45.
JAHRGANG |
INFORMATIONSDIENST DER ARBEITSGEMEINSCHAFT VON PRIESTER- UND SOLIDARITÄTSGRUPPEN IN DEUTSCHLAND (AGP) | 2012 / 3 |
Aufgeschreckt oder aufgewacht?
Der Papst und der „Aufruf zum Ungehorsam“
Es ist sicher nicht selbstverständlich,
dass sich der Papst in einer Predigt bei einem für ihn wichtigen An-lass,
die Chrisammesse am Gründonnerstag, mit einer „Unbotmäßigkeit“
österreichischer Priester beschäftigt. Natürlich haben manche
schon zu Recht nach den Motiven des Papstes gefragt. Ging es ihm um eine sachliche
Auseinandersetzung? Dann wäre nicht nur die Form einer Predigt „deplatziert“.
Außerdem: Die von den österreichischen Priestern angesprochenen Probleme
sind nicht neu; die eingeschlagenen pastoralen Wege werden seit langem von vielen
Priestern gegangen (vgl. SOG-Papiere 2012/2). Es
besteht schon seit 40 Jahren Notwendigkeit und Pflicht zu einer päpstlichen
Kenntnisnahme der Stimmen von „Reformpriestern“! Es scheint doch
eher das Stichwort „Ungehorsam“ zu sein, das aufschreckt, denn es
stellt die Macht- und Systemfrage. Diese sind den Römern immer schon wichtiger
gewesen als Orthodoxie und vor allem Orthopraxie. Das pyramidale Haus wackelt,
da muss der päpstliche Baumeister natürlich die hierarchische Statik
festigen – mit frommen, verwirrenden Worten. Verwirrend, weil so getan
wird, als könne man den Gehorsam Gott gegenüber an der Folgsamkeit,
der „Hörigkeit“ dem Lehramt gegenüber ablesen.
So verwundert es schon ein wenig, dass die ersten Reaktionen der Angesprochenen
verhältnismäßig positiv ausfielen, fühlten sie sich doch
mit ihren Forderungen zumindest wahrgenommen. In der Sendung „Zeit im
Bild“ (ZIB 2 im ORF) betonte denn auch der Obmann der „Pfarrer-Initiative“
Helmut Schüller noch am Abend des Gründonnerstags - bei aller Kritik
an einzelnen Aussagen des Papstes -, dass „keine Rede von Sanktionen oder
einem Verbot“ gewesen sei.
Selbst Kardinal Schönborn lenkte die päpstlichen Worte nicht einfach auf die Mühlen der österreichischen Bischöfe. Er sprach allgemein von einer „Ermutigung für die Kirche in Österreich“, fügte allerdings hinzu, der Papst habe der Pfarrer-Initiative „ein paar sehr ernste Fragen gestellt“, was auch Schüller nicht abstreiten wollte. Doch ist zu fragen, ob die Fragen sich nicht auch an den Prediger selbst und an die österreichischen Bischöfe richten.
Auch der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner, der in den Auseinandersetzungen eher eine vermittelnde Rolle spielt, verwies darauf, dass die Aussagen des Papstes „im Modus des Fragens“ formuliert seien. Auch den Papst bewege die Frage der kirchlichen Reform, allerdings verbunden mit der Frage, wie dies im Einklang mit dem Evangelium gelingen könne. Nun ist aber genau das das Anliegen zumindest der ernsthaften Reformkräfte nicht nur in Österreich.
Schließlich äußerte sich auch der Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, P. Bernd Hagen-kord, in der hier dargestellten Interpretationsrichtung: Es greife zu kurz, die Papstworte einfach als Kritik an den Fragen der Pfarrer-Initiative zu werten. Vielmehr warne Benedikt XVI. vor „einfachen Lösungen“ und lenke den Blick auf die bestehende „Dynamik und Bewegung in der Kirche heute“.
