Johannes Schmitt
Höllenfeuer in der Kleinen Eiszeit
Zu den Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit

Seit über 40 Jahren sind die Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit als Forschungsthema bedeutsam geworden, auch für die Regional- und Religionsgeschichte, und zwar in interdisziplinärer Betrachtung. Auch der südwestdeutschen Region verbundene Historiker/innen wie Eva Labouvie, Rita Voltmer, Wolfgang Behringer, Johannes Dillinger und Franz Irsigler spielen dabei eine nicht unbedeutende Rolle. Opfer dieser europaweiten Verfolgungen, allerdings mit einem deutlichen Schwerpunkt in Süd- und Südwestdeutschland, scheinen mehr als 40.000 Menschen geworden zu sein, davon wohl 80 % Frauen. Im Folgenden sollen die Grundbegriffe dazu zusammengefasst und skizziert werden, vor allem die Ausformung eines „Hexenbildes“, die Ursachen für die Verfolgung, deren Verlauf, wie er sich in „Hexenprozessen“ artikulierte.

Der Hexenglaube, bis in die Gegenwart weltweit immer noch virulent, ist Bestandteil eines religiösen Weltbildes, das sich im Laufe des Mittelalters herausbildete und in dem magisches Denken eine wesentliche Rolle spielte. Magie zielt darauf, „die sichtbare … Welt mit einem Raum außerhalb dieser Welt in Beziehung zu setzen“ (Dillinger, S. 13). Grundlage dafür ist der in der christlichen Religion eigentümliche Glaube an die Existenz von Geistern und Dämonen, auch an die eines personalen Teufels, der, so schon Augustinus im 5. und vollends Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert, einen Pakt mit Menschen schließen kann, so dass diese anderen Menschen mit dessen Hilfe Schaden zufügen. Zwar wurde diese Form der Magie kirchlicherseits unter Strafe gestellt, aber zu einer förmlichen Hexenverfolgung konnte es erst kommen, als um 1400 eine „elaborierte Hexenvorstellung“ (Wolfgang Behringer) entwickelt war: Diese enthielt fünf elementare Punkte, die in fast allen späteren Hexenprozessen mit nur geringen Variationen enthalten waren, zumeist durch Foltern erzwungen. Sie reichte vom Teufelspakt, damit auch mit dem Abfall von Gott, über die Teufelsbuhlschaft, also die geschlechtliche Vermischung mit dem Teufel, über den Hexenflug und den Hexensabbat, das Treffen der Hexen mit dem Teufel und dessen Anbetung, bis zum Schadenszauber, der Zufügung von Schaden, in erster Linie an Menschen und Vieh.

Damit waren die Hexen gewissermaßen als „Sekte“ anderen Häretikern gleichgestellt und wurden wie diese im Laufe des 15. Jahrhunderts durch die kirchliche Inquisition verfolgt und in Kooperation mit weltlichen Behörden hingerichtet, meistens verbrannt. Dieses elaborierte Hexenbild fand nun – und dies scheint ein wichtiges und wesentliches Moment – weite Verbreitung durch kirchliche Vermittlung bis in die bäuerliche Bevölkerung und die unteren Schichten in Städten, zumal nach der Erfindung des Buchdrucks. Verstärkend wirkte in dieser Hinsicht auch der von Heinrich Institoris konzipierte, oft nachgedruckte und übersetzte „Hexenhammer“ von 1487, der aus dezidiert frauenfeindlicher Sicht nun überwiegend Frauen als mögliche Hexen ins Visier nahm. Allerdings konnte Heinrich Institoris die Hexen-Inquisition in Deutschland nicht durchsetzen. Hier wurde währen der Reformation die so genannte „Carolina“, eine von Karl V. 1532 erlassene Prozessordung, grundlegend und angewandt, die auch die Folter einschloss und bei Schadenszauber die Todesstrafe vorsah.

Einzelne Humanisten und Reformatoren haben sich zwar gegen die nun häufiger durchgeführten Hexenprozesse ausgesprochen, aber erst ab 1560 gewannen Hexenprozesse eine neue Aktualität und Qualität. Sie wurden zum noch heute erschreckenden Massenphänomen: Der „Hexenwahn“ mutierte gewissermaßen zur „Hexenhysterie“ oder zur „Hexenpanik“ (Wolfgang Behringer). Stimmen mit kritischem Tenor waren dagegen vereinzelt und blieben meist anonym. Ihren Höhepunkt erreichten die Prozesse Ende der 1580er Jahre und in der Frühphase des 30jährigen Krieges bis 1630. Zentraleuropa war ihr Schwerpunkt, darin genauer Lothringen, das gesamte Linksrheinische, Süddeutschland, Bayern und Franken voran. Allein in Südwestdeutschland, die Saargegend eingeschlossen, gab es 2000 Hinrichtungen.
Die Prozesse fanden immer vor weltlichen Gerichten statt, sowohl vor katholischen als auch protestantischen Herrschaften. Es waren Inquisitionsprozesse, bei denen in der Regel die Folter angewandt und so Geständnisse erzwungen wurden. Die Angeklagten waren oft denunziert oder von anderen Hexen in deren Prozess als Hexe genannt, „besagt“, worden. Nur wenigen gelang es, ihre Unschuld zu beweisen. Viele, auch dies wohl eine Ursache für die Vielzahl der Verfahren, verdienten am Prozess: Denunzianten, Zeugen, Gutachter, Notare, Schreiber, das Gericht: Richter und Schöffen, schließlich der Gerichtsherr, der nach Abzug der Kosten das Vermögen der Verurteilten konfiszierte. Gerichtsherren stabilisierten mit dem Gericht ihre Herrschaftsrechte, aber auch in südwestdeutschen Gemeinden verlangten so genannte Hexenausschüsse, oft zwei bis fünf gewählte Gemeindevertreter, Prozesse, sammelten Indizien und benannten Zeugen.

In dem von der Forschung differenzierten Ursachenbündel besitzt das „Behringer-Paradigma“ eine besonderer Bedeutung: Wolfgang Behringer, Hochschullehrer in Saarbrücken, hat überzeugend die so genannte „Kleine Eiszeit“ mit den Hochzeiten der Verfolgung in Verbindung gebracht. Klimaverschlechterungen führten zu Missernten, insbesondere in Weinbaugebieten. Die Folgen waren kräftige Verteuerungen der Nahrungsmittel, sogar Hungersnöte, verstärkte Seuchen- und Krankheitsanfälligkeit, insgesamt eine kulminierende ökonomische und soziale Krise. All dies, so die überwiegende und allgemeine Zuschreibung war letztlich dem Schadenszauber der Hexen zu verdanken und geschuldet, somit ein „Sündenbock“ gefunden.

Nach dem Dreißigjährigen Krieg liefen die Hexenprozesse gewissermaßen ein Jahrhundert lang aus: Die „Kleine Eiszeit“ mit ihren sozialen Krisen schien beendet, die Gegner der Prozesse setzten sich allmählich durch und die Aufklärung schließlich verbannte den Hexenglauben in das Reich des Aberglaubens.

(Der Text ist zuerst in: saargeschichte(n), Heft 3, 2013, S. 38 f., erschienen.)

Literatur:
Wolfgang Behringer, Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung, München (Verlag C.H.Beck) 2002.
Wolfgang Behringer (Hg.), Hexen und Hexenprozesse, München (dtv Verlag) 1988.
Johannes Dillinger, Hexen und Magie, Frankfurt/New York (Campus Verlag) 2007.


© imprimatur Dezember 2013
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