Karl-Heinz Ohlig
An welchen Gott glauben wir Christen? (II)
Der eine Jahwe und „Vater Jesu“ und der trinitarische Gott [1]

In der letzten Folge (imprimatur 45, Heft 4/5, 173-177) wurde dargelegt, dass die christlichen Gottesvorstellungen unklar sind. Historisch ist das Christentum auf der Basis des Judentums entstanden, das damals Jahwe als den einzigen Gott verehrte. Diesen Glauben teilte auch Jesus, der nichts von einer Trinität oder auch seinem eigenen Gottsein wusste. So auch die frühen Schriften des Neuen Testaments, z.B. die synoptischen Evangelien. Erst in Spätschriften des Neuen Testaments findet sich der Glaube an Jesus als menschgewordenen Gott. Wie aber kam es zur Ausbildung einer Trinitätslehre?

Wie schon ausgeführt, entstand und verbreitete sich das Abweichen von einem unitarischen Monotheismus – Hand in Hand mit der Vorstellung von einem Gottsein Jesu – in den Gebieten, die trotz aller regionalen kulturellen Besonderheiten sehr stark von hellenistischem Denken geprägt waren. Diese waren vor allem konzentriert in den östlichen Teilen des Römischen Reichs (Griechenland, Kleinasien, Ägypten), wo sowohl die Zwei-Naturen-Christologie wie auch triadische Vorstellungen ausgebildet wurden. Mit der Zeit wurden diese Konzepte, oder wenigstens die entsprechenden Formeln, dann auch in den westlichen Gebieten des Römischen Reichs, im „lateinischen Westen“, übernommen.

Diese Modifikation des ursprünglichen christlichen Monotheismus entfaltete sich anhand zweier Problemfelder: Zum einen aus der Reflexion der Frage der Welterschaffung durch Gott und des Handelns Gottes in der Geschichte, zum anderen an der Christologie. Warum?

Zum ersten: Das Christentum hat die jüdischen Schöpfungsvorstellungen beerbt: Gott hat die Welt und den Menschen erschaffen. Diese These macht solange keine Schwierigkeiten, wie Gott – wie im Judentum – nicht nur als absolute Macht, sondern auch quasi geschichtlich vorgestellt wurde, die handeln kann wie eine menschliche Person: Er beschließt, die Welt zu erschaffen und setzt es in die Tat um, etwa wie ein Handwerker oder Bauer im zweiten Schöpfungsbericht des Buchs Genesis oder durch sein Wort im ersten Schöpfungsbericht.

Eine solche Gottes- und Schöpfungsvorstellung aber war im griechischen Denken problematisch. Ihm zufolge ist Gott nicht wie eine handelnde Person vorgestellt, die der Welt gegenübersteht, sondern er ist deren inneres Prinzip: Die Pluralität der Welt wurde auf eine Ursache, ein Prinzip, zurückgeführt, aus dem alles entstanden ist und das dann auch die innerste Wirklichkeit aller Phänomene dieser Welt ist. So ist die Welt selbst göttlich, zugleich aber ist ihr Entstehungsgrund, Gott, auch nicht völlig mit ihr identisch, weil er der eine Grund ist. So ist er einfach und eins jenseits der Vielfalt der Welt. Dieser Gott kann nicht handeln, weil er sich dadurch verändern müsste und selbst ein Aspekt der Pluralität würde.

Wie aber konnten sich griechisch denkende Menschen dann den biblischen Schöpfungsglauben aneignen: Gott handelt bei der Schöpfung und in der (Heils-)geschichte, darf dabei aber keinerlei Veränderung, kein Vorher und Nachher kennen?

Dieses Problem spielte schon im Frühjudentum (das Judentum seit dem 2. Jahrhundert v.Chr.), also zeitlich vor dem Christentum, eine Rolle, als es in der jüdischen Diaspora, z.B. in Ägypten, immer mehr Juden gab, die mehr und mehr auch vom Hellenismus geprägt waren; sie dachten jüdisch und „griechisch“. Sie wollten ihren jüdischen Glauben festhalten, zugleich aber hatten sie das hellenistische Gottesverständnis verinnerlicht. Wenn sie an dem Handeln Gottes bei der Schöpfung und in der Geschichte festhielten, wurde dann nicht der einfache und eine Gott, das Weltprinzip, in seinem Gottsein gemindert?

