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JAHRGANG |
INFORMATIONSDIENST DER ARBEITSGEMEINSCHAFT VON PRIESTER- UND SOLIDARITÄTSGRUPPEN IN DEUTSCHLAND (AGP) | 2013 / 6 |
Bleibt die Sackgasse auch Einbahnstraße?
Bischof Franziskus in Rom hat einen neuen Stil in die "ewige Stadt" gebracht. Wie es scheint: Alle Welt ist glücklich! Wie zu erwarten, die fundamentalistischen Gefolgsleuten von Lefebvre reagieren verstört, sie leben eben weiterhin in ihrer eigenen Welt - eine von vorgestern. Nun wartet tout le monde auf weitere Überraschungen aus Rom. Es wird gefragt: Wird der Neue auch den römischen Hofstaat ausmisten? Unzählige in der ganzen Welt warten darüber hinaus auf ein wirkliches Wunder: Wird Papst Franziskus auch das doktrinäre Gerümpel aus den vatikanischen Archiven entsorgen und unhaltbare Lehrmeinungen aufgeben?
Mir scheint, dass sich der Bischof von Rom mit der ererbten „Unfehlbarkeit“ und den anderen Erbstücken von 1870 in einer Sackgasse befindet. Gleichzeitig jedoch ist die Sackgasse unglücklicherweise zugleich eine Einbahnstraße! Dogmatische Irrtümer einzugestehen und sie aufzugeben, hat die Kirche noch nicht gelernt. Insofern gibt es kein Herauskommen aus dem dogmatischen Gestrüpp, so lange der Verwegene nicht daran geht, am Ende der Sackgasse eine Bresche zu schlagen, also eine Revolution zu wagen. Noch verwegener wäre der "heilige Vater" - von ihm ist nämlich die Rede -, wenn er das Einbahnstraßenschild einfach demontierte. Das hieße jedoch (außerhalb der Metaphorik): Eine früher vertretene Lehre könne (oder müsse) evtl. später aufgegeben werden. Im Falle des Dogmas von 1870 könnte das modern/modisch ausgedrückt als "Befreiungsschlag" gelten.
Drei Zwischenbemerkungen sind angebracht:
Zurück zum Stichwort „Sackgasse“: Von Freiheit der Konzilsväter konnte 1870 keine Rede sein. So August Bernhard Hasler 1977. (Vgl. ders., Wie der Papst unfehlbar wurde 1981, S. 111)
Neuestens sind an der Freiheit der Väter des vorletzten Konzils weitere Zweifel erlaubt! Am Rande des Heppenheimer Pfingst-Treffens wurde auf eine aufschlussreiche Publikation hingewiesen: „Hubert Wolf, die Nonnen von Sant`Ambrogio". Aus einem geheimen Archiv der römischen Inquisition hat der Münsteraner Kirchenhistoriker mit äußerster Akribie eine Affäre ausgewertet. Sie ist spannend wie ein Krimi zu lesen, ist aber eine peinliche Dokumentation von Erpressung, Intrigen und Aberglauben im Umfeld der Vorgeschichte zweier Dogmen Pius' IX.: Unbefleckte Empfängnis (Mariens) und Unfehlbarkeit. Zugleich erfährt man vom Doppelleben des bis vor Jahrzehnten - in der neuscholastischen Ära - noch hochgeachteten Joseph Kleutgen, eines Pioniers der Unfehlbarkeitsdoktrin (s. auch Imprimatur 2013, 4/5, 217 und Pipeline Jg. 49 Nr 1, 38ff), der als Konzilstheologe eines Bischofs und Mitglieds der dogmatischen Kommission am 1. Vatikanum beteiligt war. (Vgl. Wolf, S. 430)
Zum Thema vgl. jetzt auch in „Christ in der Gegenwart“ Nr. 24/2013: Paul Weß, Unfehlbares Lehramt oder Glaubenssinn des Gottesvolkes? Und Nr. 25/2013: ders., Der Glaubenssinn des Volkes Gottes. Der Aufsatz ist sehr lesenswert. Der Lösungsvorschlag des Autors kann mich allerdings nicht ganz überzeugen.
