Mehr als 200 Jahre hat es seit Aufklärung und Französischer Revolution in Mittel- und Westeuropa gebraucht, um im staatlichen Bereich einen „demokratischen Rechtsstaat“ zu etablieren, in dem trotz aller Unzulänglichkeiten die Menschen- und Grundrechte garantiert und – mit am wichtigsten – einklagbar sind. Die katholische Kirche indes blieb – weitgehend unbeweglich und jeder Modernisierung als „Teufelswerk“ abhold – im hierarchischen „Absolutismus“ verharrend, wie er sich seit den Zeiten Kaiser Constantins herausgebildet und bis heute (1983) im CIC (Codex Iuris Canonici) manifestiert.
Auch die nostalgische Erinnerung an den Reformwillen und -eifer des II. Vatikanischen Konzils - nunmehr 50 Jahre zurückliegend - kann nicht verdecken, dass die Reformunwilligkeit zur Reformunfähigkeit fortgeschritten scheint, zumal wenn man sich der nicht leichten Lektüre der Dokumentation von Johannes Grabmeier unterzieht:
Johannes Grabmeier, Kirchlicher Rechtsweg – vatikanische Sackgasse!, ANIMUS-Verlag Schierling 2012.
Bezeichnender Weise und nicht ironisch gemeint widmet er das Buch „all denen, die noch nicht entmutigt sind, für Reformen in der römisch-katholischen Kirche zu kämpfen“. Gegenstand des Werkes ist in einem ersten Teil die „Zerschlagung“ der etablierten Organisation der Mitwirkung der Laien im Bistum Regensburg durch Bischof Müller und in einem zweiten Teil der Prozess von Johannes Grabmeier gegen diese Maßnahme an der römischen Kurie.
Im Mai des Jahres 1975 hatte die „Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland“ – sicherlich noch getragen von der Reformeuphorie des II. Vatikanischen Konzils – beschlossen, das „Apostolat der Laien“ zu stärken und verbindlich mit ausdrücklicher Approbation des Vatikans Mitwirkungsmöglichkeiten, allerdings weitab von Mitbestimmungsrechten, in den Gemeinden, Dekanaten und Bistümern so genannte „Katholikenräte“ zu bilden. Allerdings fanden diese „Räte“ keine Rechtsgrundlage, und das wurde in gewisser Weise später „verhängnisvoll“, in den 1983 geschaffenen „Codex Juris Canonici“. Auch im Bistum Regensburg sahen die Laien darin eine Möglichkeit, ihre Interessen in der Kirche, wenn auch nur sehr reduziert und ohne rechtliche Verbindlichkeit für den Bischof, zu artikulieren, bis mit dem Amtsantritt von Bischof Gerhard Ludwig Müller in Regensburg im Oktober des Jahre 2002 ein neuer Wind den „Räten“ entgegenschlug. Dem ehemaligen überaus konservativen Dogmatikprofessor war vor allem der Vorsitzende des Dekanatsrates im Dekanat Deggendorf, Dr. Johannes Grabmeier, ein Dorn im Auge: Da er als Kritiker des Bischofs der „Bewegung ,Wir sind Kirche‘“ nahe stehe (S. 18), entfernte ihn der Bischof Ende März 2003 aus allen Ämtern. Zwar nahm er die eindeutig rechtswidrige Entscheidung wieder zurück, aber die Querelen mit den Räten eskalierten, so etwa in einem Streit des Bischofs mit dem Diözesanrat um eine neue Satzung für die Pfarrgemeinderäte, noch deutlicher, als sich die Vorsitzenden der Dekanatsräte trotz eindeutigen Bischofsverbots zu einer gemeinsamen Sitzung trafen (Juli 2005). Als der Bischof Anfang Oktober 2005 ankündigte, die „Katholikenräte“ „zeitgerecht zu erneuern“ (S. 32), war das, was dann am 14.11.2005 folgte, keine „notwendige Modernisierung der Räte“, wie der Bischof formulieren ließ, sondern deren Zerschlagung: Mit zwei Dekreten wurden der Diözesanrat und alle Dekanatsräte im Bistum Regensburg aufgehoben. Der Protest dagegen war nicht nur im Regensburger Bistum virulent, der Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Dr. Hans Joachim Meyer, bezeichnete die „Neuordnung in Regensburg“ als eindeutige „Rechtsverletzung“ (S. 35), sogar Kardinal Lehmann, „würde“ bei der in Regensburg vorgesehenen Abschaffung der Wahl von Laienvertretern „einen echten Rückschritt“ sehen (S. 38). Aber Bischof Müller konterte die Kritik an ihm und er bat die vatikanische „Kongregation für den Klerus“ um eine Stellungnahme „zur Neuordnung des Laienapostolats“ (S. 38). Diese bestätigte ihm schon im Dezember, dass sich die vom Bischof geplante Neuorganisation der Räte an den „maßgeblichen Vorgaben des Codex des kanonischen Rechts“ orientierten und auch „auf zuverlässige Art und Weise“ „Geist und Ziele“ des CIC auslegten (S. 39).
