Leonardo Boff
Erste Eindrücke zur Enzyklika 'Lumen fidei'

06.07.2013

Die Enzyklika Lumen Fidei erscheint zwar mit der Unterschrift des Papstes Franziskus, aber es ist bekannt, dass der vorherige, jetzt emeritierte Papst Benedikt XVI. sie geschrieben hat. Papst Franziskus gesteht selbst ein: "In der Brüderlichkeit in Christus übernehme ich seine wertvolle Arbeit und ergänze den Text durch einige weitere Beiträge." So muss es sein, sonst wäre sie keine Äußerung des päpstlichen Lehramtes. Sie wäre nur ein theologischer Text von jemandem, der einmal Papst war.

Benedikt XVI. wollte eine Trilogie über die Kardinaltugenden schreiben. Über Hoffnung und Liebe hatte er geschrieben. Aber es fehlte der Text zum Thema Glauben. Das geschieht jetzt, mit kleinen Ergänzungen durch Papst Franziskus.

Die Enzyklika bringt nichts sensationell Neues, für das die Gemeinschaft der Theologinnen und Theologen bzw. die aller Gläubigen oder die allgemeine Öffentlichkeit besonders aufmerksam sein müsste. Es ist ein hochtheologischer Text, in kunstvollem Stil voller Bibelzitate und voller Zitate von Kirchenvätern. Kurioserweise zitiert er Autoren der okzidentalen Kultur wie Dante, Buber, Dostojewski, Nietzsche, Wittgenstein, Romano Guardini und den Dichter Thomas Eliot. Die Handschrift von Papst Benedikt XVI. ist eindeutig zu erkennen, vor allem in raffinierten Debatten, die selbst für Theologen oft schwer verständlich sind, wenn man griechische und hebräische Ausdrücke verwendet, wie das theologische Doktoren bzw. Lehrmeister zu tun pflegen.

Der Text richtet sich an die Kirche. Er spricht vom Licht des Glaubens zu jenen, die sich bereits in der durch den Glauben erleuchteten Welt befinden. In diesem Sinne handelt es sich um eine innersystemische Reflexion.

Der Text verwendet eine typisch westlich-europäische Diktion. Im Text haben ausschließlich europäische Autoritäten das Wort. Das Lehramt der kontinentalen Kirchen mit ihren Traditionen, Theologien, Heiligen und Zeugen des Glaubens wird nicht berücksichtigt. Auf diesen Solipsismus muss man aufmerksam machen, weil in Europa nur 24% der Katholiken leben, der Rest lebt anderswo, 62% von ihnen in der sogenannten Dritten Welt und Vierten Welt. Ich kann mir vorstellen, dass südkoreanische, indische, angolesische, mosambikanische oder auch andine Katholiken diese Enzyklika lesen. Möglicherweise verstehen sie alle sehr wenig von dem, was da geschrieben steht, und finden auch ihr eigenes Denken in dieser Art der Argumentation nicht wieder.

Der Leitfaden der theologischen Argumentation ist typisch für das Denken des Theologen Joseph Ratzinger: das Wahrheitsthema besitzt ein, ich würde sagen, nahezu obsessives Übergewicht. Im Namen der Wahrheit macht er Front gegen die Moderne. Er kann nur schwer eines der Themen akzeptieren, das dem modernen Denken besonders kostbar ist: die Autonomie des Subjekts und ihre Verwirklichung im Licht der Vernunft. J. Ratzinger glaubt, sie sei der Versuch, das Licht des Glaubens zu ersetzen.

Ratzinger lebt jene Haltung nicht, die das Zweite Vatikanische Konzil so sehr empfohlen hatte. Sie besteht nämlich darin, bei Auseinandersetzungen mit zeitgenössischen kulturellen, philosophischen und ideologischen Tendenzen vor allem die Samenkörner der Wahrheit, die sich in ihnen finden lassen, zu erkennen, und von hier aus mit Kritik und Ergänzungen in den Dialog zu treten. Es ist eine Lästerung wider den Heiligen Geist, wenn man glaubt, die Modernen hätten sich nur Lügen und Unwahrheiten ausgedacht.

