Karl-Heinz Ohlig
Ein Durchbruch?
Der Vatikan veröffentlicht einen Fragebogen zur kirchlichen Lehre über Ehe und Sexualität

Papst Franziskus will die genannten Themen in zwei gesamtkirchlichen Bischofsversammlungen in Rom verhandeln: in einer ersten Etappe soll im Jahr 2014 eine „Außerordentliche Versammlung ... den ,status quaestionis’ erfassen sowie Zeugnisse und Vorschläge der Bischöfe sammeln“, in der zweiten Etappe im Rahmen einer „Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode“ im Jahr 2015 „konkrete Leitlinien für die Pastoral der Einzelperson und der Familie“ suchen – so heißt es in einem vierseitigen Vorspann zum Fragebogen.

Dieser Vorspann hat es in sich. Er nennt den Anlass für diese Aktion: die „breite(n) positive(n) Aufnahme, die in unseren Tagen der Lehre über die göttliche Barmherzigkeit und Zärtlichkeit gegenüber den verwundeten Personen in den geographischen und existenziellen Randgebieten“. Gemeint ist die neue und erfrischende Redeweise des ebenso neuen Papstes, tatsächlich eine Sache, die nicht früher, sondern –so heißt es richtig – „in unseren Tagen“ plötzlich eine Rolle spielt. Von Barmherzigkeit war in Sexualfragen bisher in der Amtskirche nie die Rede.

Beim Lesen hat man allerdings beinahe den Eindruck, als sei den vatikanischen Verfassern die Sache ein wenig peinlich, und so verfallen sie im Vorspann wieder in die üblichen Floskeln, die nichts Gutes erwarten lassen: Der Weltepiskopat muss sich „cum et sub Petro“ den „Herausforderungen“ der neuen Entwicklungen auf diesem Gebiet widmen, „als Ausdruck der Liebe der Hirten gegenüber denjenigen, die ihnen anvertraut sind, und der gesamten Menschheitsfamilie“ (Brauchen die „Schafe“ das noch?).

In einem zweiten Abschnitt wird kurz „das Evangelium über die Familie“ auf der Basis des „in Jesus Christus offenbarten Willens Gottes“ (also wohl des Neuen Testaments) und von einigen Texten des ‚universellen Lehramtes der Kirche’ vorgestellt, „ergänzt durch einige Texte des Päpstlichen Rats für die Familie“.

Hier scheint sich keine Veränderung anzukündigen. Es folgt das Übliche an wahrhaftig hehren Worten über das ‚unauflösliche sakramentale Band’ der Ehe und „die Schönheit der Liebe, der Vaterschaft, der Mutterschaft und (der Teilhabe) am Schöpfungswerk Gottes“. Aber es geht mit der Ehe noch höher hinaus: die Gemeinschaft von Mann und Frau ist grundgelegt in der innertrinitarischen Liebe und wird durch den menschgewordenen Gott bekräftigt, weil er in der Familie in Nazareth aufgewachsen ist, „die familiare Gastfreundschaft seiner ersten Jünger angenommen ... hat“, an der Hochzeit zu Kana teilnahm und die Familie seiner Freunde in Bethanien getröstet hat – dann fragt sich der Leser, abgesehen von der Nicht-Historizität von Kana und Bethanien, was daran so Besonderes ist. Wieso sollte Jesus Einladungen abgelehnt haben? Ein alltäglicher Vorgang.

Aber vor allem habe Jesus „Verstoßung (der Ehefrau) und Ehebruch“ abgelehnt; die entsprechenden neutestamentlichen Stellen werden angegeben, nicht aber die Erzählung im Johannesevangelium 8, 1-21 (Jesus und die Ehebrecherin). Im nächsten Abschnitt wird sogar behauptet: „Der Ehebund zwischen Getauften wurde von Christus dem Herrn zur Würde eines Sakraments erhoben“, obwohl Jesus von Sakramenten nichts wusste und die Ehe erst im Verlauf des Mittelalters in den Sakramentenkanon aufgenommen wurde.

Dieser nächste Abschnitt verhandelt „Die Lehre der Kirche über die Familie“. In bester Vatikanmanier heißt es: „Durch die Jahrhunderte hindurch und vor allem in der neueren Zeit bis in unsere Tage hat die Kirche es nicht fehlen lassen an ihrer beständigen und immer umfassenderen Lehre über die Familie und die sie begründende Ehe“. Sie habe diese Lehre immer mehr „bereichert“, „insbesondere“ durch die Enzyklika Humanae Vitae Pauls VI. Usf.