Im Frühjudentum fand man drei Lösungsmodelle für das Problem, die dann später im Christentum übernommen wurden. Gemeinsam ist diesen Modellen, dass Gott selbst gänzlich unberührt bleibt von Schöpfung und Heilshandeln: Diese Aufgaben übernimmt eine zweite göttliche Größe minderer Art. Diese erschafft die Welt und handelt in der Geschichte; gelegentlich wird dieses Handeln auch auf zwei mindere Größen aufgeteilt, wobei die eine für die Welterschaffung, die andere für das Heilshandeln Gottes zuständig ist.

Ein Lösungsmodell basiert auf der damaligen Engellehre, der zufolge Gott von einem Hofstaat von Engeln umgeben war. Unter diesen schälten sich zwei Engel heraus, gelegentlich mit den Namen Michael und Gabriel bezeichnet, die Gott die Aufgabe zu handeln abnahmen. Sie sitzen zu seiner Rechten und Linken und sind seine „Hände“, so dass er selbst nicht aktiv werden muss und einfach und unveränderlich bleibt.

Diese Lösung wurde vor allem in der sogn. zwischentestamentlichen Literatur vertreten in meist apokalyptischen Schriften,
aber auch z.B. von dem jüdischen Philosophen und Theologen Philon von Alexandrien (gest. 45-50 n.Chr.), einem Zeitgenossen Jesu. Er deutet die Erscheinung der drei Männer vor Abraham in Mamre (Genesis 18) so: der Mann in der Mitte ist der Seiende, also Gott selbst, „auf beiden Seiten aber sind die höchsten und nächsten Kräfte des Seienden, die schöpferische und die regierende (Kraft)“[2].

Ein zweites Lösungsmodell bot die alttestamentliche Weisheitstradition. Seit der Mitte des 3. Jahrhunderts v.Chr. wurde mit zunehmender Hellenisierung die Weisheit mehr und mehr zu einer göttlichen Größe hypostasiert. Zwar bleibt sie herkünftig von Gott, gewinnt aber eine gewisse göttliche Selbstständigkeit und wird zum Mittler der Schöpfung und des Geschichtshandelns. In den jüngeren Weisheitsbüchern (Jesus Sirach und Weisheitsbuch) wird sie immanentes Prinzip des Kosmos und wirkt in der Heilsgeschichte; Gott selbst bleibt dadurch der eine und selbige Gott, der keiner Veränderung unterworfen ist.

Ein drittes Modell wurde vor allem von dem schon genannten Philon von Alexandrien vertreten. Er übernimmt die in der griechischen Philosophie schon lange, seit Heraklit, verbreitete Logosvorstellung, die in der damaligen zeitgenössischen philosophischen Richtung der Stoa Gott als Weltprinzip bezeichnet, und stellt sich neben Gott eine zweite mindere Größe vor, den Logos („das Wort“), der aus Gott hervorgegangen ist und für ihn die Funktion der Weltschöpfung übernimmt, indem er innerstes Prinzip der Schöpfung wird. Dass dies keine Besonderheit Philons war, sondern eine weiter verbreitete Vorstellung, mag der Johannesprolog (Johannesevangelium, Kapitel 1) zeigen – ein ursprünglich jüdisch-hellenistischer Hymnus über Gott und seinen Logos, der dann an den Anfang des vierten Evangeliums gesetzt wurde: „Im Anfang war das Wort (Logos), und das Wort war bei Gott, und göttlich war der Logos ... alles ist durch ihn geworden ...“.

Die frühjüdische binitarische oder – in der Engellehre – triadische Veränderung des unitarischen Gottdenkens konnte sich im Judentum nicht weiter entfalten, weil dieses kurz nach der Zeit Jesu weithin nur noch in der Diaspora lebte, sich dort um die eigene Identität bemühte, indem es sich auf die eigene alte Tradition zurückzog und deswegen griechische Neuerungen ausschließen musste. Aber das Problem stellte sich in noch schärferer Form für das aus dem palästinischen Judentum entstandene Christentum, das schon kurz nach seiner Entstehung, sowohl in Palästina wie auch vor allem bei seiner expansiven Mission rund um das Mttelmeer, mit dem Hellenismus konfrontiert wurde. Mehr noch: Bald bildeten nicht mehr die Judenchristen die Mehrheit in den christlichen Gemeinden, sondern aus der hellenistischen Welt kommende (ehemalige) „Heiden“. Auch diese mussten sich mit der Schwierigkeit befassen, wie Gott, ohne seine („griechisch“ geforderte) Unveränderlichkeit zu verlieren, dennoch die Welt (nach jüdisch-christlichem Glauben) erschaffen hatte und in der Heilsgeschichte handelt. Dieser Frage mussten sie sich stellen, wobei sie zuerst auf die aus dem Frühjudentum überlieferten Modelle zurückgriffen. Diese haben sie dann weiterentwickelt, so dass zunächst eine Binitätslehre (Gott und sein Logos), am Ende dann eine ausgebildete Trinitätslehre (Gott, Logos und Hl. Geist) daraus wurde. Da die meisten Christen bald keine ehemaligen Juden mehr waren, sondern aus dem polytheistischen Heidentum kamen, hatten sie sogar noch weniger Hemmungen, die Zahl zwei oder drei mit Gott zu verbinden.

