Adrián J. Taranzano
Die Wiedergewinnung der Normalität des Bischofs von Rom
Erwartungen und Hoffnungen angesichts eines vom Ende der Welt gekommenen Papstes

Der Verzicht auf höfischen Prunk und die Bescheidenheit im Lebensstil von Papst Franziskus seien wahrscheinlich auch der bewusste Versuch, die "Normalität" des bischöflichen Amtes des römischen Bischofs wiederzugewinnen, der wesentlich ein Hirt inmitten des Volkes und nicht ein Monarch sei. Für die südamerikanische Mentalität seien Monarchien jedenfalls eine fremde Welt.

Die Wahl von Jorge Mario Bergoglio hat eine überwiegend positive Reaktion in und außerhalb der Kirche ausgelöst. "Frühling", "frische Luft", "neuer Johannes XXIII". Diese sind einige der vielen Stichwörter, die man oft hört oder liest und die ein verbreitetes Hoffnungsgefühl zum Ausdruck bringen. Die Grundfrage ist natürlich, inwiefern diese zahlreichen Erwartungen realistisch und begründet sind und was in der Tat erhofft werden kann.

Programmatische Gesten

Zweifellos haben diejenigen recht, die vor "überzogenen Erwartungen" warnen, die auf eine einzelne Person gerichtet sind, welche gewiss nicht frei von Fehlern und Grenzen ist. Sein Dienst als Bischof von Rom wird wahrscheinlich die gleichen Stärken und die gleichen Schwächen haben wie sein Dienst als Erzbischof von Buenos Aires. Mit Recht stellen einige fest, dass er kommunikativ, entscheidungsfähig und volksnah, aber auch theologisch eher traditionell ausgerichtet ist.

Aber wohin geht dann die Kirche mit der "den Vorsitz in der Liebe" führenden Ortskirche von Rom mit Franziskus als Bischof? Der neue Papst hat keine programmatische oder ausführliche Rede gehalten, aber er hat zahlreiche Gesten vollgezogen und Akzente gesetzt, die einen ersten Eindruck seines Pontifikates geben können. In bin der Meinung, dass diese Gesten nicht nebensächlich, sondern wirklich programmatisch sind. Sie stellten deutlich die Weichen. Ich erwähne nur einige Punkte.

"Entweltlichung" des Papsttums

Wenn der Rücktritt von Benedikt XVI. eine "Entmythologisierung" des Papsttums in Gang gesetzt hat, kann sie der "Bergoglio-style" verschärfen. Der Verzicht auf höfischen Prunk und die Bescheidenheit im Lebensstil sind wahrscheinlich nicht nur als Ausdruck der evangelischen Armut gemeint, sondern auch als bewusster Versuch, die "Normalität" des bischöflichen Amtes des römischen Bischofs wiederzugewinnen, der wesentlich ein Hirt inmitten des Volkes und nicht ein Monarch ist.

Für die südamerikanische Mentalität sind Monarchien eine fremde Welt. Diese Normalität war schon ein Kennzeichen des Erzbischofs von Buenos Aires, der einfach unter den Leuten gelebt hat und mit ihnen die normalen Verkehrsmittel geteilt hat. Abstand oder Distanz war für ihn eine "seelsorgliche Häresie". Es wird wahrscheinlich eine seiner Betonungen sein, die zu einem besseren Verständnis des Amtes führen kann. Die Entweltlichung muss bei jedem und jeder persönlich anfangen und nicht nur als correctio fraterna gepredigt werden.

Nicht von der Ortskirche Roms regiert

In ähnliche Richtung geht seine nachdrückliche Selbstdarstellung als "Bischof von Rom". Diese Beharrlichkeit lässt vermuten, dass nicht die Dialektik von Universalkirche und Ortskirchen, sondern die Gegenseitigkeit zwischen der Ortskirche Roms, die den Vorsitz in der Liebe führt, und den anderen Ortskirchen betont werden wird. Die Ortskirchen müssen mit der Ortskirche Roms übereinstimmen, aber nicht von ihr regiert werden. Er selbst hat unter den zentralistischen Tendenzen Roms und den unerwarteten beziehungsweise unerwünschten bischöflichen Ernennungen durch Rom gelitten. Deshalb lässt sich annehmen, dass die Kollegialität gestärkt werden kann.

Bergoglio kommt aus dem Kontinent, der schon vor dem zweiten Vatikanischen Konzil den Rat der lateinamerikanischen Bischöfe als kollegiales Instrument eingeführt hat und der von großer Bedeutung in der Kirche jenseits des Ozeans gewesen ist. Die praktische Gestaltung und konkrete Tragweite dieser Kollegialität ist dennoch schwer zu prognostizieren.

Die Armen und das Volk Gottes im Vordergrund

Sein ausdrücklicher Wunsch nach "einer armen Kirche und für die Armen" lässt eine deutliche Richtung erkennen. Schon in Buenos Aires hat er die Pastoral in den Villas privilegiert, was ihm auch von einem Teil seines Klerus als "Einseitigkeit" vorgeworfen worden ist. Die Volksfrömmigkeit wird er auch besonders aufwerten. In diesem Sinn findet er sich in der argentinischen "Theologie des Volkes" (komplementär zur Befreiungstheologie) zu Hause.

Diese Präferenz lässt sich auch in seinem Predigtstil erkennen. Das kann sowohl als Stärke als auch als Schwäche ausgelegt werden. Es heißt etwa: "Wenn der Papst so weiter sprechen würde, würde es nicht ausreichen, aber er wird das nicht machen", "Vielleicht werden die Intellektuellen Vorbehalte haben". Sein Lehramt wird sicherlich weniger doktrinell als vielmehr sozialethisch orientiert sein. Ihm wurde auch vorgeworfen, dass er sich nicht ausreichend um die "Reinheit der Lehre" kümmert. Eher als zu belehren wird er zu bewegen versuchen.

"Aggiornamento des Aggiornamento"?

Sehr klar ist seine Abneigung gegen eine narzisstische Kirche, die auf sich selbst schaut, zum Vorschein gekommen. Eher als die gelehrte Welt ist die Straße sein "Areopag", besonders in den Randgebieten. In Anlehnung an die letzte Generalversammlung des südamerikanischen Episkopates in Aparecida (Brasilien) wird er wahrscheinlich die Dringlichkeit der Mission und der Evangelisierung betonen. Dafür – sagt Aparecida – ist es lebenswichtig, dass man sich mit den altmodischen kirchlichen Strukturen ("estructuras caducas") auseinandersetzt und eine pastorale Umkehr ("conversión pastoral") wagt. Die Evangelisierung anzugehen ohne diese Selbstkritik vorzunehmen, ist kurzsichtig.

Kurz nach seiner Wahl hat Papst Franziskus ganz locker ausgedrückt, dass wir "nicht alles getan haben", "was uns der Hl. Geist im Konzil gesagt hat". Es ist ein erstaunliches Eingeständnis für einen Papst! Es lässt die Hoffnung wecken, - aber nur die Hoffnung! -, dass statt einer "Reform der Reform" ein "Aggiornamento des Aggiornamento" stattfinden kann.

Der argentinische Theologe Adrián J. Taranzano hat Bibelexegese in Rom studiert und doktoriert derzeit im Fach Dogmatik in München. Der vorliegende Beitrag ist im Anschluss an eine Podiumsdiskussion in Stuttgart entstanden.


© imprimatur November 2013
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