In der Religionswissenchaft hat es sich eingebürgert, von „Stifterreligionen“ zu sprechen. Diese seien auf das Wirken einzelner Personen zurückzuführen bzw. von ihnen selbst begründet worden; innerhalb dieser Religionen gelten diese Stifter dann als Offenbarungsträger oder, in fernöstlichen Religionen, als Weise. Andere Religionen von der prähistorischen Zeit bis heute seien dagegen aus ethnischen, „nationalen“, jedenfalls kulturellen und gesellschaftlichen Wurzeln heraus gewachsen und etabliert worden.
Nun gilt Letzteres auch für die sogn. Stifterreligionen. Was an Konzepten und Aussagen auf die Stifter zurückgeführt wird, ist in den Traditionen vorgegeben, denen sie zugehören und die sie variieren, indem sie Schwerpunkte, die in anderen religiösen Kontexten nicht denkbar sind. Und ebenso gilt, dass es auch in den „gewachsenen“ Religionen gelegentlich Einzelne gab – oft historisch nicht mehr fassbar –, die die Konturen ihrer Religion mitgeprägt oder vertieft haben, gelegentlich als Begründer von spirituellen oder theologischen „Schulen“, ohne aber zum Ausgangspunkt einer neuen Religion zu werden.
Dies aber wird von den sogn. Religionsstiftern angenommen. Hierbei aber gibt
es Schwierigkeiten: Wie historisch-kritische Untersuchungen zeigen, wurden die
meisten von ihnen zwar in den jeweiligen „Stifterreligionen“ als
ihre Begründer genannt, und um ihre Gestalten rankten sich mit der Zeit
eine Reihe von Erzählungen über ihr Leben und ihre Lehre. Aber sie
haben ein Manko: Ihre Existenz ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht nachweisbar,
bisweilen auch widerlegbar, sie liegt im historischen Dunkel.
Dies gilt z.B. für Laotse, den angeblichen Begründer des Daoismus
oder für die gelegentlich als „Stifter“ der jüdischen
Religion genannten Abraham oder Mose, ganz abgesehen davon, dass sie, falls
es sie gegeben hätte, zu ihrer Zeit Polytheisten gewesen wären. Das
gilt in ähnlicher Weise für Gautama Siddharta (Buddha), von dem das
Rad der Lehre im Buddhismus ausging, oder von Zarathustra, dem angeblichen Begründer
des Zoroastrismus; Erzählungen über sie sind erst viele Jahrhunderte
später niedergeschrieben worden und offensichtlich legendarischen Charakters.
Nur zwei- oder dreihundert Jahre nach dem behaupteten Leben Mohammeds wird die
koranische Tradition auf ihn zurückgeführt und sein Leben erzählt.
Aber auch in diesem Fall sind die Quellen historisch nicht aussagekräftig,
so dass seine Gestalt, so es sie gegeben haben sollte, im Dunkel bleibt.
Die entsprechenden Religionen sind aber durchaus – ohne die Annahme von „Stiftern“ – in ihrer Entstehung und Eigenart aus den jeweiligen religiösen und politisch-sozialen Kontexten heraus zu erklären, wenn sie auch als deren spezifische Weiterführungen verstanden werden können. An ihrer Entstehung und frühen Ausbildung haben sicherlich eine Reihe von Einzelnen oder Schulen ihren Anteil, die aber meist nicht mehr namhaft zu machen sind. In diesen Fällen führt der Begriff „Stifterreligion“ in die (historische) Irre, er umreißt lediglich die legendarischen Tradtionen innerhalb dieser Religionen.
In anderen sogn. Stifterreligionen (z.B. Jainismus, Sikhs, Bahai) lassen sich zwar Stifterfiguren benennen, die es tatsächlich gegeben hat. Aber es ist fraglich, inwieweit sie tatsächlich – alleine – für die sich auf ihren Namen stützenden Religionen ursächlich sind und nicht nur schon laufende Prozesse begünstigt, befördert und in Teilen mitgeprägt haben.
So bleiben von den Religionen, an deren Anfängen eine historische Gestalt steht, nur zwei (drei?) übrig: Christentum (Jesus), Manichäismus (Mani) und Mormonen (Joseph Smith). Hierbei kann letztere vernachlässigt werden, weil sie der Sache nach wohl keine eigenständige Religion, sondern mehr eine US-amerikanische Variante des Christentums (Konfession oder Sekte) ist.
Mani (215 bis 277 n. Chr.), an dessen Leben aber vieles im Dunkeln bleibt, war wohl, auch seinen Absichten nach, ein Religionsstifter, obwohl auch für ihn gilt, dass er seine persischen religiösen Traditionen sowie weitere Strömungen in eine spezifische Form gebracht hat.
Wenn auch das Leben und die Verkündigung Jesu viele historische Fragen offen lassen, steht er historisch nachweisbar an den Anfängen des Christentums, das sich gänzlich auf ihn zurückführt. Allerdings zeigt die Exegese, dass er sich selbst („nur“) als Reformer Israels und als Jude verstanden hat sowie die Gründung einer Kirche bzw. einer neuen Religion nicht im Blick hatte. Diese ist erst nach seinem Tod als Folge seines Lebens und seiner Initiativen von seinen Jüngerkreisen geschaffen worden. So kann er zwar als Ursache und Grund des Christentums bezeichnet werden, aber auch nicht, im strengen Sinn, als Religionsstifter.
Nach wissenschaftlichen Kriterien wäre es also richtiger, auf den Begriff „Stifterreligionen“ zu verzichten. Er insinuiert Sachverhalte, die einer historischen Überprüfung nicht standhalten und nur der Umschreibung legendarischer Überlieferungen dienen. Bei dieser religionswissenschaftlichen Kategorie handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Benennung.
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