Norbert Lüdecke
Kanonistische Fallskizze zur Exegetenkontrolle
(Fortsetzung aus Nr. 8/2011)

Spätfolgen?

2001 gewann die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn Rudolf Hoppe für ihre Professur für Exegese des Neuen Testaments. Sie schloss damit nicht nur eine wissenschaftliche Lücke. Sie hatte nun, seit der Liturgiewissenschaftler Otto Nussbaum (+ 1999) 1988 aus dem aktiven Dienst geschieden war, auch wieder einen Kölner Diözesanpriester in ihren Reihen. Seither war es dem Kölner Erzbischof möglich, dem Preußischen Konkordat von 1929 zu entsprechen und einen der nichtresidierenden Domkapitulare aus der Katholisch-Theologischen Fakultät zu ernennen. Der Betreffende wirkt an der Kandidatenliste mit, die das Kölner Domkapitel bei Vakanz des Bischöflichen Stuhls an den Heiligen Stuhl einzureichen hat. Und er nimmt an der Wahl des neuen Erzbischofs durch das Domkapitel aus dem vom Heiligen Stuhl vorzulegenden Dreiervorschlag teil. Durch die im 19. Jahrhundert geschaffene Rechtsfigur des nichtresidierenden Domkapitulars sollte zum einen der Diözesanklerus an der Leitung und Verwaltung der Diözese, nicht zuletzt an der Bischofswahl beteiligt werden. Zu den in Frage kommenden Inhabern besonderer Ämter gehörten die Geistlichen im Theologieprofessorenamt an der im Bistum gelegenen Fakultät. Zum anderen sollte durch die Berufung zum nichtresidierenden Domkapitular „die Verbindung zwischen Kapitel und Fakultät hergestellt und gewahrt werden und dadurch die Theologie in Person und Sache für Leitung und Verwaltung der Diözese nutzbar gemacht werden“. Geeignet sind nur solche Kölner Diözesanpriester, „die sich durch Rechtgläubigkeit und einen unbescholtenen Lebenswandel auszeichnen und ihren Dienst in lobenswerter Weise ausgeübt haben“. Die mit einem Theologieprofessor zu besetzende Stelle eines nichtresidierenden Domkapitulars lässt Kardinal Meisner seit 1999 vakant. Bis 2005 war Rudolf Hoppe der einzige Kölner Diözesanpriester der Fakultät. Eine Begründung für die Abweichung von der konkordatären Vorgabe ist nicht bekannt, ebenso wenig, ob diese von Seiten des Landes Nordrhein-Westfalen wahrgenommen und wie sie beurteilt wird. Jedenfalls könnte, wer unter besonderer, offiziell nicht aufgehobener Beobachtung steht, dem Diözesanbischof für dieses Amt als ungeeignet erscheinen.

Die Lektion

Was vordergründig nach einem kleineren und für den Beanstandeten glimpflich ausgegangenen Denunziationsfall oder einer gelehrtenbiographischen Episode aussieht, kann in kanonistischer Analyse Tiefenstrukturen der römisch-katholischen Kirche durchsichtig machen.

Spätestens seit dem Dogma über die Aufnahme Mariens in den Himmel mit Leib und Seele vom 1. November 1950 ist der „Vorrang des kirchlichen Glaubensbewusstseins vor der historischen Erforschung von Schrift und Tradition“ offenkundig, d. h. „daß der Glaube der Kirche nicht auf dem Schriftprinzip, sondern auf dem durch das kirchliche Lehramt, in letzter Linie durch den Papst, geleiteten Glaubenssinn der Kirche“ beruht. Diesem „Sola Ecclesia“ als „formierende[m] Prinzip des katholischen Glaubens“ musste auch das II. Vatikanum Rechnung tragen. Keine katholische Verhältnisbestimmung von Offenbarung, Schrift, Tradition und Lehramt kann eine Berufung auf die Schrift am Lehramt vorbei ermöglichen. Dass „die lehrende Kirche ... nächste Glaubensregel“ bleibt, wird im allgemeinen Bezug dieser Größen aufeinander in DV 10 vorausgesetzt, in der theologischen Redeweise von der Kirche als Subjekt des Offenbarungsempfangs wie der Tradition mit dem hierarchischen Lehramt als ihrem Organ und hermeneutischen Raum der Exegese kunstvoll expliziert.

Ein katholischer Exeget, der diesen Namen im amtlichen Sinn verdienen will, beginnt hermeneutisch beim Lehramt und interpretiert die Heilige Schrift so, dass das Lehramt sich darin wieder erkennen kann, damit sein Weg wie alle Wege in Rom endet. Andernfalls muss er damit rechnen, dass die kirchliche Autorität „das Grundrecht des Christen“, nämlich „das Recht auf den ganzen Glauben“ gegen ihn schützt. Wenn dabei, was nach Willkür aussieht und sich anfühlt, (kirchen)rechtlich gedeckt ist, mag dies von außen betrachtet befremden. Für katholische Gläubige belegt es nur „die allen bloßen Menschenwitz übersteigende, nur im Glauben zu meisternde Existenzspannung, in die der Christ in seinem Gehorsam zur Kirche gerufen ist.“


© imprimatur März 2012
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