Eine der Ursachen dafür, den christlichen Monotheismus zu modifizieren, ist also darin zu sehen, dass nur auf diese Weise der jüdisch-christliche mit dem hellenistischen Gottesglauben zu vereinbaren war. Die Trinitätslehre erscheint also als der Versuch von hellenistischen Christen, am Monotheismus festhalten zu können und zugleich Gott, wie sie ihn dachten, in seiner Größe nicht zu tangieren.

Das zweite Motiv zur Ausbildung der Vorstellung, dass Gott nicht undifferenziert einer ist, kommt aus der Christologie. Zwar gab es schon seit Beginn des Christentums eine durchaus zureichende Christologie: Die zu Christen gewordenen Juden bekannten, dass Jesus der vom Alten Testament verheißene Messias ist, der die Zeitenwende herbeiführt, der Menschensohn, der am Ende der Tage Gericht halten wird, usf.

Aber „zureichend“ waren diese Christusbekenntnisse nur für jüdisch denkende Christen. Aber was sollten „griechische“ Christen damit anfangen? Der Begriff Messias (griechisch: Christus) bedeutete ihnen nichts, und er wurde zu einem zweiten Eigennamen Jesu. Was Menschensohn im Judentum bedeutete, war ihnen unbekannt, so dass schon Paulus, der „Heiden“ missionierte, das Wort nicht verwendet, ebenso wenig wie den für die Predigt Jesu zentralen Begriff der Königsherrschaft Gottes. Vor allem aber war es für sie nicht zureichend, die erlösende Rolle Jesu nur in seinen geschichtlichen Funktionen, in der von ihm herbeigeführten Geschichtswende zu sehen.

Für hellenistische Menschen war nur von Bedeutung, was „seinshaft“ war und eine Funktion für das Sein des Menschen hatte. Jesus war für sie nur als heilsbedeutsam zu rezipieren, wenn er ihr Menschsein, das in vielerlei Weise beschädigt war, zum vollkommenen Sein führen konnte. Sie fühlten sich als endliche, sterbliche Wesen, voller Unwissenheit und von leiblichen Leidenschaften getrieben. Sie sehnten sich nach einem Weg zur Unendlichkeit, zur Unsterblichkeit, zu vollkommenem Wissen und zur Freiheit von den Fesseln des Leibes. Das aber konnte Jesus für sie nur sein, wenn er selbst aus der göttlichen Welt herabgestiegen war und uns den Weg zum Göttlichen erschließen konnte. Er musste Gott und Mensch zugleich sein, um uns, wie die antiken Theologen immer wieder schrieben, zu „vergöttlichen“: Gott wurde Mensch, um uns zu Gott zu machen – das antike Tauschprinzip. So war die später definierte Zwei-Naturen-Christologie die notwendige Voraussetzung, um Jesus als den eigenen und nicht überbietbaren Heilsbringer verstehen zu können.

Diese Gott-Mensch-Christologie verband sich dann mit der binitarischen Gottesvorstellung und verstärkte sie. Schon im Johannesprolog und dann im Anschluss an ihn wurde Jesus der menschgewordene göttliche Logos, der schon „im Anfang“ die Erschaffung der Welt und auch das spätere Heilshandeln Gotttes in der Geschichte bewirkt hat.

Aus diesem doppelten Ansatz ergaben sich zwangsläufig die späteren binitarischen und dann trinitarischen Vorstellungen. Sie waren zu ihrer Zeit die Bedingungen, um das Christentum annehmen zu können, ohne die griechischen Raster, also das eigene Denken und die eigenen Hoffnungen, aufgeben zu müssen.

(wird fortgesetzt)


© imprimatur Dezember 2012
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[1]Vgl. zu Folgendem vom Verf., Ein Gott in drei Personen? Vom Vater Jesu zum <<Mysterium>> der Trinität, Mainz, Luzern 1999, 22000.
[2]Philon von Alexandrien, „Über Abraham“ 121; deutsch nach: Philo von Alexandrien, Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. I, hg. von L. Cohn u.a., Berlin 2. Aufl. 1952, 121.122.