Erklingt also in der Gründonnerstag-Predigt ein neuer Zungenschlag oder geschieht in ihr sogar eine Öffnung – so gering sie auch sein mag? Die Ausführungen des Papstes zum „Aufruf zum Ungehorsam“ stehen im Kontext einer grundsätzlichen Frage: “Wie muss diese Gleichgestaltung mit Christus, der nicht herrscht, sondern dient; der nicht nimmt, sondern gibt – wie muss sie in der oft dramatischen Situation der Kirche von heute aussehen?“ Und wenige Zeilen später fragt Benedikt: „Ist Ungehorsam ein Weg, um die Kirche zu erneuern?“ Auch in der weiteren Predigt wird immer wieder auf den Gehorsam Christi seinem Vater gegenüber verwiesen, auf den „Gehorsam zum wirklichen Willen Gottes“, auf den „wahren Gehorsam“. Doch genau um diesen Gehorsam geht es doch den österreichischen Priestern und allen, die sich um eine Reform der Kirche im Geist des 2. Vaticanum bemühen. Es hat doch niemand zum Ungehorsam Gott gegenüber aufgerufen! Der Papst selbst fragt doch - nach seinen Worten, um „es uns nicht zu leicht zu machen“ - ausdrücklich: „Hat nicht Christus die menschlichen Traditionen korrigiert, die das Wort und den Willen Gottes zu überwuchern drohten?“ Genau in dieser jesuanischen Tradition erheben doch die verantwortungsvollen Reformer ihre Stimme und auch die österreichischen Priester ihre Forderungen.
In Anlehnung an die Worte Benedikts: „Wir wollen den Autoren des Aufrufs glauben, dass sie die Sorge um die Kirche umtreibt“, könnte man formulieren: Wir wollen dem Papst glauben, dass er seine Fragen ernst meint, ernst nimmt und darum weiß, dass es keine rhetorischen, sondern offene Fragen sind. Wie aber kann er dann z.B. auf angeblich endgültige Entscheidungen verweisen „zum Beispiel in der Frage der Frauenordination, zu der der selige Papst Johannes Paul II. in unwiderruflicher Weise erklärt hat, dass die Kirche dazu keine Vollmacht vom Herrn hat.“? Der Theologe Ratzinger müsste wissen, dass er hier mit einer Schein-Endgültigkeit argumentiert und mit der theologischen Kategorie der „Unwiderruflichkeit“ den Anschein der Unfehlbarkeit erweckt und die entsprechenden (Glaubens-Gehorsam-) Konsequenzen einfordert. Benedikt weiß natürlich um den grundsätzli-chen Unterschied zwischen dem Gehorsam Gott und dem jeder Autorität gegenüber. Aber in der konkreten Anwendung auf die binnenkirchliche Diskussion sieht er im kirchlichen Lehramt den alleinigen Garanten für die authentische Interpretation des wahren Willens Gottes. Weder das Gewissen des Einzelnen noch der sensus fidelium finden eine angemessene Würdigung und Be-rücksichtigung. Gehorsam Gott gegenüber zeigt sich dem Papst zufolge im Gehorsam der Kirche gegenüber, wobei Kirche mit dem kirchlichen Lehramt bzw. der Hierarchie gleichgesetzt wird. Bei aller Betonung des Gehorsams Gott gegenüber in seiner Predigt scheint „Benedikt also den ihm und dem Lehramt zu leistenden Gehorsam in den Mittelpunkt“ zu stellen, wie es der ehemalige Sprecher der österreichischen Laien-Initiative, Herbert Kohlmaier, formuliert.
Diese Sicht des Papstes relativiert natürlich seine – in seinem Mund – durchaus bemerkenswerten Hinweise auf die „Trägheit der Institutionen“, auf den „Immobilismus, die Erstarrung der Traditionen“ oder darauf, „neue Wege zu öffnen – die Kirche wieder auf die Höhe der Zeit zu bringen“. Auch wenn er die „Dynamik der wahren Erneuerung“ in der Nachkonzilszeit „in lebendigen Bewegungen“ zu erkennen glaubt, wüsste man gerne, an welche „Bewegungen“ er dabei denkt – Reformgruppen wie in Österreich oder in der AGP gehören nach seiner Meinung wohl eher nicht dazu. Eine Frage des Papstes scheint das nahe zu legen: „Spüren wir darin (im Ungehorsam, der Verf.) etwas von der Gleichgestaltung mit Christus, die die Voraussetzung jeder wirklichen Erneuerung ist oder nicht doch nur den verzweifelten Drang, etwas zu machen, die Kirche nach unseren Wünschen und Vorstellungen umzuwandeln?“ Richtet sich diese Frage nur an die „einfachen Priester“, die „Reformer“ oder Laien? Wie aber „reinigen“ (um ein beliebtes Wort des Papstes auf-zugreifen) wir alle die eigenen Wünsche und Vorstellungen? Auf welchen Wegen müsste darüber in der Kirche mit allen nachgedacht und gesprochen werden? Ist der Papst, sind die Bischöfe frei von eigenen Wünschen und Vorstellungen, wenn sie Entscheidungen für die Kirche fällen?
