Fulbert Steffensky zum 80. Geburtstag

„Seine erste Heimat war ein Dorf im Saarland“, hieß es in einer Sendung des WDR zu seinem 80. Geburtstag. Der am 7. Juli 1933 in Rehlingen/Saar geborene Fulbert Steffensky hat im Laufe seines Lebens mehrere Heimaten gehabt – nicht nur im geographischen Sinn – und sie nicht einfach verlassen, sondern jeweils behalten und miteinander verbunden.

Nach dem Studium der katholischen und evangelischen Theologie lebte er 13 Jahre lang als Benediktinermönch in Maria Laach. Dann konvertierte er zum evangelischen Bekenntnis, „ohne das Katholische aus seinem Herzen zu verbannen“, und heiratete die evangelische Theologin Dorothee Sölle. Mit ihr zusammen gründete er das „Politische Nachtgebet“ in Köln (1968 – 1972) und verfasste zahlreiche spirituelle Texte und Bücher. Er war zuerst Professor für Erziehungswissenschaft an der Fachhochschule Köln, dann bis zu seiner Emeritierung 1998 Professor für Religionspädagogik an der Universität Hamburg. Ein Jahrzehnt nach dem Tod von Dorothee Sölle (2003) zog er nach Luzern und heiratete erneut.

Der Jubilar hat viele Schriften verfasst, vor allem zu spirituellen Fragen. Er hat auch für imprimatur geschrieben, zum Beispiel zur evangelischen und katholischen Predigt (Nr. 6/2006) und über den Erlösungsglauben (Die Schönheit des dickköpfigen Stolzes. Der Glaube an die Erlösung verweigert dem Tod das letzte Wort, Nr. 1/2010). Zuletzt wurde sein gemeinsam mit Dorothee Sölle verfasstes Buch „Wider den Luxus der Hoffnungslosigkeit“ von 1995 wieder aufgelegt (Kreuz Verlag 2013, hrsg. von Matthias Mettner). Darin findet sich, neben einem Doppelinterview mit dem Herausgeber und Texten zu unterschiedlichen Aspekten einer heutigen christlichen Spiritualität, auch ein bewegendes Portrait seiner verstorbenen Frau. Es enthält ein Zeugnis seiner Heimatverbundenheit und seiner, mit Dorothee Sölle geteilten Friedensliebe:

Ein eher lustiges Detail ihrer (= D.S.) Friedensliebe: Sie hatte ein Foto einer Darstellung von Isaaks Opferung aus einer Trierer Apotheke. Isaak liegt gebunden auf dem Opferaltar. Abraham, waffentechnisch schon modern ausgerüstet, zielt mit einem Gewehr auf den gebundenen Isaak. Am oberen Rand des Bildes ist ein Engel zu sehen, der Abraham auf das Gewehr pinkelt. Die Bildunterschrift: „Abraham, du zielst umsunst / ein Engel dir ins Zündloch brunst.“ „Diesem Engel der Gewaltlosigkeit müssen wir pinkeln helfen!“, sagte Dorothee. ( S. 11)

Um es nicht bei diesem durchaus charakteristischen Text, der Konkretes mit Tiefgründigem verbindet, zu belassen, drucken wir im Folgenden ein Interview ab, das Fulbert Steffensky kürzlich der Zeitschrift „Einfach leben“ (hrsg. von Rudolf Walter, Verlag Herder, Ausgabe Juni/Juli 2013, www.einfachlebenbrief.de) gegeben hat. Wir danken dem Herausgeber für die Abdruckerlaubnis und gratulieren nachträglich „unserem“ Autor herzlich zur Vollendung von acht Jahrzehnten erfüllten Lebens.

Des Lebens bester Name: Gott

Den gregorianischen Choral findet er „zum Katholischwerden“ und Paul Gerhardts Lieder „zum Evangelischwerden“. Der ehemalige Benediktiner und spätere Mann Dorothee Sölles betont das Verbindende und den gemeinsamen Reichtum der Konfessionen. In diesem Monat wird er 80 Jahre alt. In den Antworten auf die Fragen von einfach leben wird der Grund seiner Frömmigkeit deutlich.

einfach leben: „Alle Wege führen nach Rom“?
Fulbert Steffensky: Alle meine Wege führen an Rom vorbei, viele aber führen zum Katholizismus, seinen Schönheiten und Stärken.

Gibt es Gottesaugenblicke in Ihrem Leben?
Es gibt Zeiten und Ereignisse, die ich so interpretiere. Wenn ich ein Enkelkind im Arm halte – das ist ein Augenblick tiefer Zuneigung zum Leben. Wenn ich in einer alten Kirche sitze, und überlege, wie viele Menschen hier für ihr Glück gedankt, ihre Toten beweint, ihre Schuld bereut und ihre Ängste genannt haben, dann bin ich eins mit dem Leben und seinem besten Namen: Gott. Wenn ich fähig bin, mich über Unrecht zu empören, dann ist es ein Gottesausgenblick.

