Erhard Bertel
Zwischen Reden und Tun liegt das Meer

Dieses italienische Sprichwort kann verstehen helfen, wie es möglich ist, dass ein Problem in der Kirche ständig und von allen als Problem gesehen und angesprochen wird, aber durch keine konkrete Entscheidung eine Lösung erfährt.

Die Nachricht aus Rom heißt: Franziskus drängt auf Erleichterungen für Geschiedene, die wieder geheiratet haben. Er fordert Barmherzigkeit für Geschiedene. Ihnen ist nach neuer staatlicher Heirat der Empfang der Sakramente verwehrt.

Franziskus ruft für Herbst 2014 eine Bischofsynode zum Thema „Familie“ zusammen, bei der dieses Thema wieder einmal besprochen wird.
In einer großen Zahl von Kirchengemeinden in Deutschland, in denen Seelsorger(innen) mit Kontakten zu konkreten Menschen befasst sind, die unter der Zurückweisung der Kirche nach einer Wiederverheiratung leiden, ist die Praxis einer Nichtzulassung zu den Sakramenten nicht mehr existent. Dieser Personenkreis ist in solchen Gemeinden auch in den Gremien integriert. Nur wenn die Kirche in ihrer Personalstruktur die Macht hat, Dienste und Geld zu verweigern, kommt es zu diskriminierenden Entlassungen.

Wenn sich die Bischöfe also jetzt diesem Thema erneut zuwenden wollen, dann käme es zunächst darauf an, dass sie den Geschiedenen, die wieder geheiratet haben und den Kontakt zur Kirche weiter suchen, zunächst einmal für ihre Hartherzigkeit in dieser Frage Abbitte leisten. Nicht die Wiederheirat von Geschiedenen ist ein Skandal, sondern die Art und Weise, wie die leitenden Ämter in der Kirche mit den Betroffenen umgegangen sind.

Und doch ist es lobenswert, dass die Diözese Freiburg nun Signale aussendet und den Seelsorgern einen neuen Umgang mit den betroffenen Katholiken empfiehlt. Endlich hat eine Diözese den Mut, das unsinnige Argument von der gesamtkirchlichen Lösung beiseite und dem Reden das Tun folgen zu lassen.
Für das Seelsorgeamt in Freiburg ist es erstaunlich, wie oft nach dem Papier gefragt wird, das es an die Seelsorger gegeben hat. Wir dokumentieren das Papier weiter unten.

Nicht erstaunlich ist es für mich, dass auch Widerspruch angemeldet wird. In einer Veröffentlichung der Saarbrücker Zeitung stehen der Trierer Bischof Ackermann und der noch nicht Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz Marx aus München nebeneinander und beteuern, dass die Lösung noch gesucht werden muss, in Trier bei einer Synode in den nächsten Jahren, und auf der Ebene der Weltkirche bei einer Bischofssynode aus der Sicht von Marx. Für beide ist das „Meer zwischen Reden und Tun“ noch nicht groß genug.

Wie sehr die Problematik in den Gemeinden im Jahre 1970 bereits aktuell war, haben wir in dem folgenden Text des Marienburger Kreises im Bistum Trier dokumentiert. Der größere Teil der Redaktion von imprimatur war an der Veröffentlichung des Textes damals beteiligt. Es geht uns nicht darum, dass jeder Aspekt dieses Beschlusses der Solidaritätsgruppe die Lösung nach heutiger Sicht darstellt. Deutlich wird aber die Ernsthaftigkeit, mit der sich Priester und Laien in dieser Solidaritätsgruppe vor Jahrzehnten um die Lösung bemüht haben.

Man kann nur den mutigen Seelsorgern raten, den Geschiedenen, die wieder geheiratet haben, ein Willkommen zum Mitleben in den Gemeinden zu signalisieren.
Aber selbst ängstlichere Seelsorger haben die Haltung des Papstes Franziskus unter dem Stichwort der „Barmherzigkeit“ auf ihrer Seite, damit sie Mut zum Handeln spüren, nicht im Reden, sondern im Tun.