Carl-Peter Klusmann
Die "vollständige Wahrheit", von
Nr. 1 bis Nr. 245
Am 18. Dezember 1979 entzog der für Tübingen zuständige Bischof
im Sinne der Deutschen Bischofskonferenz unter Berufung auf eine Erklärung
der römischem Glaubenskongregation Hans Küng mit der Begründung,
dieser weiche „von der vollständigen Wahrheit des katholischen Glaubens“
ab, die Befugnis, als Theologe weiterhin zu lehren. Im Jargon der römischen
Glaubenspolizei: "Wenn es an dieser Treue (gemeint ist die Fügsamkeit
der Theologie gegenüber dem dortigen Lehramt) mangelt, wird auch allen
Gläubigen Schaden zugefügt, die in ihrer Pflicht, den durch Gott und
die Kirche erhaltenen Glauben zu bekennen, das heilige Recht haben, das unverfälschte
Wort Gottes zu empfangen, und deshalb erwarten, dass ihnen drohende Irrtümer
wachsam abgewehrt werden."
Eine Anfrage der AGP nach dem Inhalt dieser „vollständigen Lehre“ haben die Bischöfe bis heute nicht beantwortet (s. E. Utsch / C.P. Klusmann, Dem Konzil verpflichtet – verantwortlich in Kirche und Welt, Berlin 2010, S. 140-143).
Auf ihre Weise hat sich die „Priesterbruderschaft Pius X.“ jedoch dieser Mühe unterzogen. Von Nr. 1 bis 245 bietet sie eine Liste der „Glaubenssätze der katholischen Kirche“ (http://pius.info/lehramt/7756-uebersicht-die-glaubenssaetze-der-katholischen-kirche). Ihre Sammlumg vermeintlich ewiger Wahrheiten haben die Autoren entdeckt, indem sie die „de fide“-Bezeichnungen von Ludwig Ott in dessen „Grundriss der Dogmatik“ schlicht zusammenzählten. In der Zeit vor dem Konzil war dieses Handbuch durchaus von begrenztem Nutzen. Die letzte Bearbeitung des Autors erschien 1981. Inzwischen ist das Buch nur noch historisch verwendbar.
Die Lefebvrejünger versichern, das von ihnen entdeckte Wahrheitsverzeichnis sei besonders wertvoll vor allem im päpstlichen „Jahr des Glaubens“. Der inhaltlich unveränderten Neuauflage des "Ott" attestiert 2005 die Priesterschaft Pius X.: Eine durch und durch solide und rechtgläubige Dogmatik. Sie stellt zugleich fest: „Wer auch nur ein einziges Dogma bewusst in Abrede stellt, der stellt die das Dogma tragende Autorität Gottes und damit jedes Dogma, den gesamten Glauben, in Abrede.“ Pius XI. erklärte 1928: "Deshalb müssen alle wahren Anhänger Christi beispielsweise dem Dogma von der Unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter Maria genau denselben Glauben schenken wie dem Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, und sie dürfen die Menschwerdung unseres Herrn nicht anders glauben als das unfehlbare Lehramt des Papstes." (s. Mortalium animos; vgl. Lumen fidei 48).
cp
"Die Aussätzigen von heute"
Diesen treffenden Vergleich brauchte die Süddeutsche Zeitung (M. Dobrinski)
für die Begegnung zwischen Papst Franziskus und den Flüchtlingen auf
Lampedusa. Viele Fromme hätten eher erwartet, dass der Papst aus Lateinamerika
zunächst einer Kultstätte der Volksfrömmigkeit wie Lourdes oder
Fatima seine Aufwartung machen würde. Das biblische Stichwort "Aussätzige"
deutet jedoch an, dass diese programmatische Reise im Juli nicht nur ein beliebiges
Beispiel für Frömmigkeit oder ein Musterbeispiel in Sachen Nächstenliebe
war. Denn der Umgang Jesu mit den Aussätzigen seiner Zeit ist Inbegriff
seiner Offenheit gegenüber jedermann, vor allem den Ausgestoßenen
in der Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund wird erkennbar: Diese Reise von
Papst Franziskus hatte offenbar größeres Gewicht. So wie das letzte
Konzil nicht "bloß" eine pastorale Veranstaltung (wie Ratzinger
1988 es den Lefebvreleuten schmackhaft machen wollte), sondern durchaus von
dogmatischer Relevanz war, ähnlich verhält es sich anscheinend mit
der Reise auf die Insel vor der Küste Afrikas, wo es um das Schicksal von
Menschen, um Fragen nach Leben und Tod geht.
Wenn man dafür außer dem biblischen Vorbild noch einen theologischen Anknüpfungspunkt suchen will, bietet sich vielleicht die Lehre des 2. Vatikanischen Konzils über die Hierarchie der Wahrheiten (Ökumenedekret Nr.11) an. Dort wird nach dem "Zusammenhang mit dem Fundament des christlichen Glaubens" gefragt. Was aber ist das "Fundament des christlichen Glaubens?" Zwei Antworten bieten sich an, beide jedoch aus sehr unterschiedlichem Blickwinkel.