Staunen Sie manchmal über Gott?
Staunen? Je älter ich werde, desto mehr erschrecke ich vor seinem Geheimnis und vor seiner Dunkelheit. Die Gottesbilder zerbrechen, und der Glaube muss täglich aus dem Grab des Unglaubens auferstehen. Vielleicht ist der Glaubensweg ein Weg, der gesäumt ist von zerbrochenen Gottesbildern.

Kann Gott sterben?
Götzen sterben. Vielleicht gehören gelegentlich unsere eigenen Gottesbilder zu jenen Götzen, die sterben müssen. Gott lebt, darauf wette ich. Ich weiß allerdings, dass man Wetten verlieren kann.

Was ist einfacher: glauben oder zweifeln?
Einfacher ist der Zweifel. Der Zweifel bekommt sein reichliches Futter im Leben selber. Wenn ich mich als Glaubenden von außen betrachte, bin ich verwundert über mich selbst: Wie kann ich an die Barmherzigkeit Gottes glauben, ohne dessen Wissen kein Haar von meinem Haupt fallen soll, wenn doch Aggression und Feindschaft ein wesentliches Prinzip der Selbsterhaltung der Natur ist? Ich nenne das Beispiel eines Wunders der Schönheit im Dienste der Vernichtung anderer Lebewesen: das Spinnennetz. Eine Spinne „versteht“ ihr Netz so zu bauen, dass das Gebilde als Ganzes intakt bleibt, auch wenn die Fäden an einzelnen Stellen durch schwere Beute oder heftige Winde reißen. Sogar einem Hurrikan kann ein solches Netz standhalten. Das Wunder aber ist gesponnen mit dem Zweck, anderes Leben zu vernichten. Höchste Zweckmäßigkeit geht mit höchster Aggression zusammen. Welchen Sinn soll das Ganze haben? Seine Zwecke leuchten mir ein, aber sein Sinn? Der 104. Psalm lobt die Herrlichkeit Gottes und seine weise Ordnung. Die Erde ist voll von Gottes Güte, behauptet er. In Wirklichkeit beschreibt er nur die kalte Souveränität einer Natur, die lächelnd Gnade verteilt und kalt lächelnd Leben vernichtet. Der Psalm preist die jungen Löwen, die brüllen nach Raub und die ihre Speise von Gott suchen. Diese „Speise von Gott“ sind die Lämmer, die in ihrer Todesangst brüllen; die Ziegen, die dem tödlichen Biss zu entkommen versuchen.

„Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit.“, heißt es im Psalm. Für die meisten Lebewesen in der Geschichte ist die Speise „zur rechten Zeit“ ausgeblieben, oder sie dienten „zur rechten Zeit“ als Speise für andere Kreaturen. Wie verrückt und wahnhaft, verzweifelt oder wie mutig muss jemand sein, der dies mit offenen Augen sieht und dennoch sagt: „Lobe den Herrn, meine Seele“? An die Güte zu glauben, ist Arbeit. Man kann sie gelegentlich am Leben ablesen, oft aber muss man sie hineinlesen.

Was vermissen Sie an Jesus?
Rein gar nichts.

Würden Sie zu den zehn Geboten noch ein elftes hinzufügen, und welches?
Du, Pfarrer oder Pfarrerin, sollst in der Kirche nicht so viel reden.

Welchen Satz aus dem Mund Jesu mögen Sie besonders?
Matthäus 27, 46: „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Und welchen übergehen Sie lieber?
Matthäus 18, 9: „Wenn dich dein Auge ärgert, dann reiße es aus und wirf es weg.“ Ich kann den Sinn dieses Wortes erkennen. Aber mit solcher religiöser Radikalität ist ein Meer von Unglück in die Welt gekommen.

Was ist das Anliegen Jesu: die Welt verbessern oder die Welt ertragen oder die Welt vergessen?
Die Welt vergessen – das ist eine Blasphemie, die wir Jesus nicht zutrauen wollen. Ertragen ist ein schönes Wort. Wer in der Welt lebt und liebt, der muss sie auch ertragen. Die Liebe kommt nicht ungeschoren davon, so wenig wie Gott ungeschoren davon gekommen ist. Das lehrt mich das Kreuz. Die Welt verändern ist einer der Grundabsichten Jesu. Das lehrt uns die Bergpredigt. Das Kleine soll nicht klein bleiben und groß nicht das Große.

Die Ersten sollen zu Letzten werden und die Letzten zu Ersten. Die Lahmen sollen tanzen und die Stummen sollen ihre Lieder finden. Die Tyrannen sollen vom Thron gestürzt und die Niedrigen sollen erhöht werden. Die Sünder sollen an die Tische geholt werden, die eigentlich nicht für sie gedeckt sind. Wenn das keine Veränderung aller Zustände ist! Statt verändern würde ich lieber sagen: Jesus will die Welt heilen.

