ist möglich.

In Europa und den USA diskutieren Politiker darüber, die Aufständischen mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Was halten Sie von dieser Art der Hilfe?
Mittlerweile gibt es neben den Kampfparteien viele kriminelle Gruppen. Oft kann man die einzelnen Parteien nicht unterscheiden. Wer stellt sicher, in welche Hände die Waffen geraten? Nein, Waffenlieferungen helfen nicht! Neue Waffen bedeuten nur noch mehr Gewalt.

Das Interview führte Petra Kilian.

JRS: Seit 2008 betreut der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) irakische Flüchtlinge in Syrien und Jordanien.

Seit Beginn der Krise hat die Organisation ihre Hilfsstrukturen ausgebaut, um die syrischen Flüchtlinge und Vertriebenen mit dem Notwendigsten versorgen zu können. Seit Jahren unterstützt MISEREOR JRS unter anderem in Syrien, Darfur und Äthiopien.

Mehr Informationen zur Lage in Syrien und der Arbeit der MISEREOR Partnerorganisationen finden Sie unter www.misereor.de/syrien .


© imprimatur Oktober 2013
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