Dem Leser fällt etwas auf: Die früher gar nicht so hoch im Kurs stehende Ehe – vollkommen war nur die Jungfräulichkeit – wird jetzt in ungeahnte verbale Höhen erhoben. Und es fehlt jegliche Erwähnung des Versagens und der Schuld der Kirche, die sehr vielen Menschen einen halbwegs geglückten Umgang mit ihrer Sexualität, auch in der Ehe, erschwert oder unmöglich gemacht hat. Wie viel Elend hat die kirchliche Pastoral zu verantworten Kindern und Jugendlichen gegenüber, gegenüber Frauen in der Ehe und vor allem Frauen, die ein uneheliches Kind zu Welt gebracht hatten, und auch bis heute gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen oder gegenüber Homosexuellen?

Wo bleibt die Anerkennung des eigenen kirchlichen Versagens, damit die Adressaten ein wenig darauf vertrauen können, dass man es in Zukunft besser machen und nicht nur hehre Worte gebrauchen will? In dem blumigen Vorspann gibt es nur eine Passage, die „normal“ und zutreffend geschrieben ist, in der auf die (heutigen?) Probleme hingewiesen wird:

Es zeichnen sich heute bis vor wenigen Jahren noch nie dagewesene Problematiken ab, von der Verbreitung der faktischen Lebensgemeinschaften, die die Ehe nicht anstreben und zuweilen deren Idee verwerfen, bis hin zu Verbindungen von Personen desselben Geschlechts, denen nicht selten die Adoption von Kindern gewährt wird. Unter den zahlreichen neuen Situationen, die die Aufmerksamkeit und den pastoralen Einsatz der Kirche erfordern, möge es genügen, an folgende zu erinnern: konfessionsverschiedene oder interreligiöse Ehen; Familien mit nur einem Elternteil; Polygamie; arrangierte Ehen mit dem daraus folgenden Problem der Mitgift, der manchmal als Kaufpreis der Braut verstanden wird; das Kastensystem; die Kultur des nicht verpflichtenden Ehebandes und der angenommenen Instabilität dieses Bandes; Formen des der Kirche feindlich gesinnten Feminismus; Phänomene der Migration und Neuformulierung des Begriffs der Familie; relativistischer Pluralismus im Eheverständnis; Einfluss der Medien auf die Volkskultur im Hinblick auf das Verständnis von Ehe und Familienleben; Dauerhaftigkeit und Treue des Ehebundes entwertende Denkströmungen, die einzelnen Gesetzesvorschlägen zugrunde liegen; Verbreitung des Phänomens der Leihmütter; neue Interpretationen der Menschenrechte.

Wer die Geschichte kennt, reibt sich aber erstaunt die Augen: Das meiste, was hier an Problemen aufgezählt wird, gab es zu allen Zeiten in allen Kulturen, auch in den christlichen Gesellschaften. Im Gegensatz zu heute aber wurde es vertuscht und unterdrückt – meist zu Lasten der Frauen –, und wenn etwas öffentlich wurde, gemäß der gängigen Ideologie geahndet. Das soll jetzt besser werden?

Die sich anschließenden Fragen sind an die Bischofskonferenzen gerichtet und sollen von diesen – je nach den Kontexten – in auch für Laien handhabbare Fragen umgewandelt werden. Sie sind aber so formuliert, dass nicht wirklich alternative Meinungen erfragt werden, sondern vielmehr die Akzeptanz der kirchlichen Lehren. Einige Beispiele: Frage 1a) „Wie steht es um die wirkliche Kenntnis der Lehre der Bibel ... und der Katholischen Kirche?“; 2b) „Wird der Begriff des Naturrechts in Bezug auf die Verbindung von Mann und Frau von Seiten der Gläubigen im Allgemeinen akzeptiert?“, 7a) Wie steht es um die wirkliche Kenntnis der Gläubigen in Bezug auf die Lehre von Humanae vitae über die verantwortliche Elternschaft?“ Usw.

Man darf darauf gespannt sein, ob die Bischöfe von dieser Vorgabe abweichen und echte Fragen formulieren, und wem sie diese in welcher Form vorlegen. Allen, irgendwelchen Gremien? Vielleicht werden dann doch Entwicklungen losgetreten, die nach dem Zeugnis des vatikanischen Papiers sicher nicht gewollt sind.

Insgesamt macht das Papier den Eindruck, als habe ihre Verfasser die Initiative des Papstes auf dem falschen Fuß erwischt. Sie können sich nichts anderes denken als die traditionelle kirchliche Lehre, die sie verinnerlicht haben. Sie formulieren, wie immer, „die“ Lehre der Kirche und verstecken diese Immobilität hinter einem Mantel hehrer Überhöhung der Ehe, die theologisch äußerst fraglich ist – und niemandem hilft.


© imprimatur Januar 2014
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