Auf diese Fragen kann natürlich die Predigt des Papstes keine Antworten bieten. Aber sie hätte eine Richtung angeben können – und hat es auch getan: mit einer persönlichen (und als solche zu respektierenden) Christus-Mystik und mit der Empfehlung zu einer in ihren Konturen unbestimmt bleibenden „Gleichgestaltung mit Christus“. Ob das die richtige und eine hilfreiche Zeit- und Rich-tungsangabe ist?
Ut
„Sang- und klanglos“
Gottlose Attacke auf die „Gotteslob“-Lieder
von Huub Oosterhuis
Die Gerüchteküche brodelt – oder sind die sich häufenden
Hinweise darauf, dass die Oosterhuis-Lieder im geplanten neuen „Gotteslob“
nicht mehr aufgenommen werden sollen, mehr als Gerüchte? Manches spricht
dafür. Schon lange steht ja die Rolle rückwärts auf der liturgischen
Agenda Roms. Die Zulassung der tridentinischen Messe war ja nur ein besonders
verräterisches und dreistes Beispiel. Die Verbannung aus dem offiziellen
Gebet- und Gesangbuch würde somit ins Bild passen.
Da in dieser Kirche – in negativem Sinne – alles Unmögliche möglich zu sein scheint, wundert man sich schon über nichts mehr. Ein Buch, das einmal die Grundlage des Gebets und Gesangs aller Gemeinden sein soll, wird wie ein Geheimpapier behandelt und ohne die Beteiligung der Gemeinden erstellt. Nur wenige (meist schweigende) Insider wissen, was auf die Gemeinden zukommt. Selbst die Kirchenmusiker tappen im Dunkeln. Denkbar schlechte Voraussetzungen für eine später sicher mit hehren Appellen beschworene Akzeptanz.
Zum Glück gibt es in diese Ungewissheit hinein warnende Stimmen. So hat die Ikvu auf Anregung der AGP auf ihrer Jahresversammlung im März einen Brief an Oosterhuis geschrieben, ihm ihre Solidarität bekundet und auf die Bedeutung seiner Lieder und Texte verwiesen. In einer im April veröffentlichten Stellungnahme heißt es, dass die „Texte aus Gottesdiensten und der alltäglichen Gemeindearbeit nicht wegzudenken (seien) – und dies in ökumenischer Übereinstimmung... Es ist schwer vorzustellen, dass die Gemeinden in Zukunft auf diese Lieder verzichten werden... Sollte es bei der Indizierung der Oosterhuis-Texte bleiben, kann also bereits zum Einführungstermin des neuen ‚Gotteslob’ die erste Ergänzungssammlung gleich mitverteilt werden.“
Thomas Seiterich hat in Publik-Forum (5-2012) unter der Überschrift „Verschandeltes ,Gotteslob’“ die Gefahr der Zensur beschworen. Auch der Artikel von Christian Modehn (Publik-Forum 7-2012) muss in diesem Kontext gelesen werden. Modehn verweist auf das Urteil von Alex Stock, der Oosterhuis „in die Reihe der großen christlichen Dichter, die auf der sprachlichen Höhe der jeweiligen Zeit immer auch Neues aus Altem geschaffen haben“, stellt und ausdrücklich dessen Texte „von schwachsinnig zusammengereimten Texten“ offiziell geschätzter AutorInnen, wie z.B. Marie Luise Thurmair, abhebt.