Passt Jesus zum Glück?
„Jesus war der glücklichste Mensch“, hat Dorothee Sölle einmal geschrieben. Ja, er war glücklich, wenn man unter Glück nicht individualistische Selbsterfüllung versteht. Mit den Worten Würde, Freiheit und Sinn würde ich das Wort Glück aufschlüsseln. Bei wem finde ich es deutlicher?

Wenn von Gottes dunklen Seiten gesprochen wird, welche nennen Sie zuerst?
Sein Schweigen.

Welcher Gestalt der Menschheitsgeschichte steht Jesus am nächsten?
Man kann viele nennen. Ich nenne Mahatma Gandhi: Er wollte Gerechtigkeit, er wollte den Frieden, er ertrug Gewalt, ohne zurückzuschlagen. Er trug die Gesichtszüge Jesu.

Beten Sie mit Jesus oder auch zu ihm?
Ich bete nicht zu Jesus. Aber ich bete mit ihm, wenn ich in seine Gebete schlüpfe, in das Vaterunser oder in die Psalmen oder in sein „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“

Wie erfahren Sie den Geist?
Erfahren habe ich noch ziemlich wenig. Aber ich glaube an ihn. Ich bin skeptisch der allgemeinen Erfahrungssuche gegenüber. Ich glaube an den Geist Christi, wenn ich meine stammelnden Gebete in das Seufzen des Geistes schütte (Römer 8, 26) und wenn ich vor der Deutschen Bank in Frankfurt gegen das Unrechtssystem des Geldes demonstriere.

Paulus sagt: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2, 20): Wer bin ich dann?
Ich bin zum Glück nicht nur ich selbst und bin nicht eingekerkert in meine eigene Identität. In einem alten Liebeslied heißt es:
„Du bist min, ich bin din; / Des solt du gewis sin. / Du bist beslozzen in minem Herzen, / verloren is das slüzzelin; / du muost ouch immer darinne sin.“

Das ist ein Identitätentausch, wie ihn die Liebe immer vornimmt. Meine Identität liegt nicht nur in mir selbst. Gott hat sich in unser Herz gesehen, wir uns in seines. Dies ist nicht eine Enteignung, wie Sklaven sich enteignet sind in den Willen ihrer Herren. Es sind Enteignungen der Liebe. Wir preisen sie etwa in dem Lied von Gerhard Terstegen: „Ich senk mich in dich hinunter. / Ich in dir, / du in mir, / lass mich ganz verschwinden, / dich nur sehn und finden.“ Es ist ein Glück, dass wir in mehr beheimatet sind als in uns selbst.

Wenn jemand vor Gott fliehen möchte. Wohin raten Sie dem?
Zu Gott.

Neben wem möchten Sie an der himmlischen Hochzeitstafel sitzen?
Neben Dorothee Sölle, meiner verstorbenen Frau. Dann würde alles nicht so gesittet vor sich gehen, und vor allem würde gesungen. Ja, dann noch neben einigen Ketzern, die die Kirche im Lauf der Jahrhunderte verbrannt hat. Aber so viel Ehre wird mir wohl nicht zu Teil.

Einfach leben – was bedeutet das für Sie?
So leben, dass ich mit meiner Art die Zukunft der Enkelkinder nicht auffresse. Einfach leben heißt, sich von allen Überflüssigkeiten befreien, denn „überflüssige Dinge machen das Leben überflüssig“ (Pasolini).

Was ist Ihnen alles in allem genommen die Hauptsache?
Gott und das Brot der Armen. Mehr Hauptsachen gibt es nicht.

Nachtrag:

Soeben wird bekannt, dass Steffensky den Deutschen Ökumenischen Predigtpreis 2013 erhalten wird. In der Begründung der Jury aus Theologen und Publizisten heißt es, er habe stets seine Verwurzelung in beiden großen Kirchen zum Ausdruck gebracht. So habe er seinen Mönchsnamen Fulbert nicht wieder abgelegt (sein Taufname lautet Edmund). Wie nur wenige habe er die Traditionen des Christentums, die Geschichten der Bibel und die Lieder der Kirchen neu und in einer poetischen Sprache interpretiert, die Menschen im Herzen berühre. „Steffensky gehört zu den prominentesten kirchlichen Publizisten und ist ein gefragter Redner auf großen christlichen Treffen beider Konfessionen.“.- Die Preisverleihung findet am Buß- und Bettag (20. November) in der Bonner Schlosskirche (Universitätskirche) statt. Auch dazu unsere herzliche Gratulation!

Gucksduhier


© imprimatur November 2013
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