Seelsorgeamt Freiburg veröffentlicht Handreichung:

Viele suchen Rat

Am 7.10.2013 hat die Erzdiözese Freiburg den Pfarrern eine Handreichung zukommen lassen, in der eine neue pastorale Vorgehensweise gegenüber Geschiedenen, die wieder geheiratet haben, vorgelegt wird.

Im Kontakt mit Geschiedenen und zivilrechtlich Wiederverheirateten geht es nach Ansicht des Seelsorgeamtes darum, „dass die menschenfreundliche und respektvolle Grundhaltung Jesu erfahrbar wird“. Viele Seelsorgerinnen und Seelsorger seien im Gespräch mit wiederverheiratet Geschiedenen verunsichert: „Einerseits nehmen sie wahr, dass die Betroffenen sich oft ausgegrenzt fühlen und darunter leiden, andererseits wissen sie um die Vorgaben der kirchlichen Lehre und des Kirchenrechts.“ Die Handreichung unterstütze darin, „die verschiedenen Situationen gut zu unterscheiden“– wie dies auch von Papst Franziskus empfohlen wird. So hat der neue Papst davor gewarnt, „ohne Unterscheidung eine Menge von Lehren aufzudrängen“ und hervorgehoben: „Wir müssen also ein neues Gleichgewicht finden, sonst fällt das moralische Gebäude der Kirche wie ein Kartenhaus zusammen.“ Auch Papst Benedikt XVI. hatte betont, es gebe im Umgang mit Geschiedenen keine „einfachen Rezepte“ - es sei „eine große Aufgabe“ für die Kirche, dafür zu sorgen, dass sich wiederverheiratete Geschiedene „geliebt, akzeptiert und nicht ausgeschlossen fühlen.“

„Seelsorgende suchen mit Geschiedenen nach Schritten der Versöhnung“

Wie aus der Handreichung des Freiburger Seelsorgeamtes hervorgeht, sind in der Regel mehrere Gespräche mit den betroffenen Männern und Frauen erforderlich - auch, um auf die in der Kirche gegebenen Mittel und Wege einer rechtlichen Klärung ihrer Situation hinzuweisen. Zum anderen gehe es um die Versöhnung mit der eigenen Lebensgeschichte: „Wenn die eigene Verantwortung und eine mögliche Schuld angenommen werden, wächst die Chance, eine neue Perspektive zu finden und gegebenenfalls in einer neuen Partnerschaft nicht wieder aus den alten Gründen zu scheitern.“ Viele Paare haben nach Überzeugung des Seelsorgeamtes eine hohe Bereitschaft, sich diesen Fragen zu stellen, weil sie nichts mehr wünschen, als dass ihr weiteres Leben und eine mögliche zweite Partnerschaft gelingen: „Seelsorgende suchen mit ihnen nach Schritten der Versöhnung“.

„Gemeinsames Gebet mit Segnung und Übergabe einer Kerze“

Nach einer Reihe von theologisch fundierten Seelsorge-Gesprächen mit wiederverheiratet Geschiedenen sei ein gemeinsames Gebet denkbar, in dem die „Versöhnung mit der Vergangenheit“ verknüpft werde mit „Dank für die Gegenwart Gottes und Fürbitte für die Zukunft“. Als Zeichen könnten „die Segnung und Übergabe einer Kerze“ dienen. Dabei soll auf alle bei Trauungen üblichen Riten bewusst verzichtet werden. Eine zeitgemäße Ehepastoral müsse „mit sehr viel Augenmaß und Klugheit angegangen werden“.