In der Tat macht gerade der Vergleich mit anderen Liedern im „Gotteslob“ das Ärgernis einer Nichtberücksichtigung der Oosterhuis-Lieder deutlich. Welch spirituelles Durchatmen ermöglicht z.B. sein Lied „Wer leben will wie Gott auf dieser Erde...“ (Nr. 183), wenn man die davor stehenden Passionslieder mit ihrer Blut- und Wunden-Mystik, mit verquerer Opfer- und Schuld-“theologie“ vernommen hat, denn dem eigenen Mitsingen widersetzen sich Verstand, Herz und nicht zuletzt Geschmack. Aufrichtig kann man Oosterhuis’ Texte als Ausdruck eigenen suchenden Glaubens nachsprechen und –singen und wird nicht zu heuchlerischen Phrasen angehalten, wie z.B. beim Lied „Wunderschön prächtige...“, das sich zumindest in den Essener Bistumsanhang retten konnte (Nr. 876), in dem es heißt: „Gut, Blut und Leben will ich dir geben; alles, was immer ich hab, was ich bin, geb ich mit Freuden, Maria, dir hin.“ Da kann man nur sarkastisch feststellen: Dann bleibt für den lieben Gott leider nichts mehr übrig – und für die Menschen schon gar nichts. Ähnlicher Beispiele wären Myriaden. Und Peter Hahnen, Theologe und Kulturmanager hat wohl ähnliche Lieder im Blick, wenn er den Bielefelder Soziologen Thomas Blank zitiert: „Das permanente Singen von Liedern, die zwingen zu imitieren, was ich nicht bin, macht krank.“ (in: Herder Korrespondenz 4-2012, 184) Angesichts des hier nur angedeuteten Befunds erscheint schon eine Diskussion über die Oosterhuis-Lieder wie ein absurdes Theater; eine „Verbannung“ wäre ein Skandal.
Es ist schon bisher klar geworden, dass es hier nicht nur um zeitgemäße Klänge und Gesänge geht. Der Professor für Gregorianik und Liturgik an der Folkwang Hochschule Essen, Stefan Klöckner stellt die drohende „Perpetuierung des liturgischen Plusquamperfekts“ in den Kontext einer auch außerhalb der Kirche im Kulturbetrieb anzutreffenden „Retro-Welle“ (in: Herder Korrepondenz 3-2012, 132-137) und bemerkt dazu: „Retro ist nicht nur ein Stil, Retro ist ein Inhalt!“ (a.a.O., 133) Nach Klöckner ist mit der liturgischen Rückwendung „der programmatische Verzicht auf ästhetische Zeitgenossenschaft“ (a.a.O., 136) gegeben. Stattdessen wird die Illusion genährt, „es gäbe einen musikalischen Stil, der ,ewig’ sei – so wie es eine liturgische Sprache in einer liturgischen Feier gäbe“ (ebda). Hier wird offensichtlich „musica sacra“ und „musica coelestis“ verwechselt bzw. behauptet, die eine könne mit der anderen identisch sein. Diese Ideologie einer zeitlosen, universellen liturgischen Form ist aber nicht nur eines der vielen bei der kirchlichen Hierarchie beheimateten Hirngespinste, sie ist vielmehr ein schwerwiegender „Sündenfall“, denn schon wenn man auch nur den Anschein erweckt, das Mysterium an eine bestimmte Form des Kultes binden zu können, verrät man das Geheimnis. Klöckner bemerkt: „Die Versuchung, dass die Menschen die Selbstzusage Gottes zu einem Gegenstand ihrer Kultverwaltung machen und dabei keinen Raum mehr für seine Unverfügbarkeit lassen, war zu allen Zeiten sehr groß.“ (ebda)
Wenn der Zusammenhang von Gebet und Glaube – und das Lied ist vielleicht eine besonders intensive Form, seinen Glauben mit „Leib und Seele“ zum Ausdruck zu bringen – nicht strittig sein kann, wenn folglich die liturgische und musikalische Rückwendung auch ein Zurück im Glaubensverständnis anzeigt, dann müssen alle, denen an einem heutigen und zugleich zukunftsfähigen Glauben gelegen ist, sich gegen die so aufgeblähte „Retro-Welle“ wehren und sie als das entlarven, was sie in ihrem Kern ist: Schaumschlägerei! Die Gemeinden, die Kirchenmusiker, natürlich auch die Priester und Bischöfe müssen klarstellen, dass sie nicht bereit sind, einen so eindeutigen und fundamentalen Verrat des Glaubens – und „ganz nebenbei“ natürlich der entsprechenden Aussagen des 2. Vaticanum – hinzunehmen.