Für Ratzinger gilt, dass selbst die Liebe sich der Wahrheit zu unterwerfen habe, um das Ich "über seine Isoliertheit hinauszuführen" (Nr. 27). Wir wissen jedoch, dass die Liebe ihre eigenen Gründe kennt und einer anderen, andersartigen Logik gehorcht, ohne damit im Widerspruch zur Wahrheit zu geraten. Es mag sein, dass die Liebe die Realität nicht eindeutig erkennt, aber sie nimmt die Realität mit größerer Tiefe wahr. Schon Augustinus sagte - und folgte darin Plato - , dass wir wahrhaft nur verstehen, was wir lieben. Für Ratzinger ist die "Liebe eine Erfahrung der Wahrheit" (Nr. 27) und "Glaube ohne Wahrheit rettet nicht" (Nr. 24).

Diese Aussage ist - theologisch gesprochen - problematisch, denn die ganze Tradition, vor allem die Konzilien haben erklärt, dass nur "die von der Liebe geprägte Wahrheit" (fides caritate informata) rettet. Ohne Liebe kann auch die Wahrheit nicht zur Erlösung führen. Alltagssprachlich würde ich sagen: Was uns rettet, sind nicht wahre Predigten, sondern wirksame Taten.

Alle Dokumente des Lehramtes sind von vielen Händen geschrieben worden, weil man versucht hat, verschiedene akzeptable theologische Tendenzen zu berücksichtigen. Am Ende bringt der Papst das Dokument in seine Form und billigt es. Dies gilt auch für das vorliegende Dokument.

In seinem Schlussabschnitt, der wahrscheinlich aus der Hand von Papst Franziskus stammt, gibt es eine bemerkenswerte Offenheit in pastoralem Sinn, die nur schwer mit den vorherigen, stark dogmatischen Teilen in Einklang zu bringen ist. Dort wird nachdrücklich festgehalten, dass das Licht des Glaubens alle Dimensionen des menschlichen Lebens beleuchtet. Im Schlussteil ist die Haltung bescheidener: "Der Glaube ist nicht ein Licht, das all unsere Finsternis vertreibt, sondern eine Leuchte, die unsere Schritte in der Nacht leitet, und dies genügt für den Weg." (Nr. 57). Und theologisch präzise wird festgestellt dass "das Bekenntnis des Glaubens [...] keine Zustimmung zu einer Gesamtheit von abstrakten Wahrheiten" bedeute, sondern "durch das Bekenntnis des Glaubens tritt das ganze Leben ein in einen Weg hin auf die volle Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott" (Nr. 45).

Am reichhaltigsten ist die Enzyklika für mich in der Nr. 45, wenn sie das Glaubensbekenntnis kommentiert. Hier findet sich eine Aussage, in der die Grenzen der Theologie überschritten und die Philosophie berührt wird: "Der Glaubende sagt [...], dass die Mitte des Seins, das tiefste Geheimnis aller Dinge die innergöttliche Gemeinschaft ist" (Nr. 45). Und ergänzt: " Es wird also gesagt, dass dieser Gott, der Gemeinschaft ist [...], die ganze Geschichte des Menschen zu umfangen vermag und fähig ist, ihn in die Dynamik seiner Gemeinschaft hineinzuführen" (Nr. 45).

Aber es lässt sich auch eine schmerzliche Lücke feststellen, durch die der Rang der Enzyklika erheblich gemindert wird: Die Enzyklika bezieht sich nicht auf die Krise des Glaubens der Menschen von heute, auf ihre Zweifel, auf ihre Fragen, auf die auch der Glaube keine Antwort hat: Wo war Gott beim Tsunami, der Tausende von Menschenleben gefordert hat, oder in Fukushima? Wie kann man glauben, nachdem in unserer Geschichte Tausende von Indianern durch Christen massakriert sowie von den Militärdiktaturen der 70-80er Jahre Tausende gefoltert und umgebracht wurden? Wie kann man nach den Millionen von Toten in den Vernichtungslagern der Nazis noch Glauben haben? Die Enzyklika bietet keinen einzigen Hinweis, um auf diese Fragen zu antworten. Glauben heißt immer glauben trotz... Glaube beseitigt nicht die Zweifel und die Ängste des Jesus, der am Kreuz schrie: "Vater, warum hast du mich verlassen?" Glaube muss durch diese Hölle gehen und zu einer Hoffnung werden, dass alles eine Bedeutung hat, die aber in Gott verborgen liegt. Wann wird sie offenbart?

Übersetzung aus dem Spanischen: Norbert Arntz


© imprimatur November 2013
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