Doch mit diesem Sachstand: „Roma locuta, causa finita“ fand sich der abgesetzte Diözesanrat und aus dem Amt entfernte Vorsitzende eines Dekanatsrates, Dr. Johannes Grabmeier, nicht ab. Er beschritt den kirchlichen Rechtsweg gegen Verwaltungsdekrete: Er bat zunächst den Ortsbischof um Rücknahme seiner Dekrete. Als dieser nicht reagierte, wandte er sich im Januar 2005 im so genannten „hierarchischen Rekurs“ an die vatikanische Kongregation für die Bischöfe. Diese leitete - und dies scheint mehr als kurios - den Rekurs an die Klerikerkongregation weiter, aus „Kompetenzgründen“, wie formuliert wurde. Damit war die Entscheidung dem Gremium übertragen, das schon im Dezember des vorherigen Jahres dem Bischof von Regensburg das Plazet für seine Entscheidungen erteilt hatte. Erneut bestätigte die Klerikerkongregation, was konnte anderes erwartet werden, dass Bischof Müller in Inhalt und Form den „kirchenrechtlichen Bestimmungen“ entsprochen habe (S. 80). Seine Entscheidung begründete sie auch damit, dass durch den CIC von 1983 das „Gewohnheitsrecht“ der Würzburger Synode aufgehoben, gewissermaßen kassiert, sei.
Dr. Johannes Grabmeier indes ging den eingeschlagenen Rechtweg weiter, appellierte
an das vatikanische „Verwaltungsgericht“, an die „Apostolische
Signatur“, zunächst an dessen „Kongress“ und dann letztinstanzlich
schließlich an die „Plenaria der Apostolischen Signatur“,
die dann im November 2007 ein Urteil fällte.
Dieses kompliziert erscheinende Verfahren soll hier im Einzelnen nicht dargestellt
werden, ist aber in der Publikation mit original-lateinischen Texten hinreichend
dokumentiert, auch mit ausführlichen Stellungnahmen und Gutachten der Kirchenrechtlerin
Dr. Sabine Demel, die wohl Johannes Grabmeier in diesem Prozess juristisch begleitete
und beriet.
Beide Instanzen des kirchlichen Verwaltungsgerichts kamen zu der rechtlichen
Bewertung, dass sie nicht zuständig seien, dass die Dekrete des Regensburger
Bischofs – und das ist der entscheidende Punkt – kein Verwaltungsakt,
sonder ein Akt der Gesetzgebung seien, der, so schon die Klerikerkongregation,
mit den Canones des CIC durchaus vereinbar und letztlich in der „plena
potestas“ des Bichofs, der Machtvollkommenheit qua „göttlichen
Rechts“, in der Apostelnachfolge begründet sei.
Laien, und dies ist immer noch für viele Katholiken eine zwar „bittere“,
aber notwendige Erkenntnis der vorgestellten Publikation, haben anders als im
„Staat“ nur die Rechte, wenn auch sehr wenige, die ihnen von den
Amtsträgern: den Bischöfen und dem Papst, jederzeit aufkündbar,
verliehen worden sind.
Bischof Müller von Regensburg – soll man darin eine Ironie der Geschichte sehen? – wurde im Juli 2012 von Papst Benedikt zum Präfekten für die Glaubenskongregation nach Rom berufen. Es wäre schlimm für unsere Kirche, wenn er an dieser Stelle so als „Modernisierer“ wirken würde, wie er es in seinem Bistum bezüglich der Katholikenräte gezeigt hat.
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