Rudolf Lill
Postscriptum zum Artikel: "Papst Franziskus: Reform und Dialog", imprimatur 7 (2013)

Papst Franziskus wirkt weiterhin überzeugend. Wie sein Mentor Carlo M. Martini (imprimatur 6, 2012) gibt er offen zu, dass auch die Kirche als solche gesündigt hat; auch darauf beruht sein Wille zur Reform von Kurie und Vatikan, den er ebenso oft ausspricht wie das Barmherzigkeitspostulat im Sinne der eingangs zitierten Rede am 14. November (an dem er wieder auf radikaler Vereinfachung des Protokolls bestanden hatte und ohne die übliche Eskorte in seinem Mittelklasse-Auto zum Quirinal gefahren war), wo zum ersten Mal alle Angestellten mit ihren Kindern am Empfang beteiligt wurden.

Im Rahmen seiner scharfen, vielleicht zu pauschalen Kapitalismus-Kritik (FAZ 30.11., FAS 1.12.2013) bezeichnet Franziskus jede Korruption, besonders die in geistlichen Kreisen, als Sünde. Der Vatikanbank IOR hat er inzwischen damit freilich einen der wenigen realistischen Ansätze seines Vorgängers aufgreifend — eine kompetente Aufsicht von außen auferlegt. Die Kommission der acht Kardinäle arbeitet konsequent weiter, für die Familiensynode des nächsten Jahres wurde eine breite Umfrage angeordnet.

Im Dialog mit Eugenio Scalfari hatte Franziskus gesagt, dass er partiell sowohl von Kommunismus wie von der Befreiungstheologie gelernt habe. Den höfischen Charakter des Vatikans hatte er als „Aussatz des Papsttums" bezeichnet, und als oberste Aufgabe der zentralen Behörden den Dienst an den Menschen und an der Kirche gefordert (La Repubblica 2.10.2013).

Für die vatikanische Perzeption deutscher Personen (z. B. Tebartz-van Elst) und Zustände ist es aber bedenklich, dass Benedikt XVI. Männer seiner Richtung in der Nähe seines Nachfolgers platzieren konnte: die Titularerzbischöfe Müller und Gänswein. Was werden sie oder mittlere Funktionäre (meist „Monsignori"), die mehr von Kardinal Meisner als von Kardinal Lehmann inspiriert sind, dem Papst über Deutschland erzählen? Vielleicht bedarf es daher lauter Reform-Forderungen von der Basis, welche bis in die Casa Santa Marta dringen! Denn von der Lethargie vieler unter Benedikt XVI. in ihre Ämter gekommenen Bischöfe und Prälaten ist wenig zu erwarten.

Einige Zweifel an der Substanz des neuen Kurses erweckte kürzlich auch die Ausstellung angeblicher Petrus-Reliquien bei der Feier zum Abschluss des nicht eben weltbewegend verlaufenen „Jahres des Glaubens", welche im Auftrag Benedikts XVI. der sehr rechts stehende römische Titularerzbischof Rino Fisichella organisiert hatte (FAZ 25.11.2013, s. vorher schon Corriere della Sera 8. November 2013). Man konnte eine Wiederauflage des Papst-Mythos fürchten, der u. a. durch die Bücher von Theodor Klauser (1956) und Engelbert Kirschbaum S.J., (1967) längst widerlegt ist.

Aber diese Zweifel werden ausgeräumt durch das fast gleichzeitige päpstliche Lehrschreiben „Evangelii Gaudium". Schon der Titel bekundet, nach mehr als 30jähriger Periode der Gebote und Verbote, das Neue: „die Enzyklika der Konversion des Papsttums" (Corriere della Sera, 27.11.2013). Das klingt überschwänglich. Doch im Grunde bedeutet dieses Dokument samt der vorausgegangenen Reden und Interviews eine epochale Wende wie die Johannes' XXIII. in den Jahren 1959-1963: zur Barmherzigkeit und zur Offenheit, zur Verkündigung „mit dem Blick des Guten Hirten, der nicht richtet, sondern liebt, zur Option für die Armen..."

Was daraus konkret wird, wissen wir nicht. Es bleibt auch zu bedenken, dass die katholische Kirche, wie Kardinal Martini in seinem letzten Interview gesagt hat, um 200 Jahre zurückgeblieben ist. Aber wer hätte Weihnachten 2012 auf die seitherige Wende zu hoffen gewagt?!


© imprimatur Januar 2014
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