Der neue Papst Franziskus hat inzwischen mehrfach betont, es brauche „mehr Barmherzigkeit“ in der Kirche – auch im Umgang mit Geschiedenen und zivil Wiederverheirateten. Deshalb will er die nächste Weltbischofssynode dem Thema der Familienpastoral widmen – vor allem mit Blick auf die Situation der wiederverheiratet Geschiedenen.
(seso)


Neuwied, im November 1970

Arbeitskreis Ehe und Familie des Marienburger Kreises im Bistum Trier

Vorschläge zum Problemkreis:

Geschiedene in der Kirche und deren Wiederverheiratung

Basierend auf der Arbeit des Kreises „EHE UND FAMILIE“, dem "Familienbericht" (1968) der Bundesregierung und dem Papier der „Essener Arbeitsgruppe Synode“ unterbreiten wir folgende Vorschläge:

Die Unauflöslichkeit der Ehe muss auf dem Hintergrund der ganzen Botschaft Jesu gesehen werden. Gottes Bundestreue soll im Ehebund ein allen sichtbares Zeichen haben. Obwohl gläubige Eheleute um diesen Auftrag Gottes wissen, können sie wie in allen anderen Lebenssituationen auch hierin scheitern. Jesus nun sah sich gerade zu den Gescheiterten gesandt; darum muss sich seine Kirche an seinem Verhalten orientieren.

A. Neuorientierung der Gesamtpastoral

Der rein gesetzlich verstandenen Unauflöslichkeit der Ehe im Sinne des Verbots der Wiederheirat muss die radikale Intention Jesu in allen Lebensbereichen gegenübergestellt werden. In einem langsamen Prozess muss eine veränderte Gesamtpastoral auf die Christen einwirken und eine Veränderung der Glaubenshaltung schaffen; nur rechtliche Änderungen der Praxis sind ungenügend. Erst diese Neu-Orientierung ermöglicht ein neues Verständnis und Verhalten den Geschiedenen gegenüber.

B. Intensive Erwachsenenkatechese

Wie der Familienbericht für den zivilen Bereich eine umfassendere Ehevorbereitung fordert, sollte die Kirche für ihren Bereich ein erheblich gründlicheres Bedenken des Glaubens überhaupt als Bedingung für die kirchliche Trauung verlangen. Eheseminare bedürfen der Ergänzung durch Glaubensseminare.

C. Pastorale Beratung Geschiedener

An der Ehe Scheiternde sind meist niedergeschlagen und enttäuscht. Vor allem die Frau ist stärker belastet als der Mann. Diese Menschen brauchen jedwede Unterstützung. Die Ursachen des Scheiterns sollten geklärt und den in der Krise Befindlichen durch umfassende Beratung Hilfe gegeben werden. (Team: Eheberater, Jurist, Arzt, Seelsorger).

D. Eingliederung Geschiedener in die Gemeinde

Christliche Gemeinde hat sich am Verhalten Jesu zu orientieren. Geschiedene dürfen nicht länger ausgeschlossen und verstoßen bleiben. Die Gemeinde hat sie allseitig zu unterstützen und zu integrieren. Die Zulassung zu den Sakramenten (Eucharistie) darf ihnen fernerhin nicht verweigert werden. Die Seelsorger könnten anhand neuerarbeiteter Richtlinien wirksamer helfen.

E. Mitwirkung der Kirche beim Abschluss der Zweitehe

Auf Bitten Geschiedener nach einer zweiten kirchlichen Eheschließung müsste ihnen die Auflage gemacht werden, sich einer Eheberatung zu stellen. Es sollten die alten Fehler vermieden und der kirchlichen Instanz ein verantwortbares Urteil ermöglicht werden.

Jeder Einzelfall wäre sorgfältig zu prüfen auf Ernsthaftigkeit des Ehewillens und auf die Glaubensüberzeugung. Die Geschichte der ersten Ehe macht vielleicht die Eheunreife (Frühehe) deutlich. Das Urteil ist primär nach seelsorglichen, nicht juristischen Aspekten zu fällen.


© imprimatur Dezember 2013
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