Manche denken hauptsächlich an ein System dogmatischer Sätze. Sie suchen demnach in erster Linie nach einer theoretischen Antwort. Für sie muss als Fundament eine zentrale These herhalten. Falls es jedoch dabei bleibt, gilt für sie das biblische Urteil: "Auch die Dämonen glauben." (Jak 2,19)
Ein gelebter Glaube auf der anderen Seite hat als Grundlage eine konsequente Praxis in der Nachfolge Jesu. So wollte der neue Papst offenbar seine Solidarität mit den Armutsflüchtlingen am Rande Europas verstanden wissen. Insofern geht es hier zweifellos um eine grundlegende Botschaft. Die Bewertung als "Fundament" ist nicht zu weit hergeholt. Zu fragen ist also: Hat Papst Franziskus durch sein exemplarisches, quasi programmatisches (!) Verhalten auch einen Beitrag zu Fragen der Lehre geleistet, vielleicht auch ohne diesen direkt zu beabsichtigen?
Die anschließende Frage drängt sich unvermeidlich auf: Besteht eine Chance, dass durch völlig neue Lebensverhältnisse (als "locus theologicus") auch eine Revision überkommener Lehren herbeigeführt wird, die selbstverständlich ihrerseits einer kritischen Überprüfung bedarf? Danach sieht es jedoch im bisherigen Episkopat von Franziskus nicht aus. Allerdings müssten für eine Überprüfung bisherige positive wie negative Erfahrungen als Maßstäbe ins Spiel kommen, gewissermaßen als eine Kritik zweiter Potenz. Im Kreis von Superfrommen hat sich eine andere Hierarchie kirchlichen Wahrheitsverständnisses stillschweigend breitgemacht. Sie genieren sich nicht, Zitate von sogenannten "Erscheinungen" in einem Atemzug mit biblischen Aussagen zu verwenden.
Umgehend gab es auch Reaktionen auf die Papstreise. Eine menschlichere Flüchtlingspolitik der EU ist längst überfällig. Statt dessen wurden auch andere Stimmen laut. Die FA-So-Z meldete am 14.7.13: Der CSU-Politiker Uhl bezeichnete es als keine Lösung, Anreize für neue Flüchtlingsströme (sic!) zu schaffen. Appelle gehörten zwar zur Rolle des Papstes, aber „wir Politiker müssen die Probleme realitätsbezogen lösen“, sagte Uhl dem Blatt. (kna)
cp
„…wir Politiker müssen die Probleme realitätsbezogen lösen“
„Sehen Sie, meine Herrn, Sie sind beide Priester und arbeiten in der
Kirche und können sich den Luxus leisten, barmherzig und gütig zu
sein. Ich bin Soldat und trage als Staatschef die Verantwortung für das
ganze chilenische Volk. Das Volk ist vom Bazillus des Kommunismus befallen.
Deshalb muß ich den Kommunismus ausrotten. Die gefährlichsten Kommunisten
sind die Mitglieder des MIR. Die müssen gefoltert werden, denn sonst singen
sie nicht. Die Folter ist notwendig, um den Kommunismus mit Stumpf und Stil
auszurotten." So der Katholik Augusto Pinochet Ugarte 1974 gegenüber
zwei Bischöfen. (MIR [Movimiento de Izquierda Revolucionaria] eine Widerstandsgruppe
während des Pinochetregimes) Zitat aus: Kritisches Christentum, Wien 1998.
Brasilien sollte die Fußball-WM im nächsten Jahr zugunsten wichtigerer
Projekte abblasen. Diesen Standpunkt vertrat der austro-brasilianische Bischof
Erwin Kräutler von Xingu.
Neues von der Pfarrer-Initiative Deutschland
Im Rahmen des Berichts über die
AGP-Jahresversammlung 2013 haben wir in der letzten Ausgabe der SOG-Papiere
über die Verbindung einiger Mitgliedsgruppen zur Pfarrerinitiative berichtet
und über unsere Absicht, den Kontakt seitens der AGP über diese Gruppen
wahrzunehmen, um so nicht nur voneinander zu wissen, sondern sich gegebenenfalls
auch zu unterstützen.