Nicht die „neuen Lieder“, die zu singen wären, sind das Problem; auch nicht die Menschen, die „durch die selbstreferenzielle und mickrige Ästhetik unserer Gottesdienste“ vertrieben werden und sich dann mit dem Vorwurf mangelnden Glaubens konfrontiert sehen. Zu dieser verfehlten Sündenbock-Etikettierung bemerkt Hahnen (a.a.O., 186): „So musiziert man sich mit Scheuklappen durchs selbst fabrizierte Dunkel.“
Ut
Unwürdiges Feilschen in Rom
Noch weiß niemand außer
dem Unfehlbaren in Rom, wie die Affäre der Lefebvre-Anhänger ausgehen
wird. Kard. Becker, der bei den Verhandlungen der Glaubenskongregation mit den
Abtrünnigen beteiligt war, verwies auf eine Aussage des Gründers der
Piusbruderschaft, Erzbischof Marcel Lefebvre, dass mit Pius XII. (1939-1958)
„alle Lehre und Disziplin in der katholischen Kirche festgelegt"
und „nichts mehr zu ändern und zu erneuern" sei. Damit wäre
das II. Vatikanum von vornherein abgehakt.
Dagegen wandten die Lefebvregläubigen ein: „Erzbischof Lefebvre hat
das Lehramt der Kirche keineswegs mit Papst Pius XII. enden lassen; so hatte
er z.B. das Credo des Gottesvolkes von Papst Paul VI. wie auch die Enzyklika
Humanae vitae desselben Pontifex zur Verteidigung der Ehemoral ausdrücklich
begrüßt.“
Als unveränderlich fügten sie hinzu: „Christus hat eine Religion, nämlich seine Kirche, gegründet als Pforte des Heiles für alle Menschen. Diese Kirche ist sein mystischer Leib und ist keine andere als die katholische und römische. - Die Kirche ist allezeit missionarisch und ruft alle Menschen auf, sich zu bekehren, Christus als den einzigen Erlöser des Menschengeschlechtes anzunehmen und sich taufen zu lassen; dies ist die Bedingung des Heiles für jedermann. - Auch die staatliche Autorität hat die Pflicht, den menschgewordenen Gott als Erlöser und König anzuerkennen und ihre Gesetzgebung in Harmonie mit seinen Einrichtungen und Forderungen zu gestalten.“
Da Benedikt XVI. gelassen den Verlust von Hunderttausenden hinnimmt, die in der römischen Kirche das Erbe Jesu verrraten sehen, und schamlos den Lefebvre-Gläubigen hinterherhechelt, ist vermutlich ein pflaumenweicher Kompromiß zu erwarten: Der Herr Papst schließt gerührt diejenigen in seine Arme, die das frommklingende Unterwerfungsdekret unterschreiben. Der fanatische Kern spaltet sich ab.
cp
Um die Freiheit
Der Wechsel vom BP Wulf zum BP Gauck hat zahlreiche Hoffnungen, aber auch Befürchtungen geweckt. Vielfach war zu hören, man dürfe den neuen auch nicht überfordern. Jedoch ist das Hauptproblem nicht die Vielzahl der Themen, mit denen sich Gauck beschäftigen soll, sondern eine gewisse Einseitigkeit seiner bisherigen Äußerungen. Es scheint, dass sich diese besonders bei seinem Lieblingsthema <Freiheit> zeigt. Das heben einige prominente (meist) protestantische Sprecher aus der früheren DDR hervor, die wegen ihres christlichen Engagements in gesellschaftlichen Fragen einen Namen haben. Ihre Vorbehalte in dieser Sache haben eine theologische Basis, weshalb es nahe liegt, diese auch in den SOG-Papieren aufzugreifen (s. „Freiheit, dir wir meinen“).
Es bleibt im Falle Gauck nur die Hoffnung, dass er seine blinden Flecken aus der Verantwortung seines neuen Amtes heraus gründlich überwindet. Anregungen könnte Gauck auch einer Erklärung entnehmen, die einige seiner früheren Kollegen aus Göttingen abgegeben haben. Sie stellen fest, dass der EKD-Vorsitzende Schneider mit seinem Lob für Gauck nur die Meinung einer Gruppe wiedergegeben habe. In diesem Zusammenhang ist auch das wohlfeile Büchlein von Albrecht Müller (5,99 €) zu empfehlen mit dem etwas provozierenden Titel <Der falsche Präsident>. Darin zitiert der Autor etliche Äußerungen Gaucks, denen Müller jeweils sehr sachlich fehlende Aspekte und zum Teil Irrtümer entgegenhält, die zu überwinden einem Bundespräsidenten gut anstünde.
