Christliche Wohlfahrtsorganisationen erfüllen ihren kirchlichen Auftrag auch dann, wenn sie nicht missionieren: Das betont der Präsident des Deutschen Caritas-Verbandes, Peter Neher – und stellt sich damit indirekt gegen den Papst. Benedikt XVI. hatte in seiner Freiburger Rede zum Abschluss seines Deutschland-Besuchs erklärt, der apostolische Auftrag sei wichtiger als die Ansprüche der Welt. Auch karitative Organisationen müssten sich immer wieder neu dem Anspruch der "Entweltlichung" stellen, um in ihren religiösen Wurzeln nicht zu vertrocknen.
"Es gibt Zeiten, da spricht allein das soziale Engagement und der Einsatz der Menschen für sich, ohne dass ich ausdrücklich von Gott reden muss." Peter Neher
BZ: Herr Neher, zwei Tage lang war der Papst in Freiburg, aber um die Zentrale des Deutschen Caritas-Verbandes hat er einen Bogen gemacht. Zufall oder ein Zeichen von Distanz?
Neher: Ursprünglich war geplant, dass der Papst eine Caritas-Einrichtung in Berlin besucht, die sich der medizinischen Betreuung von Migranten annimmt. Aber aufgrund seines Wunsches, in Erfurt mehr Zeit für die Ökumene zu haben, musste das Programm in Berlin drastisch zusammengestrichen werden, und der Besuch fiel unter den Tisch. Das habe ich natürlich sehr bedauert. Ein Besuch in der Zentrale war nie vorgesehen, aber dafür hatte ich eine kurze persönliche Begegnung mit dem Papst. Da hat er mir auch Grüße an die Mitarbeitenden der Caritas mitgegeben. Ich solle sie weitergeben, weil die Mitarbeitenden, wie der Papst sagte, viel Ermutigung brauchten in ihrer Arbeit. Das war eine sehr schöne Geste.
BZ: Stichwort Ermutigung. Können Sie die auch gebrauchen, nachdem der Papst zur Ent-weltlichung der Kirche aufgerufen hat – verbunden mit dem Hinweis, die Kirche solle weniger auf Organisationen bauen, deren religiöse Wurzeln allzu leicht verdorrten?
Neher: Das möchte ich doch gerne in einem Zusammenhang mit der Predigt am Vormittag sehen. Da hat der Papst den Deutschen Caritasverband ausdrücklich für sein großes Engagement gewürdigt. Das hat viele Caritas-Mitarbeiter und natürlich auch mich selbst sehr gefreut. Ich persönlich habe es außerdem als sehr wertschätzend gegenüber unserer Arbeit empfunden, dass ich als Präsident zur Konzelebration des Gottesdienstes eingeladen war und zur Begegnung im Konzerthaus.
BZ: Aber die Kritik folgte dann doch . . .
Neher: Es ist bekannt, dass der Papst – ich sage es mal vorsichtig – eine gewisse Zurückhaltung gegenüber großen Organisationen und Institutionen hat. Und es stimmt ja: Jede kirchliche Organisation muss sich immer wieder fragen, ob sie ihren biblischen und kirchlichen Wurzeln treu ist und ob sie im Dienst des Menschen steht oder ob sie eine Arbeit nur deshalb erledigt, weil es dafür Geld gibt oder Einfluss. Die kritische Rückfrage halte ich durchaus für legitim.
BZ: Aber der Papst geht noch weiter: Er sagt, wichtig sei ihm die apostolische Sendung, nicht der Anspruch der Welt. Die reine Sozialarbeit reicht demnach nicht, es soll missioniert werden.
Neher: Da müssen wir vielleicht zurückkommen auf das Wort von der "Entweltlichung". Diesen Begriff halte ich in der Tat für schwierig und auch nicht für sonderlich gut geeignet, das zu vermitteln, was dem Papst ja ein Anliegen ist: dass nämlich das Evangelium und die darauf aufbauende Soziallehre der Kirche das Fundament unserer Arbeit ist. Was den Missionscharakter angeht, möchte ich auf seine erste Enzyklika Deus caritas est eingehen. Da sagt er nämlich sehr klar: Der Christ weiß, wann es richtig ist, von Gott zu sprechen und wann er lieber schweigen sollte. Das heißt für mich: Es gibt Zeiten, da sprechen allein das soziale Engagement und der Einsatz der Menschen für sich, ohne dass ich ausdrücklich von Gott reden muss. Es gibt aber auch Situationen, in denen die Menschen geradezu einen Anspruch darauf haben, zu wissen, was ihnen Kraft und Hoffnung geben kann. Ich glaube, jede soziale Arbeit ist immer auch ein Verweis auf einen menschenfreundlichen Gott, und genau das ist der kirchliche Auftrag der Caritas. Diesen Auftrag sehe ich vom Papst nicht in Frage gestellt.
BZ: Ganz praktisch gefragt: Könnte Ihnen die theologische Auffassung des Papstes als Arbeitgeber Schwierigkeiten bereiten, wenn etwa kirchliche Vorstellungen mit dem Arbeitsrecht kollidieren?
Neher: Nun, zum einen ist es wichtig, die Mitarbeitenden nicht nur fachlich zu schulen und zu begleiten, sondern ihnen auch ein geistliches Angebot zu machen, damit sie ihre eigene Arbeit vor dem Hintergrund eines christlichen Glaubens reflektieren können und auch sprachfähig sind anderen gegenüber. Zugleich gilt aber: Christlicher Glaube darf nie auferlegt werden. Christlicher Glaube ist immer in Freiheit zu leben. Das trifft auch auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas zu. Was das Arbeitsrecht angeht, gerade das Thema Geschiedene/Wiederverheiratete, sage ich ganz offen: Ich hoffe und erwarte, dass sich an dieser Stelle in unserer Kirche etwas bewegt. Menschen müssen die Chance eines neuen Anfangs bekommen.
Aus „Badische Zeitung“ vom 1.10.2011
(Vergleichen Sie dazu den Beitrag aus Nr. 6/2011, Seite 263!)
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