Pfarrerinitiativen nun offiziell vernetzt: Auf ihrem letzten
Treffen am 8. Juli in Nürnberg haben sich die Pfarrerinitiativen aus folgenden
Bistümern offiziell als „Pfarrer-Initiative Deutschland“ vernetzt:
Augsburg, München, Passau, Rottenburg und Würzburg. Mit Gruppen aus
Freiburg, Köln und Regensburg muss eine Mitgliedschaft noch geklärt
werden.
Der Name der Initiative wird in einem Untertitel präzisiert bzw. in gewissem Sinne korrigiert: „Zusammenschluss reformorientierter katholischer Priester und Diakone“. Aus dem genannten Personenkreis können auch Einzelne, die nicht zu einer Gruppe gehören, Mitglieder werden. Gruppen, in denen Laien mitarbeiten, können ebenfalls der Initiative beitreten, allerdings „zählen“ nur die Priester und Diakone.
In Nürnberg wurde auch eine 5-köpfige Sprechergruppe gewählt, deren Amtszeit 3 Jahre beträgt. Die AGP sitzt gleichsam mit am Tisch, denn einer der Sprecher ist Klaus Kempter, Vorsitzender der AG Rottenburg, einer AGP-Gruppe.
Im Protokoll des Treffens wird ausdrücklich die Vernetzung mit der AGP als „sehr wichtig“ bezeichnet. Es wird aber unsererseits zumindest vorerst bei der Entscheidung bleiben (s. SOG-Papiere 2013 / 4/5, 15), keine organisatorisch-institutionelle Verbindung einzugehen, sondern die personellen und medialen Kontakte zum intensiveren Miteinander zu nutzen. Dies schließ auch ein, dass man zuweilen gemeinsame Veranstaltungen durchführt. Seitens der Pfarrer-Initiative ist eine Tagung zum Thema „Bischofsernennungen“ für Januar 2014 geplant und eine Kooperation mit der AGP gewünscht.
Ebenfalls beschlossen wurde ein Brief an Kardinal Marx zur Kurienreform und zu den Entscheidungsspielräumen der Bischofskonferenzen. In diesem Zusammenhang wurde auf das Prinzip der Subsidiarität hingewiesen, auf seine innerkirchliche Bedeutung und auf dessen unerlässliche Berücksichtigung auf allen Ebenen der Welt- und Ortskirche.
Subsidiarität als ein wichtiges Thema: Besonders die Initiativen aus München und Augsburg haben sich mit dem Prinzip der Subsidiarität und seinen Konsequenzen für das kirchliche Leben auseinandergesetzt. Dabei wurde von den Münchenern hervorgehoben, dass vieles, was als subsidiär angesehen oder ausgegeben wird, lediglich eine geschickte Steuerung ehrenamtlicher Kräfte ist. Der Pfarrer bleibe der „Letzt-Verantwortliche“, der nach eigenem Ermessen Aufgaben oder Zuständigkeiten delegiert, sich aber doch das letzte Wort vorbehält. Solcher „Einsatz“ von Laien habe nichts mit Subsidiarität zu tun, sondern sei nur eine moderne Form des Klerikalismus. Doch die Priester selbst würden unter Verweis auf das Prinzip der Subsidiarität mit immer mehr Aufgaben betraut und so ausgebeutet, z.B. die Ruhestandspriester, aber natürlich nicht nur sie. Wo es dem Bischof nütze, erfolgten Delegationen, die grundsätzlich aber nichts an den Zuständigkeiten änderten. Anstatt dass der Bischof bzw. seine Verwaltung ihren Pflichten nachkommen, würden diese auf die untere Ebene abgewälzt – alles andere als Subsidiarität. Darum sprechen die Münchener auch von einer „Episkopalisierung der Pfarrerschaft“, von „strukturellem Missbrauch“ und von „Nicht-Erfüllung der Bringschuld des Bischofs und des Ordinariats“.
Die Augsburger unterstreichen die weitgehenden Folgen des Subsidiaritätsprinzips für das Verhältnis zwischen römischer Zentrale und den Ortskirchen, aber auch bis hin in die Gestaltung der Liturgie und für weitere Bereiche der Pastoral, nicht zuletzt angesichts der Herausforderungen durch Großpfarreien bzw. pastorale Räume. Zugleich ergeht die notwendige Aufforderung an die Bistumsleitung, „wirklich alle Voraussetzungen (zu schaffen), die nötig und hilfreich sind, dass die Christinnen und Christen in ihren Ortskirchen ihrer Berufung und ihren Befähigungen entsprechend das Leben der Gemeinde weitgehend selbst gestalten können.“
Ut.
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