Freiheit, die wir meinen
Joachim Gauck wird der nächste Bundespräsident sein. Die Kompetenz, seine Glaubwürdigkeit und persönliche Integrität, die ihm dafür zugesprochen werden, beziehen sich auf sein Leben in der DDR. Dass Joachim Gauck anscheinend nicht zur politischen Klasse gehört, erhöht zusätzlich die Erwartungen an ihn. Wer kritische Einwände gegen den Präsidentschafts-Kandidaten vorbringt, muss mit empörten Reaktionen rechnen.
Der Glanz des Unpolitischen, der den Kandidaten umgibt, seine Rolle als moralische Anstalt, die mit seinem Amt als Pfarrer in der DDR begründet wird, verdecken, dass Gauck seit 1990 eminent politische Positionen übernommen hat. Wenn die Kritik an seinem Wirken als Politiker und öffentliche Person regelmäßig mit dem Argument seiner Diktaturerfahrung abgewehrt wird, entlässt man ihn aus der Verantwortung, die er trägt.
Wir sind wie Joachim Gauck durch diese Diktaturerfahrung gegangen. Uns hat, anders als ihn, nicht der Mangel an Freiheit am stärksten geprägt, sondern unser Kampf, unser Bemühen um ihre Durchsetzung in der DDR. Unser Freiheitsbegriff ist mehr als eine persönliche Selbstbehauptung, die am Ende nur zu einer Freiheit für Privilegierte führt. Wenn wir in der DDR in unseren Freiheits-Texten von Frieden, Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung sprachen, haben wir damit auch eine grundsätzliche Kritik an der modernen Industriegesellschaft verbunden.
Gaucks Denken über Freiheit ist von dem Begriff individueller „Selbstermächtigung“ bestimmt. Uns geht es um die aktive gesellschaftliche Öffnung und um die Freiheit aller. Es kommt nicht nur auf eine Haltung der Freiheit an, sondern auf eine Verfassung der Freiheit. Anpassung war für uns in der DDR keine Option. Wir haben Bevormundungen widersprochen, Freiräume mit anderen und für andere geschaffen und gesellschaftliche Veränderungen eingefordert. Diese Erfahrungen aus der DDR ermutigen uns, kritische Bürger im vereinten, demokratischen Deutschland zu bleiben.
Joachim Gauck hat die Erwartungen derjenigen beflügelt, die durch die Beschwörung des Antikommunismus die Freiheit verteidigen wollen. Die dringend erforderliche Kompetenz des künftigen Bundespräsidenten kommt aber nicht aus der Beschwörung der Vergangenheit, sondern aus der Fähigkeit, drängende Fragen der Zukunft zu thematisieren:
Wie schaffen wir es, den Angriff der Finanzmärkte auf die Demokratie, unsere Lebensform der Freiheit, abzuwehren, den Skandal wachsender Verarmung vieler bei explodierendem Reichtum weniger nicht länger hinzunehmen, den Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen zu beenden, das Zusammenleben der Menschen in kultureller und religiöser Vielfalt zu ermöglichen und neue Konflikte friedlich zu lösen?
Diesen Bundespräsidenten werden wir daran messen, ob und wie er sich die Freiheit nimmt, die Politik angesichts dieser fundamentalen Herausforderungen in die Verantwortung zu nehmen.
Berlin, am 8. März 2012
D. Dr. Heino Falcke, Erfurt; Almuth Berger, Berlin; Joachim Garstecki, Magdeburg; Wolfram Hülsemann, Berlin; Heiko Lietz, Schwerin; Ruth Misselwitz, Berlin, Dr. Sebastian Pflugbeil, Berlin, Dr. Edelbert Richter, Weimar; Dr. h.c. Friedrich Schorlemmer, Wittenberg; Hans-Jochen Tschiche, Satuelle; Dr. h.c. Christof Ziemer, Berlin
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